Glücksforschung: Was wir wirklich brauchen, um glücklich zu sein
Gesunde Beziehungen machen glücklich.
Ob Aristoteles, Hans im Glück oder die #LuckyGirls auf Tik Tok – seit Jahrtausenden sucht der Mensch nach dem Rezept zum Glücklichsein. Inzwischen haben die Vereinten Nationen „das Streben nach Glück als ein „grundlegendes menschliches Ziel“ anerkannt. Das Glück wird mittlerweile sogar als Parameter für die Lebensqualität eines Landes herangezogen: Vor 10 Jahren maß man diese noch am Bruttoinlandsprodukt (BIP), heute geht es ums „Bruttoglücksprodukt“. Man sieht die „Notwendigkeit eines inklusiveren, gerechteren und ausgewogeneren Konzepts für Wirtschaftswachstum, das das Glück und das Wohlbefinden aller Völker“ fördert.
Um die internationalen Mitgliedstaaten daran zu erinnern, auf politischem Weg für eine glückliche Bevölkerung zu sorgen, wurde der Internationale Tag des Glücks ausgerufen. Er wird am 20. März gefeiert. Am selben Tag erscheint der jährliche „World Happiness Report“. Auch 2023 steht Finnland wieder an der Spitze der glücklichsten Länder, gefolgt von Dänemark, Island, Israel und den Niederlanden. Deutschland rutscht auf Platz 16.
Glücks-Faktoren: Was macht die Menschen glücklich?
Doch was macht Menschen glücklich? Die Formel klingt zunächst ganz einfach: Enthält das Leben viel von dem, was man als wichtig erachtet, ist man glücklich. Doch was wichtig ist, erachtet jeder ganz subjektiv. Dadurch ist Glück ein vielschichtiges Konstrukt. Wie kann man es also messen?
Der OECD-Index ermöglicht einen länderübergreifenden Vergleich. Gemessen wird anhand elf essenzieller Faktoren, unter anderem Einkommen, Gesundheit, Umwelt und Sicherheit, aber auch Work-Life-Balance und Bildung. Der Gallup Millennium World Survey listete als Glücksstifter gute Gesundheit, glückliches Familienleben, einen Job, Freiheit, Abwesenheit von Krieg, Gewalt und Korruption, Lebensstandard, Religion und Bildung. Er erklärt, dass die glücklichsten Länder der Welt gut funktionierende Demokratien mit hohem Einkommen sind – insbesondere solche mit einem hohen Maß an sozialer Gleichheit, Vertrauen und guter Regierungsführung.
Für diese Studien wurden riesige Mengen an Umfrage-Daten gesammelt. Die UN bewertet anhand dieser Daten die Lebenszufriedenheit der Menschen aus bis zu 150 Ländern in einem jährlichen Bericht: dem World Happiness Report. Aus seinen Informationen entsteht eine Rangliste der glücklichsten Länder. Im Jahr 2023 führt Finnland zum sechsten Mal in Folge die Liste an; Deutschland rutschte aus den Top Ten auf von Platz 14 auf Platz 16.
Warum sind die Deutschen unglücklicher geworden – und was muss passieren, damit die Menschen so glücklich sein können wie die Finnen?
Glücksbringer? Unterschätzte und überschätzte Faktoren
“Die Glücksforscher sind sich einig: Beziehungen sind die größte Glücksquelle.”
Die Kulturwissenschaftlerin Annegret Braun forscht an der Ludwig-Maximilians-Universität in München unter anderem zum Thema Glück und schreibt darüber in ihrem Buch „Glück? Klare Antworten aus erster Hand“. Sie weiß, dass zwischenmenschliche Beziehungen zu den am meisten unterschätzten Faktoren bei der Glückssuche gehören: „Die Glücksforscher sind sich einig: Beziehungen sind die größte Glücksquelle. Spannend ist, dass die Menschen darin nicht primär ihr Glück suchen – weil es anstrengend ist, Beziehungen zu entwickeln und aufrecht zu erhalten. Doch sie finden es immer darin.“ Dabei spielt es keine Rolle, welcher Art die Beziehungen sind: Studien kommen zu dem Schluss, dass Freundschaften ähnlich auf die Zufriedenheit wirken wie jahrelange Partnerschaften.
Auch der diesjährige „World Happiness Report“ thematisiert den Zusammenhang zwischen Prosozialität und Glück. Es habe sich gezeigt, dass freundliche Handlungen sowohl zu größerem Glück führen als auch daraus resultieren.
Völlig überschätzt werde dagegen Geld als Zufriedenheitsfaktor. Eine Studie der Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman und Angus Deaton kommt zu dem Schluss, dass ein hohes Einkommen zwar Lebenszufriedenheit erzeugt, sich damit aber kein Glück erkaufen lässt. Ab einem Jahreseinkommen von ungefähr 75.000 Dollar werde man nicht glücklicher.
