Immunsystem stärken: „Man muss seinen Körper regelmäßig stressen“
Die körpereigene Abwehr kann man mit seinem Lebensstil deutlich verbessern. Aber was hilft am besten? Ein Gespräch mit Internistin und Präventionsmedizinerin Alessa Beckers.
Von Eisbaden bis grüner Smoothie: Um fit zu bleiben und das Immunsystem zu stärken, ergreifen viele harte Maßnahmen.
Der Frühling ist offiziell angekommen in Deutschland. Doch trotz wärmerer Temperaturen liegen viele Menschen gerade krank im Bett – ob mit Atemwegserkrankung oder grippeähnlichem Infekt. Geht das nicht auch anders? Und wenn ja: Wie? Wir haben eine Ärztin gefragt, wie man sein Immunsystem gegen kommende Infekte stark macht.
Dr. Alessa Beckers ist Fachärztin für Innere Medizin und Präventivmedizinerin (DAPM). Sie hat unter anderem an der Berliner Charité und am Helios Klinikum Berlin-Buch gearbeitet. Heute führt sie eine Praxis für ganzheitliche und funktionelle Medizin in Berlin.
Frau Beckers, wie viele Infekte hatten Sie diesen Winter?
Ich? Keinen zum Glück.
Klingt nach Zauberei. Wie kriegt man das hin?
Ich könnte jetzt sagen: mit einer gesunden Lebensweise. Aber ein gutes Immunsystem ist auch ein bisschen angeboren. Es gibt die unspezifische Immunantwort, auch angeborenes Immunsystem genannt. Dazu kommt die adaptive Immunantwort, die auch erlerntes Immunsystem genannt wird…
…letzteres wird im Kindesalter durch Infekte gestärkt und aufgebaut.
Genau, aber es geht schon im Bauch los. Es gibt viele Hinweise darauf, dass bereits zählt, wie sich die Mutter während der Schwangerschaft ernährt hat. Einen Unterschied macht es auch, ob man spontan – also durch den Geburtskanal – auf die Welt gekommen ist oder per Kaiserschnitt. Ob man gestillt wurde oder nicht, ob man früh Antibiotikum bekommen hat oder nicht. Das alles wirkt sich unter anderem auf das Mikrobiom im Darm aus – und wenn das gut aufgebaut ist, ist das schon mal eine gute Ausgangssituation.
Dinge wie die Geburt oder das Stillen kann ich als erwachsener Mensch nachträglich nicht mehr beeinflussen. Trotzdem kann man sein Immunsystem bekanntermaßen stärken. Was hilft am besten?
Ein wichtiger Faktor ist eine gesunde Ernährung. Man sollte möglichst frische, naturbelassene Lebensmittel essen, die im Optimalfall nicht so lange Lieferketten hinter sich haben – und zu Zeiten angebaut werden, in denen sie auch Saison haben.
“Obst und Gemüse, das in Gewächshäusern angebaut wurde, enthält deutlich weniger Nährstoffe.”
Macht das einen großen Unterschied?
Studien haben gezeigt, dass Obst und Gemüse, das in Gewächshäusern angebaut wurde, deutlich weniger Nährstoffe enthält. Eine rote Paprika hat dann kaum noch Vitamine – dabei ist sie sonst extrem vitaminreich. Also: Ja, es macht einen großen Unterschied. Und je kürzer die Zeit zwischen Ernte und Verzehr ist, desto besser. Auch unreif geerntetes Obst und Gemüse, das durch Lagerung nachreift, ist meistens nicht besonders nährstoffreich.
Sie sprachen das Mikrobiom im Darm an. Gibt es einen einfachen Tipp, wie ich das stärken kann?
Eher schwierig. Das Mikrobiom ist ein hochkomplexes Ökosystem in unserem Körper, das aus unzähligen Bakterien besteht. Auch die Zellen der Darmschleimhaut haben wichtige Funktionen, sie produzieren sogar unter anderem Vitamine und Serotonin – das bekannte Glückshormon. Es gibt Prä- und Probiotika, die wir in der Praxis gezielt nach Stuhlanalysen empfehlen. Natürlich spielt auch die Ernährung eine entscheidende Rolle. Ernährung kann hier viel mehr als nur ,etwas unterstützen‘.
Wie zum Beispiel?
Förderlich sind fermentiertes Gemüse wie Sauerkraut und Kimchi oder milchsauer vergorene Lebensmittel. Sie liefern Milchsäurebakterien, die zu den schützenden Darmbakterien gehören. Wichtig ist jedoch, individuell auf Unverträglichkeiten zu achten. Auch Nahrung, die reich an präbiotischen Ballaststoffen ist, hilft: abgekühlte Kartoffeln oder Reis, Artischocken, Chicorée, Hülsenfrüchten, Wurzelgemüsen und Getreide wie Haferflocken oder auch geriebene Äpfel.
