Europas Supervulkan: Wie gefährlich sind die Phlegräischen Felder?
Über 16 Kilometer Durchmesser misst die größte europäische Caldera nahe Neapel, entstanden durch eine Supereruption vor 39.000 Jahren. Seit dem letzten kleineren Ausbruch sind über 400 Jahre vergangen. Sind jüngste Erdbebenschwärme ein Grund zur Sorge?
Das gesamte Ausmaß der Campi Flegrei lässt sich nur aus der Vogelperspektive erfassen. Über 50 kleinere Vulkankrater reihen sich um die große Caldera, die sich zu zwei Drittel unter Wasser vor der Küste des Golf von Pozzuoli befindet.
Seit Monaten bebt in Italien die Erde: In der Region um Neapel brodelt es gefährlich unter der Oberfläche. Doch nicht nur der berühmte Vesuv macht auf sich aufmerksam, auch ein anderer Vulkan gerät momentan immer wieder in die Schlagzeilen: die Phlegräischen Felder, auf Italienisch Campi Felgrei, der einzige Supervulkan Europas.
Expert*innen des Nationalen Geophysikalischen und Vulkanologischen Instituts (INGV) teilten vor Kurzem eine Computer-Simulation, die ein mögliches Ausbruchsszenario an den Campi Flegrei zeigt. Eine derartige Eruption könnte Tage andauern – und tausende Menschenleben fordern. Es sei denn, der Evakuationsplan der italienischen Regierung funktioniert.
Die Forschenden betonen, dass ein Ausbruch in solch einem extremen Ausmaß sehr unwahrscheinlich ist. Sie haben mit der Simulation lediglich den Ausbruch des Agnano-Kraters in den Phlegräischen Feldern vor etwa 4.100 Jahren rekonstruiert. Gibt es trotzdem Grund zur Sorge?
Die Geschichte der Phlegräischen Felder
Der gewaltigste Ausbruch der Campi Flegrei, in dessen Folge die große Caldera entstand, die den Supervulkan bis heute ausmacht, lässt sich circa 36.000 bis 39.000 Jahre zurückdatieren. Eine Caldera ist eine kesselförmige Fläche, die aus der explosiven Eruption eines Vulkans entsteht und riesige Ausmaße annehmen kann. Im Falle der Phlegräischen Felder sind es etwa 150 Quadratkilometer – entstanden durch die Eruption, die mit einer Stufe 7 bis 8 des Vulkanexplosivitätsindex (VEI) sogar das Ende der Neandertaler begünstigt haben könnte.
Der letzte Ausbruch des Supervulkans liegt etwa 500 Jahre zurück. Es ist der 29. September im Jahr 1538, als die Erde nahe Neapel zu beben beginnt und sich das Magma seinen Weg an die Oberfläche bahnt. Rund eine Woche lang rumort die gigantische Caldera der Phlegräischen Felder – und zerstört letztendlich das mittelalterliche Dorf Tripergole. Aus der Lava und Asche, die das Dorf unter sich begräbt, geht der Monte Nuovo hervor, der jüngste Vulkankegel innerhalb der Campi Flegrei. Bis zum heutigen Tag ist diese Eruption die letzte des Supervulkans.
Ruhig ist es in der Gegend seitdem trotzdem nicht geworden: Unter der Erdoberfläche der Phlegräischen Felder brodelt es weiter. Ihre Krater sind nicht ohne Grund eine der am besten seismographisch überwachten Regionen der Welt. Der Boden hebt sich hier seit Jahren kontinuierlich. Allein im Jahr 2023 zählt die Region tausende Erdbeben, einige davon mit einer Stärke über 3 – also deutlich spürbar. Bis heute geht von dem geothermalen Gebiet also eine unberechenbare Gefahr aus.
Die Millionenmetropole am Rande des Supervulkans
Die Menschen der Region wussten die vulkanische Energie der Phlegräischen Felder seit jeher für sich zu nutzen. So auch die Bewohner*innen des 1538 zerstörten Dorfes Tripergole: Schon seit der Römerzeit verwendeten sie das Thermalwasser für ihre Bäder. Wo genau sich die Thermalquellen oder das Dorf befanden, kann nicht genau bestimmt werden. Seit 485 Jahren thront der Monte Nuovo über ihnen.
Heute leben im Großraum Neapel, nur wenige Autominuten vom ehemaligen Tripergole entfernt, drei Millionen Menschen. Rund um die Bucht von Pozzuoli, inmitten der Caldera sind es 500.000. Im Ernstfall würde selbst ein erneuter Ausbruch kleineren Ausmaßes tausende Menschen unmittelbar betreffen. Evakuierungspläne für eine solche Naturkatastrophe liegen vor, das italienische Civil Protection Department hat die Region dafür mittels einer interaktiven Karte in zwei Bereiche eingeteilt.
Screenshot der interaktiven Karte. Im Falle eines „kleineren“ Ausbruchs der Phlegräischen Felder hat die italienische Regierung einen Notfallplan zur Evakuierung der Menschen in der roten und gelben Zone erstellt.
Im Fall eines Ausbruchs könnte die Bevölkerung der roten Zone von pyroklastischen Strömen gefährdet sein – extrem schnell fließenden, heißen Lawinen aus Asche, Gas und Gesteinspartikeln, die auf ihrem Weg alles zerstören, was ihnen in den Weg kommt. Aus diesem Grund stellt eine frühzeitige Evakuierung die einzig mögliche Schutzmaßnahme dar. In der gelben Zone wären aufgrund von erheblichem Ascheregen für über 800.000 Menschen zumindest zeitweise Umsiedlungen vorgesehen.