Auch die UNO berichtet, dass mit steigendem Wohlstand das Glück nicht immer weiter wächst. „Die Menschen denken, sie wären mit 20 Prozent mehr Geld glücklicher – das stimmt aber nicht, weil ein hohes Einkommen auch für mehr Arbeit und Belastung sorgt“, sagt Braun. Dass materielle Dinge immer überschätzt würden, stehe im Widerspruch zu der Tatsache, dass man Glück in erster Linie mit allen Sinnen erfahre: bei einem besonderen Essen, Sonne auf der Haut oder dem Duft von Blumen.
Glücklich wie die Skandinavier: Gibt es eine Kultur des Glücks?
Im skandinavischen Kulturraum scheinen viele Faktoren für ein glückliches Leben erfüllt zu sein, gehören die Länder doch regelmäßig zu den glücklichsten der Welt. Gibt es dort so etwas wie eine Kultur des Glücks?
Zumindest messe Finnland, der sechstmalige Erstplatzierte des World Happiness Reports, dem Faktor Beziehungen einen großen Stellenwert bei, erklärt Helena Schneider, Dozentin an der Internationalen Hochschule für Management (IU) München. Sie forscht und schreibt aktuell zur deutschen und finnischen Arbeitskultur. „Ein charakteristisches Merkmal der finnischen Kultur ist, dass zwischenmenschliche Beziehungen betont gefördert werden. Die Menschen werden ermutigt, starke, gesunde Beziehungen zu ihren Familien, Freunden und der Gemeinschaft aufzubauen und zu pflegen.“ Das fördere das Grundvertrauen und führe zu mehr Hilfsbereitschaft und zum Anstreben eines Konsens.
„Der finnische Trust Index ist sehr hoch“, sagt Schneider. Das habe weitreichende Folgen für die Gesellschaft und das Individuum, denn vertrauensvoll und positiv gestimmte Menschen handelten häufiger selbstlos und würden von anderen mehr gemocht. „Dieses hohe subjektive Wohlbefinden führt zu einer besseren Gesundheit, einer höheren Lebenserwartung, besseren sozialen Beziehungen und zu mehr Produktivität in der Arbeit – insgesamt ein erstrebenswerter Gesamtzustand, der wiederum glücklich macht.“ Weil die finnische Politik unter anderem das Wohlbefinden seiner Bewohner priorisiere, könne man von einer Kultur des Glücks sprechen, so die Expertin.
Interkulturelle Unterschiede: Glück ist nicht gleich Glück
Die politische Führung an unserem Lebensort hat demnach großen Einfluss auf unser persönliches Glück. Doch neben der Politik spielen auch interkulturelle Unterschiede eine Rolle. Die UN weist darauf hin, dass die Art und Weise, wie Menschen Glück und Wohlbefinden verstehen, von Kultur zu Kultur verschieden ist und sich sehr unterschiedlich manifestiere. So wird Glück in einigen Sprachen mit Zufallsglück oder Schicksal in Verbindung gebracht. In manchen Regionen zögern die Menschen aus kulturellen Gründen über ihr Glücks- oder Wohlbefindensniveau zu berichten.
Für Annegret Braun macht unser Demokratie-Verständnis und das Leben in einer Leistungsgesellschaft den interkulturellen Unterschied: „Durch die Annahme, Glück müsse für alle gleich verfügbar sein und dass jeder glücklich werden kann, wenn er sich nur genug anstrengt, steht in unserer individualistischen Gesellschaft immer das eigene Glück im Vordergrund – während in kollektivistischen Gesellschaften das Glück der Gemeinschaft zählt.“ Die westlichen Gesellschaften lebten in Sicherheit und im Überfluss, weshalb hinter dem Streben nach Glück heute eine Sinnsuche stecke. Seit die Religionen als Sinnstifter weggebrochen sind, boomen Coaches, Kurse und Ratgeber, die den Weg zum individuellen Glück weisen. Zusammen mit der Medienwirklichkeit entsteht eine völlig verzerrte Vorstellung von Glück, die im schlimmsten Fall toxisch werden kann.
