Spaß am Gruseln: Warum wir gerne Horrorfilme schauen
Blut, Schockmomente, brutale Killer: Horrorfilme sind gerade wegen ihrer furchteinflößenden Inhalte beliebt. Warum Menschen es mögen, in Angst und Schrecken versetzt zu werden – und wieso Horrorfilme auch gesellschaftlich eine wichtige Rolle spielen.
Im Jahr 1922 schuf der deutsche Filmregisseur Friedrich Wilhelm Murnau mit Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens ikonische Gruselszenen.
Blutige Morde, furchterregende Monster, abstoßende Gewalt – Horrorfilme zeigen, was man eigentlich nicht sehen will. Trotzdem hat das Genre viele Fans, die geradezu süchtig nach den Gefühlen sind, die die Filme auslösen: die Anspannung während einer spannenden Szene, der Adrenalinschub, wenn auf dem Bildschirm plötzlich der Killer auftaucht, die Welle der Erleichterung, wenn der Moment des Schreckens vorbei ist.
Was sie spüren, ist wissenschaftlich belegt: Angst kann Spaß machen – und Horror sogar dabei helfen, sowohl individuelle als auch gesellschaftliche Traumata zu bewältigen.
Freizeit-Angst: Gruseln zum Entspannen
Wie Achterbahnfahren und Fallschirmspringen ist das Schauen von Horrorfilmen eine Aktivität, der viele Menschen freiwillig nachgehen, obwohl sie sie in Furcht versetzt. Das Angstgefühl, das dabei entsteht, ist biologisch komplex: Unser vegetatives Nervensystem fährt hoch und löst die Kampf-oder-Flucht-Reaktion aus, eine Antwort des Körpers auf Gefahrensituationen. Während wir zu schwitzen beginnen und unser Herz rast, strömt das Blut aus der Körpermitte in die Extremitäten. Gleichzeitig werden Endorphine und Dopamin, der sogenannte Botenstoff des Glücks, ausgeschüttet. Ist die Stresssituation vorbei, entspannt sich der Körper wieder.
Die Ausschüttung des Dopamins zeigt: Zwischen Angst und Freude herrscht eine Verbindung. Wie weit diese geht und welche Faktoren dazu beitragen, dass Angst Spaß macht, wird im Recreational Fear Lab der dänischen Aarhus University untersucht. Recreational Fear, zu Deutsch etwa Freizeitangst, bezeichnet das Phänomen, Angst absichtlich und zum eigenen Vergnügen herbeizuführen. Laut der Forschungseinheit gibt es einen sogenannten „sweet spot“ der Angst, bei dem gerade so viel davon ausgelöst wird, dass der Film – oder die Freizeitaktivität – nicht langweilig, aber auch nicht so gruselig ist, dass extremes Unbehagen verursacht wird. Das fand ein Team um Verhaltensforscher Coltan Scrivner in einer Studie heraus.
Bleibt das Angstlevel auf diesem Niveau – das bei jeder Person unterschiedlich sein kann –, wird das Gruselerlebnis mit positiven Gefühlen belohnt. Das geschieht einerseits aufgrund des beim Angsterlebnis ausgeschütteten Dopamins und andererseits, weil das Gehirn bei Angst und Erschrecken stark heruntergefahren wird, um sich nur auf diese Gefühle zu konzentrieren. Dadurch fallen andere Stressoren ab. Eine Studie, die mit Besucher*innen eines Spukhauses in einem Freizeitpark durchgeführt wurde, konnte die Existenz einer solchen „Post-Angst-Euphorie“ beweisen und zeigen, dass Versuchspersonen nach dem Angsterlebnis sogar bessere Laune hatten als vorher.
Warum schauen wir so gerne Horrorfilme?
Wichtig ist dabei: Die angsteinflößende Situation muss in einer kontrollierten Umgebung stattfinden. Die Menschen, die Angst erleben, müssen sich prinzipiell sicher fühlen. Das betont auch Linnie Blake von der Manchester Metropolitan University in England. Die Literaturwissenschaftlerin erforscht seit Jahren die kulturelle und individuelle Bedeutung von Horrorfilmen. „Die Art und Weise, auf die sich der Schrecken auf unseren Körper auswirkt, kann höchst vergnüglich sein, wenn wir diesem Gefühl im sicheren Raum unseres Wohnzimmers oder Kinos nachgehen“, sagt sie. So könne man sich immer wieder bewusst machen, dass das, was man sieht, fiktional ist.
