Warum auf Bali keine Kängurus leben

In Indonesien gibt es keine Koalas, in Australien aber viele Spezies, die ursprünglich aus Asien stammen. Warum ist die Verteilung so asymmetrisch? Forschende haben eine Erklärung gefunden – und damit das Rätsel der Wallace-Linie gelöst.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 13. Juli 2023, 08:57 MESZ
Ein Känguru steht im Vordergrund, hinter ihm scheint das Meer durch die Bäume.

Ein Känguru an der Küste von North Stradtbroke Island an der Ostküste Australien. Rund 50 Millionen dieser Beuteltiere leben auf dem Kontinent – den Sprung ins benachbarte Indonesien haben sie im Laufe ihrer Evolutionsgeschichte aber nie vollbracht.

Foto von Gavin / Adobe Stock

Als der britische Naturforscher Alfred Russell Wallace Mitte des 19. Jahrhunderts die Inseln des Malaiischen Archipels bereiste, bemerkte er, dass die Fauna der Inseln nicht so homogen war, wie er erwartet hätte: Auf der Insel Lombok prägten zum Beispiel weiße Kakadus mit gelben Hauben das Bild. Auf der nur rund 215 Kilometer entfernten Nachbarinsel Bali kam die Spezies jedoch überhaupt nicht vor.

Ähnlich verhielt es sich mit in Australien lebenden Beuteltierarten wie Kängurus und Koalas. Je weiter Wallace nach Westen reiste, desto seltener wurden sie. Auf der indonesischen Insel Sulawesi gab es gerade noch zwei Vertreter der typisch australischen Säugetiere, auf Borneo gar keine. Umgekehrt fehlten in der australischen Region typisch asiatische Säugetiere wie Bären, Tiger oder Nashörner.

Nachdem Wallace diese asymmetrische Verteilung australischer und asiatischer Arten festgestellt hatte, beschrieb er eine biogeografische Linie, die zwischen Bali und Lombok sowie Borneo und Sulawesi verläuft und die westlichste Verbreitung australischer Tierspezies markiert: die nach ihm benannte Wallace-Linie.

Rätselhafte Wallace-Linie

Biodiversitätsforschende fasziniert das Phänomen seit Langem – doch was ihm zugrunde liegt, konnte bisher nicht im Detail geklärt werden. Dass die Verschiebung tektonischer Platten vor Millionen von Jahren ihren Anteil daran hat, ist wissenschaftlich anerkannt – doch sie allein erklärt nicht das auffällige Verbreitungsmuster und warum in Australien zwar viele ursprünglich asiatische Tiergruppen leben – darunter zahlreiche Giftschlangen, Dornteufel (Moloch horridus), Hüpfmäuse (Notomys) oder Flughunde –, in Indonesien aber kaum australische Spezies.

Forschende der Australian National University (ANU) und der ETH Zürich haben nun ein neues Modell erstellt, das eine Erklärung für die asymmetrische Verteilung von Wirbeltieren entlang der Wallace-Linie liefert.

Für ihre Studie, die in der Zeitschrift Science erschienen ist, trug das Forschungsteam einen Datensatz zusammen, der rund 20.000 Vogel-, Säugetier-, Reptilien- und Amphibienarten umfasst, die in der Wallacea genannten Region heimisch sind. Die anschließende Analyse ermöglichte es, den Artenaustausch zwischen Indonesien und Australien nachzuvollziehen, und bestätigte, dass asiatische Arten sich weitaus erfolgreicher in neuen Gebieten etablieren konnten als australische.

Plattentektonik erklärt nicht alles

Laut der Studie ist die ungleiche Verteilung der Tierarten auf beiden Seiten der Wallace-Linie tatsächlich auf eine Veränderung der Plattentektonik zurückzuführen. „Vor etwa 35 Millionen Jahren befand sich Australien viel weiter südlich und war mit der Antarktis verbunden“, sagte Alexander Skeels, Biologe und Erstautor der Studie. Irgendwann löste sich die australische Platte von der Antarktis, driftete in nördliche Richtung und schob sich Millionen Jahre später unter die Eurasische Platte. „Aus dieser Kollision entstanden die vulkanischen Inseln, die wir heute als Indonesien kennen“, so Skeels.

BELIEBT

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    Asiatische Landlebewesen konnten seitdem über die Inseln ostwärts nach Australien einwandern, australische Tiere westwärts nach Australien. Die landschaftlichen Bedingungen waren für alle Spezies gleich, es musste also noch einen anderen Aspekt geben, der zum Phänomen der Wallace-Linie führte und den asiatischen Spezies einen Vorteil verschaffte.

    Den Forschenden zufolge waren es die damals herrschenden Umweltbedingungen, die für den Fauna-Austausch zwischen den Kontinenten entscheidend waren. Als sich Australien von der Antarktis trennte, änderte sich das Klima drastisch. Es folgten die Abkühlung und Austrocknung der Kontinente und ein globales Massenaussterben.

    Vorteil für tropische Spezies

    „Trotz dieser globalen Abkühlung blieb das Klima auf den indonesischen Inseln, die von den Organismen für den Sprung nach Australien genutzt wurden, relativ warm, feucht und tropisch“, sagt Skeels. Die asiatische Fauna war an derartige klimatische Bedingungen bereits gut angepasst, was ihr bei der Ansiedlung in Australien einen Vorteil verschaffte.

    Anders die australischen Arten. Sie hatten sich laut Skeels in einem kühleren und zunehmend trockenen Klima entwickelt und fassten daher weniger erfolgreich auf den tropischen Inseln Fuß als die aus Asien eingewanderten Spezies.

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    Skeels zufolge ist dieser historische Kontext von entscheidender Bedeutung, wenn man das heutige Verteilungsmuster der Artenvielfalt in der Region verstehen will. Er ist außerdem „das fehlende Puzzlestück, das das Rätsel der Wallace-​Linie gelöst hat.“

    Invasive Arten verstehen

    Die Artenverteilung in der Wallacea hat sich vor langer Zeit vollzogen. Trotzdem sind die Ergebnisse der Studie auch für die Gegenwart relevant. Der Austausch von Arten zwischen Kontinenten findet heute regelmäßig und in alarmierendem Tempo statt – nicht zuletzt, weil der Mensch Tier- und Pflanzenarten über den gesamten Erdball verschleppt. Diese Spezies können fernab ihrer ursprünglichen Heimat invasiv werden und der angestammten Tier-​ und Pflanzenwelt schaden.

    „Die Faktoren zu kennen, die den Austausch über einen längeren Zeitraum beeinflussen, ist wichtig, um zu verstehen, warum Arten innerhalb kürzester Zeit invasiv werden“, sagt Skeels. In der gegenwärtigen Krise der biologischen Vielfalt und in Anbetracht des Klimawandels könne dieses Wissen dabei helfen, die Folgen von durch Menschen verursachten Invasionen besser abzuschätzen. Anhand der Erkenntnisse aus der Studie seien außerdem Vorhersagen über zukünftige Tierwanderungen möglich – und Prognosen dazu, wie erfolgreich sich eingewanderte Arten an ihre neue Umgebung anpassen werden.

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