Wie äußert man am besten Kritik?
Missstände zu kommunizieren ist wichtig. Wenn aber verschiedene Ideologien aufeinanderprallen, müssen Botschaften auf eine bestimmte Weise transportiert werden, um eine Verhaltensänderung beim Gegenüber zu erreichen.
Niemand wird gern kritisiert. Ob am Arbeitsplatz, im Freundes- oder Familienkreis oder in der Öffentlichkeit: Wird das Verhalten einer Person getadelt, reagiert diese meist instinktiv mit Ablehnung, Rückzug oder Trotz. Dabei hat Kritik eigentlich zum Ziel, eine positive Änderung herbeizuführen, von der alle profitieren – nur wie erreicht man das?
Diese Frage hat ein Studienteam unter der Leitung von Lauren Howe, Sozialpsychologin an der Universität Zürich, untersucht. In verschiedenen Experimenten haben die Forschenden bei über 1.400 Probanden getestet, wie sie auf Kritik reagieren und wann sie am ehesten bereit sind, diese anzunehmen. Dabei fanden sie heraus, dass Hinweise auf Fehlverhalten nicht nur mit Bedacht geäußert werden müssen, sondern am besten verfangen, wenn außerdem Verständnis für die Situation des Kritisierten gezeigt wird.
Botschaft mit doppelter Besorgnis
Meist steht bei der Kritik der Schaden, den das Verhalten einer Person oder Gruppe verursacht, im Mittelpunkt – und die Aufforderung, dieses zu ändern. „Was Kritisierende dabei vielleicht nicht erkennen ist, dass die Mitglieder der beschuldigten Gruppe dann oft glauben, dass der Kritisierende sie für unmoralisch hält und sie ihm egal sind“, sagt Howe. Die Bereitschaft, sich und sein Tun für jemanden zu ändern, der sich für die eigenen Belange nicht interessiert, ist dann erwartungsgemäß gering.
Abhilfe schaffen der Studie zufolge Botschaften mit doppelter Besorgnis. Diese übermitteln nicht nur einen Vorwurf, sondern beinhalten auch die Sorge um das Wohlergehen des Angesprochenen. „Wenn die Kritisierenden trotz aller Anschuldigungen ihr Interesse der kritisierten Gruppe gegenüber zum Ausdruck bringen, ist letztere eher bereit, die Forderungen anzuerkennen“, so Howe.
Viel Verständnis, keine Vorurteile
Zu dieser Erkenntnis kommt das Team anhand verschiedener Experimente, die im politischen Umfeld in den USA durchgeführt wurden. In einem, äußerte sich der CEO einer Firma kritisch über jeweils eine der beiden großen Parteien des Landes. Ergänzte er seine Kritik durch den Hinweis, dass die Anhänger des einen Lagers oft von den Mitgliedern des anderen verspottet oder ignoriert werden, stieg die Zustimmung zu seinen Aussagen auf beiden Seiten um fast sieben Prozent.
In einem anderen Experiment wurde den Studienteilnehmenden ein Plakat gezeigt, das sich für den Abbau von Vorurteilen gegenüber einer bestimmten Gruppe einsetzte. Wurde auf dem Plakat außerdem darauf hingewiesen, dass neben dieser spezifischen Gruppe auch andere Gruppen unfairen Vorurteilen ausgesetzt sind, stieg die Zustimmung zur ursprünglichen Botschaft unter den Probanden um fast neun Prozent.
Erwartungshaltung erschwert effiziente Kritik
Das Anerkennen der Probleme und Bedürfnisse der anderen Seite ist also wesentlich, wenn Kritik wohlwollend aufgenommen werden und zu einem zufriedenstellenden Ergebnis führen soll. Oft sind die Fronten aber im Vorfeld schon stark verhärtet, sodass Kritisierte ihre Kritiker generell als Gegner wahrnehmen, die ihnen Böses wollen. Sie sind dann eher nicht bereit, Vorwürfe anzuhören und anzunehmen – auch wenn ihre Annahme gar nicht den Tatsachen entspricht.
Das zeigt eine Umfrage unter Anhängern beider politischer Lager im Rahmen der Studie. Dabei stimmten rund 87 Prozent der Demokraten der Aussage zu, dass „Republikaner, wie jeder andere auch, eine Stimme verdienen und dass ihre Anliegen gehört werden und man sich um sie kümmern sollte“. Knapp 84 Prozent der Republikaner waren in Bezug auf Demokraten dieser Meinung.
Die Erwartungshaltung bildete aber auf beiden Seiten ein ganz anderes Bild ab: Die befragten Republikaner gingen davon aus, dass nur etwa 41 Prozent der Demokraten der Aussage zustimmen, Anhänger der Demokraten trauten dies nur rund 35 Prozent der Republikaner zu. Beide Seiten unterschätzen die Anteilnahme des ideologischen Gegners also eklatant.
Erst mitfühlen, dann kritisieren
Die Studie zeigt, dass der Königsweg der effizient geäußerten Kritik auf Empathie und Diplomatie aufbaut. „Wenn Kritisierende auf ein Fehlverhalten hinweisen, sollten sie sich immer fragen: Vor welchen Herausforderungen steht die Gruppe, die ich kritisiere?“, so Howe. Die Botschaft sollte immer sein: Ich bin mit einem bestimmten Verhalten von dir zwar nicht einverstanden, aber ich sorge mich prinzipiell um dich als Person.
„Menschen, die kritische Botschaften übermitteln, können besser überzeugen, wenn sie Kritik mit Bedacht äußern“, sagt Howe. Gerade in der heutigen Zeit, in der viele Menschen ihre Stimme erheben, um auf Missstände in der Gesellschaft, der Politik oder dem Umgang mit der Umwelt hinzuweisen, ist dies eine wichtige Erkenntnis und vielleicht der einzige Weg, um die Fronten nicht weiter zu verhärten, sondern gemeinsam positive Veränderungen zu erreichen.