Laut dem Science of Scare Project 2023 zählt James Wans Film Insidious aus dem Jahr 2010 zu den Top 5 gruseligsten Filmen aller Zeiten. Das liegt wohl vor allem an den vielen abrupten Schreckmomenten – den sogenannten Jumpscares –, für die James Wans Filme bekannt sind.
Anders als beim Fallschirmspringen spielen beim Ansehen von Horrorfilmen aber nicht nur die biologischen Reaktionen des Körpers eine Rolle. Denn die Filme schaffen einen besonders sicheren Raum, in dem Zuschauer*innen austesten können, wie sie mit dem Schrecken, den es auf der Welt gibt, umgehen, ohne körperlich Teil des Geschehens zu sein. Das hat auch der Regisseur Wes Craven, bekannt für Horrorfilme wie Nightmare on Elm Street (1984) und Scream (1996), früh erkannt und Horrorfilme als „Trainingslager für die Psyche“ bezeichnet.
Die Forschung bestätigt, dass die regelmäßige Konfrontation mit Horrorfilmen, Menschen auch im echten Leben strapazierfähiger werden lassen kann. Eine Erhebung aus dem Jahr 2021 zeigte, dass Menschen, die regelmäßig Horrorfilme konsumieren, während der Corona-Pandemie eine größere psychologische Resilienz aufwiesen. „Indem wir negative Emotionen in einem sicheren Raum – wie einem Horrorfilm – empfinden, können wir möglicherweise Fähigkeiten zur Emotionsregulierung aufbauen, durch die wir in realen Gefahrensituationen besser mit diesen Emotionen umgehen“, sagt Coltan Scrivner vom Recreational Fear Lab, der an der Studie beteiligt war.
Horrorfilme und die Psyche
Bei Menschen mit Angststörung kann der Konsum von Horrorfilmen sogar eine therapeutische Wirkung haben. In ihrem Fall ist die Kampf-oder-Flucht-Reaktion des Angstzentrums im Gehirn – der Amygdala – gestört, sodass das Angstgefühl sich oft nicht auf konkrete Situationen bezieht, sondern konstant unterschwellig vorhanden ist. Schauen sie einen Horrorfilm, kanalisiert sich die Angst aber auf die Geschehnisse auf dem Bildschirm. Die Abfolge aus Erschrecken und Entspannung, den Horrorfilme mit sich bringen, kann durch den Effekt der „Post-Angst-Euphorie“ Erleichterung bedeuten.
Zusätzlich kann das regelmäßige Schauen von Horrorfilmen potenziell wie eine Art Konfrontationstherapie wirken. Das berichtet die klinische Psychologin Lana Holmes, die diesen Ansatz in ihrer Arbeit als Psychotherapeutin nutzt. Im Podcast Black Girl Therapy erklärt sie: „Wenn man sich etwas aussetzt, wovor man Angst hat – und das können auch Horrorfilme sein –, merkt man mit der Zeit, dass man schlimme Dinge überleben kann.“
Laut ihr können außerdem die Inhalte der Filme hilfreich sein im Umgang mit Ängsten und Traumata – vor allem dann, wenn man sich mit den Protagonist*innen identifiziert. „Wenn man im echten Leben an einer Angststörung leidet, kann man sich in angsteinflößenden Situationen fragen: Was würde Laurie Strode (Final Girl aus dem ersten Halloween-Film) tun? Wie hat sie ihre Ängste überwunden?“, sagt sie. Zusätzlich helfe es Menschen oft, ihre eigenen Ängste und Probleme auf dem Bildschirm repräsentiert zu sehen und so lernen zu können, mit ihnen umzugehen.
Laurie Strode und Michael Myers in Halloween – Die Nacht des Grauens (1978). Neben ikonischen Bösewichten wie Michael Myers oder Chucky, der Mörderpuppe, haben Horrorfilme immer auch starke Protagonist*innen hervorgebracht. Oft ist es das sogenannte Final Girl, das das Martyrium übersteht und am Ende den Antagonisten umbringt.
Wichtig ist: Dieses Phänomen hat keine universelle Gültigkeit. Es gibt auch Menschen, deren Unwohlsein durch die Gruselbilder in Horrorfilmen verstärkt wird. Ihre Angst- und Panikgefühle verschlimmern sich durch das Leid, das sie auf dem Bildschirm sehen, oder die Adrenalinschübe, die der Film auslöst. Laut Holmes müsse deshalb jeder selbst herausfinden, wie er oder sie von Horrorfilmen beeinflusst wird.