„15 Millimeter pro Monat“: Der Boden um Neapel hebt sich
Dass das Gebiet nicht an vulkanischer Aktivität eingebüßt hat, wird an mehreren Stellen ersichtlich. Etwa durch die sogenannte Solfatara im gebiet der italienischen Stadt Pozzuoli. Das Trockenmaar – so nennt man einen mit Sediment gefüllten oder verlandeten Maarsee, der einst durch eine vulkanische Explosion in einem Hohlraum entstanden ist – liegt über einem drei Kilometer tiefen Vulkanschlot. Die bis zu 200 Grad Celsius heißen Gasaustritte und Schlammgruben waren bis vor wenigen Jahren noch als Touristenattraktion bekannt – bis ein tödlicher Unfall im Jahr 2017 den Zugang zu der lebensfeindlichen Umgebung beendete.
Im Jahr 1158 brach der drei Kilometer tiefe Schlot unterhalb der Solfatara zuletzt aus. Seitdem hebt sich die Erde hier jährlich um durchschnittlich etwa achtzehn Zentimeter.
Zudem misst eine Vielzahl an Messinstrumenten seit Jahren kontinuierliche seismische Erdbebenschwärme in dem Gebiet. 2023 waren es besonders viele. In den meisten Fällen sind die Erschütterungen kaum zu spüren, doch ein Erdbebenschwarm im August hatte eine maximale Stärke von 3,6. Am 7. September wurde daraufhin ein Beben mit einer Magnitude von 3,8 gemeldet – das stärkste Beben vor Ort seit 40 Jahren.
Ausgelöst werden die Beben durch konzentriert freigesetzte Gase, die wiederum das langsame Anheben des Bodens begünstigen – ein weiteres Anzeichen dafür, dass die Phlegräischen Felder brodeln. „In den letzten 18 Jahren hat sich der Boden um etwa 113 Zentimeter gehoben, mit einem Durchschnitt von derzeit etwa 15 Millimetern pro Monat“, sagt Francesca Bianco, Direktorin der Abteilung Vulkane des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie (INGV).
Deutlich schneller hob sich der Boden in zwei besonders aktiven Jahren ab 1983. Laut Bianco wuchs die Erde damals in kürzester Zeit um 108 Zentimeter in die Höhe. Angesichts der vielen Erdbebenschwärme relativiert sie damit die Angst um eine mögliche Verschärfung der Situation. Allerdings gibt es auch besorgte Gegenstimmen.
Die äußeren schwarzen Linien zeigen deutlich, wie weit sich die Grenzen der Calderen des Supervulkan-Systems erstrecken. Die Solfatara, westlich von Pozzuoli, liegt beinahe mittig darin.
Ernstfall Eruption: Käme eine Evakuierung zu spät?
In monatlichen Konferenzen des Katastrophenschutzes wird das aktuelle Risiko von mehreren Institutionen bewertet und eine neue Warnstufe ausgerufen – von grün über gelb und orange bis hin zur höchsten Alarmstufe rot. Wann, wie, wo und wie lange ein zukünftiger Ausbruch stattfinden wird, kann laut der Abteilung für Katastrophenschutz allerdings nicht zuverlässig vorhergesagt werden. Aufgrund der komplexen Struktur der Phlegräischen Felder könnte es sogar zu mehreren Eruptionen gleichzeitig kommen.
Im Falle eines Alarms sieht der Evakuierungsplan vor, dass die rote Zone binnen drei Tagen von der Bevölkerung verlassen werden muss. Eine halbe Million Menschen innerhalb von nur 72 Stunden in Sicherheit zu bringen, ist laut Giuseppe Matrolorenzo „eine sehr optimistische Hypothese, fast so, als hätten wir einen Vertrag mit dem Vulkan unterzeichnet.“ Der führende Vulkanologe am Nationalen Institut für Geophysik und Vulkanologie (INGV) interpretiert die jüngsten Erdbebenschwärme anders als Bianco: Er spricht von möglichen Vorboten einer Eruption – wenn nicht sogar einer Supereruption.
Ein solcher Ausbruch des Supervulkans hätte verheerende Folgen. Nicht nur für die Millionenmetropole, sondern auch europa- oder gar weltweit. Mastrolorenzo spricht von einer möglichen zehnmal stärkeren Eruption als bei dem weltberühmten Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 n. Chr., die unter anderem das römische Pompeji unter einer meterdicken Schicht Asche begrub und tausende Menschen das Leben kostete. Eine Supereruption der Stärke VEI 7 würde die Metropolregion wohl vollständig zerstören. Eine Stärke von VEI 8 könnte eine Aschewolke zur Folge haben, die über mehrere hunderte Kilometer hinweg bis über die Alpen wandern könnte. Das würde erhebliche Risiken für europäische Ernteerträge, Wirtschaft und Klima mit sich bringen.
Die meisten Forschenden sehen dies jedoch als unwahrscheinlichstes Szenario an. Dennoch spricht einiges dafür, dass sich die Campi Flegrei mit ihren derzeitigen Erdbeben sowie den jüngsten Bodenerhebungen auf eine erneute Eruption vorbereiten könnten. Ein kleinerer Ausbruch, etwa nahe der Solfatara, ist wohl am wahrscheinlichsten. Auch eine Eruption, die mit der Entstehung des Monte Nuovo von 1538 vergleichbar wäre, ist denkbar. Beide Szenarien würden sich unmittelbar auf das Leben der Anwohnenden rund um Neapel auswirken – aber sich wahrscheinlich nicht europaweit auswirken. Derzeit deuten laut Francesca Bianco immerhin „keine Daten darauf hin, dass sich Magma nahe der Oberfläche befindet“.
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