Die mysteriösen Fälle von Deutschlands einziger Ufo-Meldestelle

Zwei bis 60 Anrufe pro Tag bekommt Hansjürgen Köhler, weil Menschen denken, sie hätten Außerirdische gesehen. Der Leiter der Ufo-Meldestelle CENAP hat sein Leben unidentifizierten Flugobjekten gewidmet – und löst seit 50 Jahren Fälle aus aller Welt.

Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 2. Nov. 2023, 08:38 MEZ
Rakete mit langem Schweif am dunkelblauen Himmel.

Ist es eine fliegende Untertasse oder doch nur eine Rakete? CENAP klärt außergewöhnliche Himmelsphänomene auf.

Foto von Hansjürgen Köhler / CENAP

Die Meldung klang zunächst skurril: Im September 2023 ernannte die NASA ihren ersten Ufo-Direktor. Richtig gelesen: Der Meteorologe Mark McInerney wurde eingestellt, um mit seinem Team mysteriösen Phänomenen am Himmel auf den Grund zu gehen. Denn auch wenn die NASA nicht an fliegende Untertassen glaubt, sind Forschende doch überzeugt, dass es auf anderen Planeten oder in fremden Galaxien Leben gibt. 

Was bei der NASA neu ist, ist im Odenwald ein alter Hut. Einen „Ufo-Direktor“ hat Deutschland bereits seit 50 Jahren: Tag für Tag löst Hansjürgen Köhler gemeinsam mit seinem vierköpfigen Team die ungewöhnlichsten Fälle aus Astronomie, Luft- und Raumfahrt – und das ehrenamtlich. 1973 gründete der Odenwälder gemeinsam mit seinem Freund Werner Walter das Centrale Erforschungsnetz außergewöhnlicher Himmelsphänomene, kurz CENAP. Wer hierzulande etwas Seltsames am Himmel beobachtet, ruft ihn an.  

CENAP: Die Geburtsstunde von Deutschlands Ufo-Meldestelle

Hansjürgen Köhler ist Deutschlands Ufo-Experte. Anrufe bekommt er aus aller Welt.

Foto von Hansjürgen Köhler / CENAP

Seine Begeisterung für Astronomie und Raumfahrt fand Köhler schon im Alter von 11 Jahren – er sei schließlich „ein Kind der Mondlandung“ gewesen, erzählt er. Als Neil Armstrong 1969 als erster Mensch den Mond betrat, verfolgte Köhler das Geschehen live vorm Fernseher. Die Idee zu CENAP entstand dann nur ein paar Jahre später – nach einem Kantinenessen in der Ausbildung im Einkauf mit seinem Kollegen Werner Walter und dem Beschluss, Mitglieder einer Sternwarte zu werden.  

Dort fingen Walter und Köhler zunächst an, während der Sternbeobachtung den Telefondienst zu übernehmen. „Aus Neugierde und unserem jugendlichen Leichtsinn“, lacht Köhler, denn dass so viele besorgte Personen anrufen würden, um eine ungewöhnliche Sichtung zu melden, hätten sie dem Sternwartenleiter nicht geglaubt. „Aber er sollte recht behalten: Keine 15 Minuten, nachdem wir den Dienst begonnen hatten, hatten wir den ersten Anrufer am Telefon.“ 

Es waren so viele, dass Walter und Köhler sich bald einig waren: Eine eigene Anlaufstelle für Ufo-Meldungen musste her. 1973 begannen sie, Informationen von der NASA und anderen Luft- und Raumfahrteinrichtungen einzuholen und sich zu vernetzen. 1976 wurde CENAP offiziell gegründet. Heute sind Köhler und sein vierköpfiges Team die einzige deutsche Meldestelle für ungewöhnliche Himmelsphänomene, die rund um die Uhr erreichbar ist – auch telefonisch. Das Netzwerk arbeitet unter anderem mit der Deutschen Flugüberwachung (DFS), Sternwarten und der ESA zusammen – und bekommt sogar von ihnen Anrufe, um kuriose Fälle zu lösen.

Ufo-Jagd ist wie kriminalistische Arbeit

Köhler macht seinen Job nicht, weil er an Außerirdische glaubt. Er macht ihn, weil er vermeintlich Unerklärliches erklären will. Und meistens schafft er das: Von den 10.785 Meldungen der letzten 50 Jahre seien nur 150 offen: „Und diese 150 Fälle sind nicht besonders ausgefallen oder mysteriös, es fehlen uns einfach Informationen – zum Beispiel der genaue Ort oder das genaue Datum“, so Köhler. Um Außerirdische handele es sich bei den Beobachtungen nie. So gut wie alle Sichtungen seien durch normale Himmelsereignisse oder Flugkörper erklärbar.

