Genetische Armut: Schimmelkäse vom Aussterben bedroht

Edelpilzkulturen verleihen Käse wie Camembert und Roquefort ihren typischen Geschmack. Doch standardisierte Produktion und Selektion bringen die Vielfalt auf den Käseplatten dieser Welt in Bedrängnis.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 4. März 2024, 08:53 MEZ
Eine Auslange mit verschiedenen Käsesorten und Preisschildern.

Umdenken an der Käsetheke: Einige Schimmelkäsesorten werden wohl in Zukunft ihr Aussehen und ihren Geschmack ändern - oder von unseren Tellern verschwinden.

Foto von Eric Prouzet / Unsplash

Edelpilze, die dem Käse während des Reifeprozesses hinzugefügt werden, verändern seine Konsistenz, sein Aussehen und den Geschmack. Für den menschlichen Organismus sind sie unschädlich. Nur wenige Pilzarten erfüllen die Kriterien einer Edelschimmelkultur. Für die blaue Farbe im Roquefort und den weißen, seidigen Flaum auf dem Camembert sind Unterarten der Gattung Pinselschimmel (Penicillium) verantwortlich.

In Frankreich, einem Land, das wie kein zweites für Käsegenuss steht, schlagen Forschende nun Alarm. Durch Auflagen der Lebensmittelindustrie und die Art der Kultivierung der wertvollen Sporen sei die genetische Vielfalt wichtiger Penicillium-Arten inzwischen stark verkümmert, warnt das Centre national de la recherche scientifique (CNRS) in Paris. Es bestehe die Gefahr, dass bestimmte Edelpilzstämme aussterben und es etwa Camembert, so wie wir ihn heute kennen, bald nicht mehr geben wird.

Artensterben auf der Käseplatte

Pilzstämme, die bei der Käseherstellung zum Einsatz kommen, müssen strenge Anforderungen erfüllen. Sie sollen schnell wachsen, einen guten Geschmack und ein appetitliches Aussehen hervorbringen und dürfen vor allem keine Mykotoxine bilden – giftige Stoffwechselprodukte, die den Verzehr gefährlich machen würden. Um dies jederzeit zu gewährleisten, nutzt die Industrie je nach Käsesorte meist nur einen einzigen, bewährten Pilzstamm.

Für die Herstellung von Brie und Camembert wird seit über 120 Jahren weltweit ein spezifischer Stamm des Blauen Camembertschimmels (Penicillium camemberti) verwendet. Bis in die Fünfzigerjahre verliehen die Pilze dem Käse auch mal eine graue, grüne oder sogar orangefarbene Rinde auf. Weil aber die weiße Variante des Oberflächenschimmels am beliebtesten war, setzte die Käseindustrie bald nur noch auf den Albino-Stamm von P. camemberti.

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    Kulturen von P.camemberti (weiß) und P. biforme (gräulich grün) in einer Petrischale.

    Foto von Tatiana Giraud

    Das Problem: Diese Variante kann sich nur vegetativ vermehren. Durch die industrielle Züchtung hat sie im Laufe der Jahre durch Mutationen mehr und mehr die Fähigkeit verloren, Sporen zu bilden. Inzwischen ist ihre Zahl so gering, dass die Käsehersteller Schwierigkeiten haben, die Produktion am Laufen zu halten. 

    Starke Selektion, verkümmertes Genom

    „Das passiert, wenn die sexuelle Fortpflanzung komplett eingestellt wird“, sagt Tatiana Giraud, Biologin an der Université Paris-Saclay, die am CNRS zu Käse forscht. „Die einzige Möglichkeit, schädliche Mutationen zu kompensieren, ist die Einführung neuer Gene – die berühmte genetische Vermischung.“ Diese finde aber seit Jahrzehnten nicht statt.

    Eine andere bedrohte Käsesorte ist der Roquefort. „Bisher waren weltweit nur vier Stämme der Art P. roqueforti bekannt“, sagt Jeanne Ropars, Evolutionsgenetikerin im Laboratoire Écologie, Systématique et Évolution des CNRS. Zwei dieser Stämme kommen bei der Käseherstellung zum Einsatz. 

    Auch sie werden inzwischen hauptsächlich von der Industrie gezüchtet, die sich dabei ganz auf die vegetativ vermehrte Linie verlässt. Selbst kleine Betriebe, die lange eigene Stämme gezüchtet haben, beziehen ihre Kulturen heute meist über große Anbieter. Der meistgenutzte P. roqueforti-Stamm ist inzwischen so degeneriert, dass er nahezu unfruchtbar ist.

    Rettung für klassische Käsesorten

    Doch es gibt Hoffnung: Giraud und Ropars haben einen seltenen Schimmelkäse namens Bleu de Termingnon, der ausschließlich auf Almen im Parc National de la Vanoise hergestellt wird, untersucht. Was sie herausfinden, könnte die Roquefort-Produktion retten. 

    Bei der Sequenzierung des Genoms des blaugrünen Schimmels zeigte sich nämlich, dass es sich dabei um einen bisher unbekannten Stamm von P. roqueforti handelt.Käsehersteller könnten diesen Stamm nutzen. Aber, so die Forscherinnen, um die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden, müsse man den Pilzstamm sexuell statt vegetativ vermehren. „Was wir heute brauchen, ist die Vielfalt, die durch die sexuelle Fortpflanzung zwischen Individuen mit unterschiedlichen Genomen entsteht“, sagt Giraud.

    Und wie ist der Camembert noch zu retten? Giraud und Ropars schlagen den Einsatz von Penicillium biforme vor, einem Pilzstamm, der P. camemberti genetisch und phänotypisch ähnelt und in Rohmilch vorkommt. Allerdings würden sich durch P. biforme Geschmack, Konsistenz und Farbe des Camemberts vermutlich ändern. Gleiches würde wohl auch auf die neue Roquefort-Linie zutreffen, deren größere genetische Vielfalt zu Schwankungen beim Endprodukt führen könnte. 

    Generell, so die Forscherinnen, müssten Käseliebhaber zukünftig eine größere Flexibilität an den Tag legen, wenn sie diese und andere Käsesorten weiter genießen möchten. Sie sehen es aber auch als Chance, denn vielleicht ist dieser genetisch vielfältigere Käse sogar eine kulinarische Bereicherung. 

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