Es gibt den berühmten Satz „An apple a day keeps the doctor away“. Ist der heute überholt?
Er könnte auch heißen: „a kiwi a day“ – oder „a paprika a day“. Warum es gerade der Apfel ist, liegt wohl an der Zeit, aus der der Satz kommt: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde erstmals entdeckt, dass Äpfel viele gesundheitsfördernde Vitamine, Nährstoffe und sekundäre Pflanzenstoffe haben. Der Apfel allein rettet aber keinen sonst ungesunden Lebensstil. Auch die Kiwi nicht. Und es gibt übrigens auch Unterschiede bei den verschiedenen Apfelsorten.
Welche?
Je roter und dunkler die Apfelschale ist, desto reicher an Nährstoffen und sekundären Pflanzenstoffen ist er. Der klassische grüne Granny Smith ist nicht so gesund wie ein Braeburn.
Zur Stärkung des Immunsystems wird auch zu scharfem Essen geraten. Warum?
Scharfmacher wirken antibakteriell, antiviral und positiv immunmodulierend. Sie können zum Beispiel die Anhaftung von krankmachenden Erregern an den Schleimhäuten reduzieren, aber auch die Vermehrung von Bakterien und Viren hemmen. Zudem versetzen sie die Immunzellen in eine größere Alarmbereitschaft. Alicin aus dem schwarzen Knoblauch und Gingerole aus Ingwer zeigen hier interessante Wirkungen.
Sie sind keine Ernährungsberaterin, sondern Ärztin. Trotzdem reden wir seit einer Viertelstunde übers Essen. Sprechen Sie mit ihren Patient*innen auch viel über Ernährung?
Ernährung ist ein Thema in den Sprechstunden. Aber einen gesundheitsförderlichen Lebensstil muss man natürlich auf mehreren Säulen aufbauen. Es gibt zum Beispiel viele Patient*innen, die nehmen Nahrungsergänzungsmittel bis zum Umfallen – sogenannte Supplements sind heute ein großer Trend. Sie denken: Vitamine? Nehme ich doch alle. Trotzdem stolpern sie von einem Infekt in den nächsten und verstehen die Welt nicht. Wenn man mit ihnen spricht, kommt dann raus: Sie schlafen nicht ausreichend, haben psychische Belastungsfaktoren, die sie nicht angehen können oder möchten, und rauchen vielleicht sogar noch. Das ist natürlich nicht besonders erfolgversprechend.
Was ist die erste Frage, die Sie Patient*innen stellen, die dauernd krank sind?
Eine Standardfrage habe ich nicht. Wir schauen uns ganz viele verschiedene Themen an und machen auch immer eine große Blut- und Stuhluntersuchung. Eine wichtige Frage ist aber: „Wachen Sie am Morgen erholt auf?“ Einige ziehen dann ihr Handy raus und lesen von einem Schlaftracker ab: „Insgesamt zwei Stunden REM-Schlafphasen, heute ist die Bodybattery auf 80 Prozent“. Ob sie erholt aufgewacht sind, können sie oft nicht beantworten. Viele Menschen verlassen sich heute nur noch auf Daten – und hören nur noch wenig auf ihren Körper.
Was ist gesunder Schlaf?
Wenn man immer ungefähr zur gleichen Zeit ins Bett geht und herausgefunden hat, welche Schlafphase am erholsamsten für einen selbst ist. Man sollte eigentlich mindestens sieben Stunden schlafen, manche brauchen da mehr, manche weniger. Und es ist gut, wenn der Raum kühl, ruhig und abgedunkelt ist.
Galerie: Schlafen in extremen Umgebungen
Also: gesundes Essen, erholsamer Schlaf. Was sagt die aktuelle Medizin: Gibt es noch weitere Dinge, die man tun kann?
Studien zeigen, dass regelmäßiges Fasten einen sehr guten Effekt auf den Körper hat. Und Mitochondrien sind natürlich auch in der präventiven Medizin ein großes Thema. Das sind die Energiekraftwerke der Körperzelle, die dafür sorgen, dass alle Stoffwechselfunktionen gut ablaufen. Auch die Killer- und T-Zellen, die für die Abwehr verantwortlich sind, haben Mitochondrien. Je besser die funktionieren, desto besser funktioniert auch die Abwehr.
Wie kann man diesen Energiekraftwerken helfen?