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    Bei der Arbeit geht Köhler vor wie ein Kriminalpolizist. Er benötigt ähnliche Informationen wie beim Stellen einer Anzeige: das Datum, die genaue Uhrzeit, der Ort mit Postleitzahl, die Beobachtungshimmelsrichtung, eine kurze Beschreibung des Gesehenen und gegebenenfalls sogar Bilder oder ein Video. In seinen „Ermittlungsarbeiten“ recherchiert der Odenwälder unter anderem astronomische Gegebenheiten, Raketenstarts oder Flugzeugkoordinaten und arbeitet dann nach dem Ausschlussverfahren. 

    Melden können sich bei CENAP alle Personen, die ein Ufo – auch UAP (Unidentified Anomalous Phenomena) genannt – gesichtet haben. Der Begriff ist kein Synonym für fliegende Untertassen, wie viele denken, sondern bezeichnet erst einmal nur ein unidentifiziertes außergewöhnliches Himmelsobjekt. Bis Juli 2023 wurden in Deutschland laut der Statistikplattform Statista insgesamt 137.539 Ufos gesichtet oder vermeintlich gesichtet. 

    „Gutes Wetter ist Ufo-Wetter“

    „Jede Person kann in eine solche Beobachtungssituation kommen, von der Schülerin bis zum Greis“, sagt Köhler. „Bei uns melden sich nicht nur alle Altersgruppen, sondern auch alle Geschlechter und Berufssparten.“ Dazu gehörten auch erfahrene Astronaut*innen oder Pilot*innen. 

    Die Meldungen aus Deutschland verteilen sich laut Köhler über die gesamte Landesfläche: „Das Wetter ist entscheidend – und gutes Wetter ist Ufo-Wetter. Wenn der Himmel zum Beispiel im Süden klar ist und wir eine auffällige Planetenkonstellation haben oder der helle Stern Sirius gut zu sehen ist, weiß ich: Heute wird es Anrufe und E-Mails aus Süddeutschland geben.“

    Sein bester Arbeitgeber: Elon Musk 

    Köhlers bester Arbeitgeber sei in den letzten Jahren kein geringerer als Elon Musk gewesen: „Wir haben normalerweise zwei bis drei Beobachtungsmeldungen am Tag. Schickt Elon Musk aber mal wieder Satelliten ins All, sind es auch gerne mal 60 pro Tag.“ Momentan fliegt alle drei Wochen eine Musk’sche Rakete mit 20 bis 30 Satelliten im Gepäck in den Weltraum. Seit November 2019 sind so über 5.000 Satelliten ins All transportiert worden. 

    „Ein paar Stunden nach dem Start kommen dann die ersten Anrufe“, so Köhler. Die Satelliten fliegen zwar zunächst dicht hintereinander her, die Abstände zwischen ihnen vergrößern sich aber im Laufe ihrer Reise. Nach 24 Stunden sehen sie aus wie eine Leuchtstoffröhre, die über den Himmel zieht, nach 48 Stunden wie eine Perlenkette. „So fliegen die Satelliten dann Richtung Zenit und verschwinden immer an der gleichen Stelle“, sagt Köhler. 

    Starlink-Satelliten am Himmel über dem Tübinger Rathaus. Aufgereiht wie eine Perlenkette, sehen sie merkwürdig aus und verunsichern Beobachtende.

    Foto von Dktue / Wikimedia Commons

    Ein unheimliches Phänomen, das Menschen verunsichert – und sie auf der Suche nach Antworten zur Ufo-Meldestelle im Odenwald bringt. Laut Köhler gibt es für das plötzliche Verschwinden der Satelliten eine ganz einfache Begründung: Sie treten an dieser Stelle in den Erdschatten im Osten ein und entfernen sich so abrupt aus der sichtbaren Zone. 

    „Der Überraschungseffekt ist das, was die Menschen irritiert. Sie erwarten nicht, solche ungewöhnlichen Dinge am Himmel zu sehen, und suchen dann nach einer Erklärung“, sagt der Odenwälder. „Meistens fällt ihnen ein Stein vom Herzen, wenn wir sie ihnen liefern können.“

    Welche Objekte werden für Ufos gehalten?

    Nicht nur Musks Starklink-Satelliten werden für Ufos gehalten. Auch sogenannte Astro-Stimuli werden öfter als Ufos missinterpretiert. Dazu gehören beispielsweise Meteoriten und Feuerkugeln, aber auch helle Sterne und Planeten. Industriedrohnen spielen mittlerweile aber auch eine Rolle: Sie würden meist nachts von Unternehmen eingesetzt, um Leitungen zu kontrollieren, und dann aufgrund ihrer Beleuchtung und ihrer ruckartigen Bewegungen missinterpretiert, so Köhler. 

    Kein Außerirdischer, sondern ein Satellit: Elon Musks Starlink-Satelliten werden am häufigsten für Ufos gehalten.

