Wer räumt den Weltraum auf?

Um unsere Erde kreist eine riesige Müllhalde: Rund 10.000 Tonnen Weltraumschrott schweben derzeit im All – und die Zahl wird jährlich größer. Mithilfe einer galaktischen Müllabfuhr wollen die ESA und das Startup ClearSpace nun aufräumen.

Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 29. Sept. 2023, 15:50 MESZ
Tausende Teile Weltraumschrott schweben um die Erde vor dem schwarzen Hintergrund des Universums.

Unsere Erde wird von ständigen Begleitern umgeben – darunter nicht nur Satelliten, sondern auch eine Menge Weltraumschrott. 

Foto von Christos Melas / Adobe Stock

Auf Aufnahmen aus dem Weltall scheint sich unsere Erde in friedlicher Einsamkeit durch unser Sonnensystem zu bewegen. So ganz stimmt das jedoch nicht. Je weiter man sich vom blauen Planeten entfernt, desto deutlicher erkennt man seine ständigen Begleiter: Ein riesiges Mosaik aus Weltraumschrott umgibt die Erde. Abgeschaltete Satelliten, verlorenes Astronaut*innen-Werkzeug, kleinste Trümmerteilchen aus Explosionen oder Kollisionen – all das gehört zur kollektiven Müllsammlung aus über 60 Jahren internationaler Raumfahrt.

Diese galaktische Müllhalde, die unsere Erde umkreist, ist gigantisch: Laut der Statistikplattform Statista befanden sich im Jahr 2022 etwa 32.000 Objekte, die zehn Zentimeter oder größer waren, im All. Sie werden von Großradaranlagen wie der TIRA in Wachtberg bei Bonn erfasst und katalogisiert. 

Noch viel höher ist allerdings die Anzahl der kleinen Trümmerteile, die sich schwer bis gar nicht tracken lassen: Laut dem Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) schätzen Wissenschaftler*innen, dass sich allein 330 Millionen Teilchen zwischen einem und zehn Millimetern in den Erdumlaufbahnen befinden – und dort erheblichen Schaden anrichten könnten.

Denn die Trümmerteile sind im All mit Geschwindigkeiten von bis zu 30.000 Kilometern pro Stunde unterwegs und können so zu scharfen Geschossen werden, wenn sie auf Satelliten, Raketen oder anderen Schrott treffen. Wird der ganze Weltraummüll also langsam zur Gefahr für die Raumfahrt? Und wer sorgt in Zukunft dafür, dass im All aufgeräumt wird? 

Großes Eintrittsloch auf dunklem Hintergrund.

Ein herumfliegendes Trümmerteil hat den Satelliten der Solar-Max-Mission der NASA in den 1980er Jahren glatt durchschlagen. Er wurde nach einer Kollision als erster Satellit im Weltraum eingefangen und repariert. 

Foto von NASA

Wo befindet sich der meiste Weltraumschrott?

Für die Raumfahrt könnte der Weltraumschrott insofern bald zur Hürde werden, da sich die meisten seiner Teile in Erdnähe befinden. Er ist nicht gleichmäßig im All verteilt, sondern konzentriert sich in verschiedenen Umlaufbahnen. „Dort, wo die meisten Raumfahrt-Aktivitäten stattfinden, entsteht auch der meiste Weltraummüll“, erklärt das DLR. 

Die größte Dichte gäbe es in 800 bis 900 Kilometern Höhe. Dort sind Erdbeobachtungssatelliten unterwegs, die zur Wetter- und Umweltbeobachtung eingesetzt werden. Insgesamt befinden sich im niedrigen Erdorbit, zwischen 200 und 2.000 Kilometern Höhe, laut Statista fast 20.000 getrackte Trümmerteile – die kleinsten und gefährlichsten Teilchen nicht mit eingerechnet. 

Im mittleren Erdorbit passiert dann eine ganze Weile nichts – bis zu einer Höhe von circa 30.000 Kilometern. In den sogenannten Übergangszonen und dem erweiterten geostationären Orbit – in bis zu etwa 46.000 Kilometern Höhe – stellen rund 12.000 getrackte Trümmerteile eine potenzielle Gefahr für intakte Satelliten dar, die für Internet-, Fernseh-, Rundfunk-, Telefon- und Datenübertragung zuständig sind. 

BELIEBT

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    Statistik zum Weltraummüll: Rund 20.000 Teile befinden sich in Erdnähe (bis zu 2.000 km) und zwischen ...

    Der Weltraumschrott ist ungleich in verschiedenen Umlaufbahnen der Erde verteilt.

    Foto von Statista

    Wie lange bleibt Weltraummüll in der Erdumlaufbahn? 

    Wie lange die Trümmerteile im All verweilen, hängt von mehreren Faktoren ab: von ihrer Form und Größe, ihrer Höhe – und der Sonnenaktivität. Je größer die Sonnenaktivität, desto mehr dehnt sich die Erdatmosphäre aus. So umfasst sie automatisch mehr erdnahe Teile, die beim Eindringen in die Erdatmosphäre verglühen. 

    Vor allem kleine Teile in Erdnähe passieren die Atmosphäre relativ schnell. Der Grund dafür ist die Reibung an der dünnen Restatmosphäre der Erde. In den meisten Fällen verglühen einzelne Weltraumschrottteile beim Eintritt zu 60 bis 90 Prozent. Es kann allerdings auch vorkommen, dass verbliebene Bruchstücke auf die Erde fallen. Bislang sei dabei aber noch kein Mensch zu schaden gekommen, so das DLR. Die Teile fielen zum Großteil ins Meer.