Es gibt gezielte medizinische Therapien, die wir bei geschwächten Mitochondrien in der Praxis anwenden. Aber man kann auch durch gezielte Nährstoffaufnahme viel erreichen, oder durch sogenannte Reiztherapien: Eisbaden, Sauna, Atemübungen oder eben Fastenphasen – bei entsprechenden Voraussetzungen.
Schwitzen und frieren für die Gesundheit: Es ist wichtig, seinen Körper regelmäßig an die Grenzen zu bringen, um sein Immunsystem zu stärken.
Hilft da schon Intervallfasten, oder sollte man mehrere Tage lang auf Essen verzichten?
Da scheinen auch schon kurze regelmässige Nahrungspausen ausreichend zu sein. Einfach mal einen ganzen Tag in der Woche ganz auf Essen verzichten oder dauerhaft Intervallfasten wirkt positiv regulierend auf den Körper. Ich versuche viele meiner Patienten dazu zu motivieren. Für den Körper ist es das natürlichste der Welt – und er kann sich in den Phasen erholen. Es werden viele interessante und sehr regenerative Mechanismen im Zellstoffwechsel aktiviert. Einer der bekanntesten ist die sogenannte Autophagie, in der sich die Zelle selbst erneuert. Studien zeigen da auch: Wer regelmäßig fastet, kann sein biologisches Alter senken. Wenn man eine Wirkung auf Zellebene erreichen möchte, ist es aber wichtig, wirklich nur Wasser und Tee zu trinken. Ein Espresso geht auch, aber nur ohne Milch. Säfte sind Tabu. Diese umworbenen Saftkuren sind häufig nicht empfehlenswert.
Helfen aber natürlich gegen Hunger...
Ja. Aber kurz gesagt: Es hilft, seinen Körper auch mal regelmäßig zu stressen. Das können auch Wechselduschen sein oder intensiver Sport – der ebenfalls die Regeneration von Mitochondrien unterstützen kann. Das schlimmste Szenario, das man seinem Körper antun kann, ist: morgens aufwachen, dann Frühstück mit Ei, Bacon und Schokobrötchen, ab ins Auto in die Tiefgarage des Büros, mit dem Aufzug hoch. Dann läuft man vielleicht 10 Meter zum Bürostuhl und abends das Ganze zurück, mit dem Ziel Sofa. Unser Körper braucht Bewegung und auch mal Temperaturwechsel. Es gibt wirklich Leute, die im Winter überhaupt nicht rausgehen, weil es ihnen zu kalt ist. Kälte, Hitze, Hunger und intensive körperliche Belastung, dem will sich niemand aussetzen. Unsere Definition von Luxus ist aber nicht sonderlich förderlich für den Körper und die Gesundheit.
Dr. Alessa Beckers ist Fachärztin für Innere Medizin und Präventivmedizinerin (DAPM). Sie hat unter anderem an der Berliner Charité und am Helios Klinikum Berlin-Buch gearbeitet. Heute führt sie eine Praxis für ganzheitliche und funktionelle Medizin in Berlin.
Sie haben vorhin den Trend um Nahrungsergänzungsmittel angesprochen. Raten Sie zur Einnahme von Supplements für das Immunsystem?
Nicht pauschal, nein. Aber häufig finden wir doch ausgeprägte Nährstoffmängel, die wir dann gezielt ausgleichen. Vitamin D zum Beispiel ist bei einigen Menschen oft künstlich nötig: Zum Falten- und Hautkrebsschutz nehmen viele schon am Morgen 50er LSF, auch wenn sie nur kurz draußen sind. Damit beugt man Falten vor und schützt die Haut vor Hautkrebs – aber Vitamin D produziert man dann auch nicht mehr.
Haben Sie noch einen Tipp für Menschen, die sich gerade so fühlen, als ob sie krank würden?
Rechtzeitig Ruhephasen machen. Viele machen einfach weiter und hoffen, dass die Krankheit nicht durchbricht. Besser ist es, sich auf die Couch zu legen und runterzufahren. Dazu eine Extraportion Vitamin C - auch in Form von Supplementierung, und die am besten in kleineren Portionen über den Tag verteilt. Vitamin C ist nicht hitzebeständig, also lieber eine kalte Zitrone als eine heiße trinken. Und Zink am besten auf nüchternen Magen. Ingwer ist ein Wundermittel, je kleiner verarbeitet, desto besser – also ins Wasser reiben, nicht in Scheiben schneiden. Sehr gut hilft auch Überwärmung, also künstliches „Fieber“ machen, sprich: eine heiße Badewanne. Dann kann es immer noch in die richtige Richtung gehen.