Der Türschwellen-Effekt: Warum wir vieles sofort wieder vergessen

Ständig vergessen wir wichtige Dinge im Alltag. Die Psychologie spricht hierbei vom Türschwellen-Effekt oder Doorway Effect. Ist das normal?

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 23. Nov. 2023, 14:00 MEZ
Eine Illustration: Ein Mann steht vor verschiedenen bunten Türen und fragt sich, welche er öffnen soll.

Gedächtnisschwund am Türrahmen – ein bekanntes Phänomen in der Psychologie

Foto von Adobe Stock

Wir liegen auf der Couch und der Handy-Akku ist leer. Also laufen wir in die Küche, um das Ladekabel zu holen. Kaum sind wir da, gießen wir uns etwas zu trinken ein und kehren ins Wohnzimmer zurück. Natürlich ohne Ladegerät. 

Wer kennt das nicht? Kaum verlässt man einen Ort, um etwas zu erledigen, hat man schon wieder vergessen, was man eigentlich tun wollte. Müssen wir uns deshalb Sorgen machen? Ist es ein Zeichen von Überlastung, wenn wir selbst die einfachsten Dinge ständig vergessen? Oder schlimmer: Leiden wir womöglich an einer frühen Stufe von Demenz? 

Ein gewisses Maß an Vergesslichkeit gehört offenbar zu einem gesunden Gedächtnis dazu. Ausgerechnet Türschwellen können dabei eine entscheidende Rolle spielen. Das hat der US-Psychologe Gabriel Radvansky in einer vielbeachteten Studie herausgefunden. In der Psychologie ist deshalb vom Türschwellen-Effekt (auch Türrahmen-Effekt) oder Doorway Effect die Rede. 

Galerie: Reise in unser Gehirn

Türschwellen-Effekt: Wenn uns das Gedächtnis einen Streich spielt

Radvanskys Team führte hierzu drei Experimente in realen und virtuellen Umgebungen durch. Zunächst mussten die Versuchspersonen in einer Computersimulation durch ein digitales Haus mit mehreren Zimmern navigieren. Sie sollten dabei verschiedene Gegenstände einsammeln und ablegen.

Die Forschenden stellten fest, dass die Probanden ihre Entscheidungen häufig vergaßen, nachdem sie durch eine Tür geschritten waren. Blieben sie im selben Raum, fiel es ihnen deutlich leichter, ihre Gedanken beieinander zu halten.

Das zweite Experiment wurde in einer realen Umgebung durchgeführt – mit gleichem Ergebnis. Die dritte Runde fand wieder in dem virtuellen Haus statt. Das Team wollte testen, ob die Teilnehmenden in einer ihnen bereits vertrauten Umgebung besser abschneiden würden. Fehlanzeige: Sobald sie eine Türschwelle überschritten, ließ ihr Erinnerungsvermögen nach.

Galerie: Das Gedächtnis – so formen wir Erinnerungen

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    Wie wir den Türschwellen-Effekt aushebeln

    Radvansky kam zu dem Schluss: Türen sorgen nicht nur für räumliche Ordnung. Sie sortieren auch unsere Gedanken. Radvansky spricht hierbei von „Ereignisgrenzen“. Demzufolge speichern wir unsere Erinnerungen in kleinen, in sich geschlossenen, Episoden.

    Diese Erinnerungspäckchen haben einen räumlichen Bezug. Unser Gehirn legt sie zur Seite, sobald wir einen neuen Ort aufsuchen. „Es ist schwierig, sich an die Entscheidung oder Aktivität zu erinnern, die in einem anderen Raum getroffen wurde, weil sie bereits wegsortiert wurde“, erklärt Radvansky.

    Doch es gibt Abhilfe. Zu diesem Fazit kommt eine australische Studie. Die Autorinnen und Autoren weisen darauf hin, dass der Türschwelleneffekt vor allem dann auftrete, wenn uns ohnehin schon viele Dinge im Kopf herumschwirren – sprich, wenn wir gestresst oder ablenkt sind. In der Ruhe liegt die Kraft. Wer sich auf eine einzige Sache fokussiert und gedanklich nicht abschweift, kann dem Türschwelleffekt ein Schnippchen schlagen.

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