„Dauerglück gibt es nicht und der Anspruch darauf ist unrealistisch“, so die Kulturwissenschaftlerin. „Glück ist ein Kontrasterlebnis – man kann Glück nur erleben, wenn man auch den Normalzustand und negative Gefühle zulässt.“ Außerdem solle man nicht übersehen, dass auch in der Unzufriedenheit Positives stecke: „Die Unzufriedenen, Kritischen und Grüblerischen bewirken Veränderungen. Menschenrechtler und Naturschützer sind eben nicht besonders glücklich, sondern mit einem Zustand unzufrieden. Und man stelle sich eine Welt vor, in der nur die Glücklichen Literatur, Kunst und Musik produzieren…“
Glücksbremsen: Die Deutschen waren schon mal glücklicher
Vielleicht ist Deutschland deshalb das Land der Dichter und Denker. Nur 20 Prozent der Deutschen gaben bei einer Umfrage im Winter 2022/2023 an, mit ihrem Leben sehr zufrieden zu sein. Ganze 12 Prozent beschrieben sich als nicht sehr zufrieden. Als Glücksbremsen nennen sie vor allem pandemiebedingte Brüche, Kriegsängste und Inflation. Landete Deutschland beim World Happiness Report 2021 noch auf Platz 7, fand es sich ein Jahr später auf Platz 14 wieder und rutscht 2023 um weitere zwei Plätze auf den 16. Rang.
Dagegen zeichnen die Daten des OECD-Index ein positiveres Bild. Deutschland schneidet in vielen Dimensionen des Wohlbefindens überdurchschnittlich ab: bei Arbeitsplätzen, Work-Life-Balance, Bildung, Umweltqualität, Sicherheit, bürgerschaftlichem Engagement und Lebenszufriedenheit. Für den so wichtigen Faktor der Beziehungen erklärt der Index, in Deutschland herrsche ein moderates Gemeinschaftsgefühl und ein hohes Maß an Bürgerbeteiligung. 90 Prozent der Menschen glauben, jemanden zu kennen, auf den sie sich in Zeiten der Not verlassen könnten; damit liegt Deutschland knapp unter dem OECD-Durchschnitt.
Glücklich sein: Unser Glück ist ausbaufähig
Glück und Zufriedenheit sowie das Streben danach sind existenzielle Bedürfnisse. Die Vereinten Nationen folgern in ihrem Report, dass die Notwendigkeit für Regierungen besteht, politisch zu intervenieren. Nicht nur für das Glück der Bevölkerung – sondern auch für einen funktionierenden Staat mit hoher Beschäftigung und hoher Arbeitsqualität. Dafür braucht es eine starke Gemeinschaft mit Vertrauen und Respekt, eine anteilnehmende Führung, eine verbesserte physische und psychische Gesundheitsfürsorge, eine Unterstützung des Familienlebens und eine qualitativ hochwertige Bildung für alle.
Gesamtgesellschaftlich sollte „Deutschland multidimensional ansetzen und geeignete Rahmenbedingungen im Sinne der Positiven Psychologie schaffen“, sagt Helena Schneider. Dabei seien das Streben nach Erfüllung, die aktive Mitgestaltung des eigenen Lebens und das Erreichen bestimmter Lebensziele wichtige Komponenten des individuellen Glücks. Daneben haben soziale Faktoren, Erziehung und persönliche zwischenmenschliche Bindungen auch in der Arbeitswelt große Bedeutung. „Nicht nur der World Happiness Report belegt, dass in den nordischen Ländern bereits sehr gut glücksfördernde Rahmenbedingungen geschaffen wurden. Dort wird man von klein auf gefördert, autonom zu handeln und wächst in einer Konsenskultur auf, in der jeder gesehen, gehört und geachtet wird – und zwar hierarchieunabhängig. Wenn wir es schaffen, hedonistische Rahmenbedingungen für subjektives Wohlbefinden sowohl im beruflichen als auch privaten Kontext in Deutschland zu etablieren, sind wir auf einem guten Weg.“
Auf individueller Ebene rät die Kulturwissenschaftlerin Braun zu mehr Achtsamkeit, einer dankbaren Haltung und einer bewussteren Wahrnehmung der Umwelt und seiner Mitmenschen. „Glück ist etwas, das man nicht anstreben kann, sondern etwas, das mit dem Tun kommt“, sagt sie. „Die Menschen wollen glücklich sein – das ist eine anthropologische Konstante. Doch sie brauchen einen Grund, und der liegt im Handeln.“
Die Glücksforschung geht davon aus, dass 50 Prozent des Glücksvermögens angeboren sind, 10 Prozent von den Umständen wie Sicherheit, Gesundheit, Schönheit oder Reichtum abhängen und wir 40 Prozent selbst durch bewusstes Verhalten steuern können. „Wir haben also alle eine reelle Chance auf Glücksmomente – vor allem, wenn wir sie mit anderen erleben”, so Braun.
Zu dem Schluss kommt auch der „World Happiness Report 2023“: Eine glückliche Gesellschaft erreiche man nur, wenn Menschen sich gegenseitig – und nicht nur sich selbst – glücklich machen. Das sei „ein inspirierendes Ziel für Einzelpersonen“ und schließe das „Glück zukünftiger Generationen“ ein.