    Foto von Hansjürgen Köhler / CENAP

    Kuriose Fälle der letzten Jahre: Ein Engel schwebt zur Erde

    Seltsame und hartnäckige Fälle gab es in seiner 50-jährigen Laufbahn genug. „Man braucht wirklich eine Art kriminalistisches Gespür für diese Arbeit“, sagt Köhler. Manchmal sind die Fälle so knifflig, dass er und sein Team stundenlang Videomaterial sichten oder mit der Recherche beschäftigt sind. Die Anrufe kommen aus aller Welt. 

    So gab es unter anderem auch einen Fall aus Norwegen. Ein deutsches Forschungsteam hatte bei der Beobachtung von Nordlichtern ein engelartiges weißes Gebilde am Nachthimmel entdeckt, das ganz sachte Richtung Erde sank. Köhler machte sich an die Arbeit und recherchierte die Ereignisse im Luftraum der letzten Stunden. 

    Diese engelsgleiche Kreatur schwebte am norwegischen Himmel Richtung Erde. 

    Foto von Hansjürgen Köhler / CENAP

    „Circa 16 Stunden zuvor war eine Atlas-Rakete in den USA gestartet“, so der Odenwälder. „Sie hatte zwei Satelliten an Bord, von denen der eine über Europa ausgesetzt wurde, während der andere noch weiter in eine höhere Umlaufbahn musste.“ Dazu wurde ein sogenanntes Burn-Up durchgeführt – ein automatischer Start der Rakete im All. Als die Rakete den Treibstoff ausgestoßen hatte, wurde dieser von der Sonne angestrahlt und hinterließ schließlich das engelsgleiche Gebilde am Himmel. Das Phänomen sei in ganz Nordeuropa zu beobachten gewesen, so Köhler. 

    Eine Lichtqualle über dem Nordatlantik

    Auch Piloten sind manchmal ratlos, wenn sie unbekannte Himmelsphänomene auf ihren Flügen sichten. Zwei von ihnen meldeten sich mit einer Beobachtung über dem Nordatlantik bei Köhler: Sie hätten eine seltsame Lichtqualle aus dem Cockpit gesehen – und der Frankfurter Flughafen könne ihnen nicht weiterhelfen. 

    Diese helle Lichtqualle konnten zwei Piloten über dem Nordatlantik bei einem Flug von Polen nach Deutschland sichten. 

    Foto von Hansjürgen Köhler / CENAP

    Aufgrund der genauen Daten, die er von den beiden Piloten bekam, konnte Köhler auch diesen Fall lösen. Es handelte sich um eine Höhenforschungsrakete, die oftmals vor der norwegischen Küste zur wissenschaftlichen Erforschung der Atmosphäre gestartet werden. „In einer Höhe von 12 bis 15 Kilometern wird Plasma aus diesen Raketen entlassen. Anhand dessen Verhalten wird die Atmosphäre erforscht“, sagt Köhler. In diesem Fall wurde das Plasma von der Sonne angestrahlt, das Ergebnis war die leuchtende Quallenform am Himmel. 

    Besuch der Alienspinne

    Einer der hartnäckigsten Fälle kam von einer Privatperson mit einer Wildtierkamera. Auf der nächtlichen Videoaufnahme sah man eine grellweiß leuchtende Lichtkugel, die zuerst auf die Kamera im Hof zuflog und sich anschließend nach oben aus dem Bild bewegte. Das Merkwürdige: Obwohl die Lichtkugel an einem Fenster vorbeiflog, gab es keine Reflexion in der Scheibe. „Das ist eigentlich unmöglich“, sagt Köhler. 

    Nachdem er alle astronomischen sowie luft- und raumfahrtbezogenen Erklärungen ausschließen konnte, fragte er sich: Was wäre, wenn das Objekt gar nicht auf die Kamera zugeflogen ist, sondern nah an der Kamera von oben kam – und schließlich auch wieder dorthin verschwand? 

    Wildtierkameras haben ein Darstellungsproblem bei sehr nahen Objekten, erklärt Köhler. Sie überstrahlten nahe Objekte und stellten sie als Leuchtpunkte dar, so zum Beispiel bei vorbeifliegenden Insekten. „Der Bewegungsablauf in dem Video ließ uns an eine Spinne denken, die sich von oben aus ihrem Netz abseilt, an der Kamera vorbeihuscht und sich wieder nach oben zieht“, sagt der Ufo-Experte. 

    Und tatsächlich: Es war kein außerirdisches Leuchtobjekt, das seinen Weg auf die Erde gefunden hatte, sondern eine große Spinne, die sich ein Netz über der Kamera eingerichtet hatte. „Unsere Arbeit ist sehr abwechslungsreich“, sagt Köhler. „Wir jagen zwar Ufos, aber ab und zu auch Spinnen.“

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