Horror im Zeichen kultureller Umbrüche
Neben individueller Konfrontation mit Ängsten kann Horror auch bei der Verarbeitung gesellschaftlicher Traumata eine Rolle spielen. Laut Linnie Blake steht das Genre den herrschenden Ideologien oftmals skeptisch gegenüber und fordert von den Zuschauer*innen ein Hinterfragen der Gesellschaft. „Horror ist ein inhärent politisches Genre“, so die Literaturwissenschaftlerin.
So haben sich Horrofilme seit jeher mit der Hinterfragung des vermeintlich strikten Gegensatzes zwischen Gut und Böse beschäftigt – meist durch komplexe Figuren wie Frankensteins Monster oder Sadako Yamamura aus den japanischen Ring-Filmen – und diesen aufgelöst. Auch das Interesse an extremen Gewaltdarstellungen und deren Anziehungskraft auf uns Menschen ist oft Thema, zum Beispiel in David Cronenbergs grenzüberschreitendem Film Videodrome aus dem Jahr 1983. Und auch das kann Spaß machen. „Wenn wir unsere Welt in all ihrem Schrecken auf der Leinwand versinnbildlicht zu sehen, in einem sicheren Raum, ermöglicht uns das, uns mit den dargestellten Themen auseinanderzusetzen“, sagt Blake.
Das treffe auch auf die Darstellung kollektiver Ängste und gesellschaftlicher Missstände zu. Beispiel Zombiefilme: Die hirnlosen Horden von Untoten können laut Linnie Blake sinnbildlich für die Menschen im Spätkapitalismus gesehen werden. Im Film gilt das Begierde der Menschen ihrem Appetit nach Menschenfleisch; in der Realität dem, was die globale Wirtschaftsagenda vorgibt, so Blake. Vor allem die Zombiefilme der 2000er-Jahre spiegeln so die zeitgeistlichen Ängste der Menschen in Bezug auf Konsum und Konformität wider. Und es geht auch greifbarer: Filme wie Jordan Peeles Get Out (2017) oder Us (2019) kritisieren ganz konkret die Übel der Gesellschaft wie Rassismus und soziale Ungerechtigkeit. Gleichzeitig bieten Horrofilme so die Möglichkeit, die eigenen Rolle im System zu hinterfragen.
Horror unter Verdacht: Begünstigen Horrorfilme Gewalttaten?
Dennoch genießen Horrorfilme in der Gesellschaft und der Filmwelt keinen guten Ruf. „Horror wird häufig als das schwächste Glied in der Kinofamilie betrachtet und weniger geschätzt als andere Filmkategorien,“ schreibt der Psychologieprofessor Neil Martin in seinem Essay (Why) Do you like Scary Movies? Nur äußerst selten wird das Genre bei Filmpreisverleihungen berücksichtigt.
Dazu hat wohl auch die weit verbreitete, inzwischen aber längst widerlegte Annahme beigetragen, Horrorfilme würden zu Gewalttaten verleiten. Auch ganz konkrete Vorfälle wurden mit Horrorfilmen in Verbindung gesetzt. Lange Zeit wurde in England beispielsweise die Idee verbreitet, der dritte Teil der Chucky-Filmreihe habe im Jahr 1993 zwei zehnjährige Jungen in England zum Mord an dem zweijährigen James Patrick Bulger verleitet – zu Unrecht, auch laut der Polizei. Derartige Gerüchte boten und bieten dennoch denjenigen Munition, die sich für die Zensur von Horrorfilmen einsetzen, beispielsweise durch die in den 80er- und 90er-Jahren in England geführte Liste der sogenannten „video nasties“, also „abstoßenden Videos“.
Die Forschung zeigt bis heute, dass ein Verbot oder eine Zensur von Horrorfilmen nicht der richtige Weg zur Gewaltprävention ist. „Es gibt keine Beweise dafür, dass der Konsum von Horrorfilmen in direktem Zusammenhang mit Angststörungen, Traumata oder dem Ausleben von Gewaltfantasien steht“, sagt Blake.
Im Gegenteil: Laut ihr verleiten die Filme dazu, die Augen vor den Grausamkeiten unserer Welt nicht zu verschließen. So geschehen beispielsweise während der ersten Corona-Welle, in der Pandemiefilme wie Contagion (2011) oder Quarantäne (2008) in den Streamingcharts nach oben schnellten. Die Menschen wollten sich mit dem Leid der Krise auseinander setzen – auf eine Weise, die genug Abstand bietet und gleichzeitig wohl auch eines ist: unterhaltsam.
Noch nicht gruselig genug? An Halloween zeigt National Geographic schaurige Geschichten. Das Programm startet am 31.10. ab 22:30 Uhr. National Geographic und National Geographic WILD empfangt ihr über unseren Partner Vodafone im GigaTV Paket.