    Je weiter der Weltraumschrott von der Erde entfernt ist und je sperriger die Trümmerteile sind, desto länger verbleiben sie im Orbit. Schuld daran ist die abnehmende Dichte der Erdatmosphäre, die dafür sorgt, dass die Teile mit zunehmender Entfernung immer stärker ausgebremst werden auf ihrem Weg gen Erde. Während Weltraummüll in 400 Kilometern Entfernung etwa ein Jahr im All verbleibt, kann es sich bei der doppelten Distanz bereits um 150 Jahre und mehr handeln, so das DLR.  

    Der Weltraum hat ein Müllproblem

    Durch die lange Verweildauer im All kommt immer mehr Weltraumschrott hinzu – denn jährlich werden neue Satelliten und Raketen ins All geschossen. „Die Trümmermenge wächst jedes Jahr gewaltig“, sagt Holger Krag, Leiter des Programms Weltraumsicherheit der ESA in einer Pressemitteilung. Schon heute müssen intakte Satelliten teilweise Ausweichmanöver durchführen, um nicht durch den Schrott in ihrem Umfeld beschädigt zu werden. Laut dem DLR stellen die ausgedienten Raketenstufen, alten Satelliten und Trümmerteile noch keine ernsthafte Bedrohung für die Raumfahrt dar. Das kann sich allerdings in den kommenden Jahren – und mit gesteigerter Aktivität im All – schnell ändern. Noch dazu gibt es bisher keinen nachhaltigen Umgang mit dem Weltraumschrott.

    SpaceX Satellit über der Erde: Im Hintergrund sieht man einen Teil des dunklen Weltalls.

    Das wollen mehrere Weltraumorganisationen nun ändern. Eine potenzielle Lösung für das Problem kommt von der ESA: eine Art Müllabfuhr im Weltall. Gemeinsam mit dem Schweizer Startup ClearSpace, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, im Weltall aufzuräumen, will die Weltraumorganisation einen 112 Kilogramm schweren Nutzlastadapter namens VESPA aus dem Weltraum zurückholen. Dieser wurde dort 2013 von einer Vega-Rakete zurückgelassen – und vagabundiert seitdem in 800 Kilometern Höhe durchs All. 

    In Zukunft wird es wichtig sein, solche größeren Objekte aus dem Weltraum zu entfernen, um Kollisionen zwischen ihnen zu vermeiden, die Tausende zerstörerischer, nicht aufspürbarer kleiner Teilchen erzeugen würden. „Schon ein bis zehn Zentimeter große Teilchen können einen Satelliten beim Aufprall außer Gefecht setzen“, erklärt Luc Piguet, Co-Gründer und CEO der Firma ClearSpace. Diese Bruchstücke stellten die größte Gefahr für eine sichere Raumfahrt dar, denn die Technologien zur Entfernung solcher Objekte seien noch lange nicht ausgereift. 

    Eine Müllabfuhr fürs All: ClearSpace-1 räumt auf 

    Um zunächst VESPA aus dem All zu entfernen, will ClearSpace einen autonomen Weltraumroboter ins All schicken: ClearSpace-1. „Genau genommen ist es ein Robotersatellit – entworfen, um ein Trümmerteil abzufangen, das sich unkontrolliert dreht und mit 28.000 Kilometern pro Stunde durchs All fliegt“, erklärt Piguet. 

     

    Der Robotersatellit ClearSpace-1 im All beim Einfangen von Weltraumschrott. Im Hintergrund ein Teil der Erde.

    So könnte der Einsatz der „Weltraum-Müllabfuhr“ ClearSpace-1 aussehen – hier kurz vor dem Einfangen des Trümmerteils VESPA. 
     

    Foto von Lucie Mottet / ClearSpace

    „Das Erfassungssystem von ClearSpace-1 basiert auf Bild- und Bewegungserkennung und umfasst ein Anflugleitsystem“, sagt Piguet. Es soll dafür sorgen, dass sich ClearSpace-1 nach einer Testphase in 500 Kilometern Höhe VESPA nähern und das Trümmerteil schließlich mit seinen Greifarmen stabilisieren und einfangen kann. Danach sollen ClearSpace-1 und VESPA gemeinsam in die Erdatmosphäre eintauchen, wo sie beim Wiedereintritt verglühen.

    Über 100 Millionen Euro kostet die Mission, die 2026 starten soll. Laut Piguet könnte sie einige Monate Zeit in Anspruch nehmen. „Um das Risiko von Kollisionen in der Umlaufbahn wirksam zu verringern, werden viele weitere Weltraummüllbeseitigungen dieser Art erforderlich sein“, sagt er. Deshalb arbeitet das Startup bereits mit Hochdruck an der nächsten Mission: CLEAR, ein Projekt der britischen Raumfahrtbehörde, das gleich zwei verlassene Trümmerteile aus dem Weltall entfernen soll. 

    Ob so eine galaktische Müllabfuhr für mehrere Tausend Teile Weltraumschrott eine Dauerlösung sein kann, wird sich zeigen. Fakt ist: Die Raumfahrt muss künftig nachhaltiger werden – für mehr Sicherheit und Ordnung im All. 

     

    Noch mehr spannende Geschichten aus dem Weltraum gibt es bei National Geographic während der World Space Week zu sehen. Das Programm startet am 7.10. ab 6:00 Uhr. National Geographic und National Geographic WILD empfangt ihr über unseren Partner Vodafone im GigaTV Paket.  

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