Krieg der Generationen: Sind junge Menschen wirklich arbeitsscheu?

Generation Y und Z wollen nicht arbeiten – so der Vorwurf der Babyboomer. Doch besteht zwischen Geburtsjahr und Arbeitsmotivation tatsächlich ein Zusammenhang? Eine neue Studie füllt die wissenschaftliche Lücke in der emotionalen Debatte.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 20. Nov. 2023, 10:05 MEZ
Drei bunt gekleidete Personen aus der Gen Z im Büro.

So sehen die Babyboomer die Gen Z angeblich selten: hart arbeitend im Büro. Wie viel ist wirklich dran am Generationsstreit?

Foto von Seventyfour / Adobe Stock

Ob auf Social Media oder in persönlichen Gesprächen: „Die jungen Leute heutzutage haben alle keine Lust mehr, zu arbeiten“ ist eine generalisierte Aussage, auf die man in letzter Zeit vermehrt stößt. Betriebe haben Probleme, Mitarbeitende zu finden oder ihre Ausbildungsstellen zu besetzen. Schuld daran sollen die Generationen Y und Z sein, die zwischen den Jahren 1980 und 2010 geboren wurden und augenscheinlich wenig motiviert für die Erwerbsarbeit sind. So lautet zumindest der Vorwurf der Babyboomer, also der Jahrgänge zwischen 1945 und 1965. Doch basiert der Generationskrieg wirklich auf Tatsachen oder nur auf einem Bauchgefühl?

Fundierte Studien zur Arbeitseinstellung verschiedener Generationen suchte man bisher vergebens. Nun hat sich Martin Schröder, Soziologie-Professor an der Universität des Saarlandes, dem Thema im Detail und auf Basis von fast 600.000 Datensätzen aus 40 Jahren angenommen. Die Ergebnisse seiner Analyse sind in der Zeitschrift Journal of Business and Psychology erschienen und zeigen: Wie viel Bedeutung die Arbeit für eine Person hat, hat nichts mit ihrem Geburtsjahr zu tun.

Das Märchen vom Generationseffekt

Die Daten für die Studie stammen aus der Integrated Values Survey (IVS), einer Erhebung, für die seit 1981 jährlich Einzelpersonen aus 113 Ländern zu ihrer Einstellung zu Arbeit und Beruf befragt werden. Neben der Arbeitsmotivation bilden die Ergebnisse auch ab, wie wichtig den Menschen Freizeit, Arbeitsumfeld, Wertschätzung, Sinn ihrer Arbeit und ihr berufliches Vorankommen sind.

Würde stimmen, wovon allgemein ausgegangen wird – dass sich die Ansichten zu diesen Aspekten von Generation zu Generation unterscheiden – müssten die Antworten entsprechend des Geburtsjahres und unabhängig vom tatsächlichen Alter der Befragten im Laufe der Jahre einem eindeutigen Muster folgen. Das ist jedoch nicht der Fall: „Ich habe nichts gefunden, was darauf hindeutet, dass die Einstellung zu Arbeit und Beruf tatsächlich mit dem Geburtsjahr zusammenhängt“, sagt Schröder.

“Wir ticken heute schlicht alle anders als vor 30 Jahren.”

von Martin Schröder
Soziologe, Universität des Saarlandes

Doch warum ist die Meinung, der jüngeren Generation fehle der Arbeitswille, trotzdem so weit verbreitet? Laut Schröder liegt das daran, dass viele Menschen den sogenannten Alterseffekt mit dem Generationseffekt verwechseln. Wenn eine Gruppe von heute 25-Jährigen angibt, Arbeit sei ihr nicht wichtig, wird dies schnell als generelle Einstellung der Generation Z interpretiert. 

Tatsächlich liegt hier aber ein Alterseffekt vor: Die Analyse zeigt, dass die jüngeren Teilnehmenden der IVS – unabhängig von ihrem Geburtsjahrgang – schon immer weniger arbeitswillig waren als Teilnehmende mittleren Alters. Heißt: Als die Boomer-Generation in ihren Zwanzigern war, erreichte sie bei der damaligen Befragung ebenfalls niedrigere Motivationswerte als im höheren Alter.

Diskriminierendes Schubladendenken

Eine wichtige Rolle spielt außerdem der Periodeneffekt, also der historische Zeitpunkt, zu dem die Befragung durchgeführt wurde. Er zeigt, dass die Bedeutung, die Individuen der Arbeit beimessen, einem stetigen Wandel unterliegt – unabhängig von der Generationszugehörigkeit. „Was wir herausgefunden haben, ist, dass wir heute schlicht alle anders ticken als vor 30 Jahren“, so Schröder. Im aktuellen Trend wird Erwerbsarbeit allgemein als weniger wichtig eingestuft, als es früher der Fall war. „Das gilt für den 15-Jährigen genauso wie für den 60-Jährigen.“

BELIEBT

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    Laut Schröder neigen wir dazu, Generationen zu sehen, wo es gar keine gibt. „Unser Gehirn liebt es, Menschen in Gruppen einzuteilen, weil dies uns erlaubt, unsere eigene soziale Gruppe als besser als andere zu sehen, was uns ein befriedigendes Gefühl gibt“, sagt er. Dieser Generationismus sei ebenso wie Sexismus und Rassismus ein Instrument, um Menschen zu kategorisieren, stereotypisieren und aufgrund angeborener Merkmale zu diskriminieren.

    Generationsfrage nur ein Klischee

    Das ist Schröder zufolge „nicht nur unmoralisch, sondern oft auch illegal.“ Trotzdem handelt es sich um ein in unserer Gesellschaft allgegenwärtiges Problem, das oft noch befeuert wird, weil, so Schröder, viele Menschen ein Interesse daran hätten, Generationen gegeneinander abzugrenzen. Aus dem einfachen Grund, dass sie ihm zufolge „mit dieser Behauptung schlicht und einfach Geld verdienen“. Sie bilde die Existenzgrundlage sogenannter Jugendforscher, die „generationensensible“ Coachings, Bücher und Vorträge verkaufen, die Ratschläge zu einem Phantom erteilen, das sich als Phänomen tarnt.

    Ironischerweise war der Ruf nach Beweisen für Unterschiede zwischen den Generationen Stein des Anstoßes für Schröders Analyse. „Ein Verlag stellte mir einen lukrativen Buchvertrag in Aussicht, wenn ich nur zeigen könnte, dass die Generation Y ‚anders‘ tickt als die älteren Generationen“, sagt er. Wissenschaftlich nachgewiesen ist nun das Gegenteil: Die faulen Generationen Y und Z sind demnach ebenso ein Klischee wie der hartarbeitende Babyboomer.

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