Mehr als nur Schwitzen: Die Geschichte der finnischen Sauna

Einst als Lebensmittelpunkt überlebenswichtig, ist die Schwitzstube heute der Inbegriff für Erholung und Entspannung. Sogar Weltpolitik wird darin gemacht. Über die Ursprünge einer Lebensphilosophie.

Von Marina Weishaupt
Veröffentlicht am 8. Dez. 2023, 16:17 MEZ
Ein kolorierter Holzstich zeigt das innere einer Sauna, aus deren Ofen Dampf aufsteigt. Frauen und Männer ...

Schwitzendes Beisammensein: Traditionell massiert man sich in der finnischen Sauna mit frischen Birkenquasten, wie dieser kolorierte Holzstich aus dem Jahr 1852 zeigt.

Foto von Olof Sörling / Wellcome Collection

Während draußen die Polarlichter am Himmel tanzen, ist die Rauchsauna im Nordosten Finnlands dürftig beleuchtet. Ein Duftgemisch aus Rauch, Torf und frischen Birkenblättern liegt in der feuchten Luft. Stunde um Stunde erfüllen Gespräche und Aufgüsse den Raum, es wird sich entweder mit Wasser aus Bottichen oder im nahegelegenen See abgekühlt. Sechs bis acht Stunden Vorbereitung erfordert dieses urige – für Reisende einzigartige – Erlebnis.

Für die Einheimischen gehört es beinahe zum Alltag. Land und Leute sind bekannt für das schwitzige Beisammensein im bis zu über 100 Grad heißen Dampf. Die Zahlen sprechen für sich: In Finnland kommen drei Millionen Saunen auf fünfeinhalb Millionen Menschen. Seit 2018 gilt die finnische Saunakultur als UNESCO Weltkulturerbe – im selben Jahr wurde sie auf einer Zwei-Euro-Münze verewigt.

Neben den Finnen beanspruchen unter anderem die Esten die Wiege der modernen Saunakultur für sich. Doch tatsächlich reichen die Anfänge des Schwitzbades noch tiefer in die Vergangenheit zurück.

Ursprung der Sauna: Am Anfang war die Schwitzhütte

Schon die Steinzeitmenschen, die hauptsächlich in Zelten aus Ästen oder Knochen und Tierfellen lebten, sollen die ersten „Schwitzhütten“ geschaffen haben. Löschten sie das in den Zelten lodernde Feuer mit Wasser, blieb die Hitze der Steine noch lange erhalten und wärmte die direkte Umgebung des Lebensmittelpunktes.

Während die trockene oder feuchte Hitze in kalten Nächten zum Überleben verhalf, trug sie das ganze Jahr über zur Körperhygiene bei. Denn als positiver Nebeneffekt sterilisierte der Rauch auch das Innere der Zelte. Zudem war das Konzept der Schwitzstube samt dem Erfolgsrezept Feuer, Wasser, Steine ortsunabhängig anwendbar – und damit optimal für das steinzeitliche Nomadenleben.

Rituelles Schwitzen rund um die Welt

Wo genau die ersten, ursprünglichen Schwitzhütten der Steinzeit entstanden, lässt sich heute nicht einwandfrei sagen. Sicher ist, dass sich ihre Tradition in vielen Kulturen entwickelte. So hielten neben den Urvölkern Nordeuropas und Asiens auch die Römer in der Antike Schwitzbäder ab. Eine ähnlich lange Tradition haben rituelle Reinigungen, wie sie aus dem arabischen Hammam bekannt sind. Auch aus Nordamerika weiß man von Schwitzritualen, etwa vom sogenannten Inipi der Siouxvölker. Und aus Südamerika stammt das heilende Kräuterdampfbad Temascal.

Das typische Schwitzbad einiger indigener Völker Nordamerikas verhielt sich ganz ähnlich zu den ersten Dampfbädern auf dem Europäischen Kontinent.

Foto von Wellcome Library

Früheste schriftliche Belege für den spirituellen Gebrauch von Schwitzhütten stammen vom antiken griechischen Völkerkundler Herodot (um 490 bis 424 v. Chr.). Dieser berichtet von den rituellen Dampfbädern des nomadischen Reitervolkes der Skythen in der heutigen Region Kaukasiens: Mittels Opium und Cannabis sorgten sie neben dem Dampf zudem für Rauch, „den kein griechisches Schwitzbad übertreffen konnte. Die Skythen werden so froh dabei, dass sie laut heulen“.

Immer wieder neu erfunden: Die Evolution der nordischen Sauna 

In manchen Regionen der Welt verschwand die Kultur der Schwitzhütten vermutlich mit den Menschen, die sie praktizierten. Anders im Nordosten Europas: Dort entwickelte sich die schwitzige Tradition stetig weiter. Laut Katri Wessel, Lektorin für finnische Sprache, Landeskunde und Literatur am Institut für Finnougristik der Ludwig-Maximilians-Universität in München (LMU) gruben die frühen Bewohner Nordeuropas anfänglich Löcher in die Erde oder den Schnee, die sie mit Holz und Tierfellen bedeckten. „In diese hat man dann heiße Steine eingebracht“, sagt Wessel. In der Kultur der Samen liege ebenso der Ursprung des Begriffes „Sauna“.  „Das Urvolk im Norden bezog sich damit auf Höhlen, die sich Vögel im Schnee gebaut haben“, sagt Wessel.

Als die Menschen während der Bronze- und Eisenzeit langsam sesshafter wurden, kamen schließlich die ersten Rauchsaunen auf. In ihnen loderte über viele Stunden ein Feuer, das wiederum einen großen Steinhaufen erhitzte. Aufgrund des fehlenden Schornsteins entwickelte sich dadurch sehr viel Rauch, der vor der Nutzung abgelassen wurde.

BELIEBT

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    Links: Oben:

    Kein Flammeninferno, sondern gewollt: Durch stundenlanges Erhitzen der Steine bildet sich dichter Rauch. (Fotografie um 1942-1946)

    Foto von M.E. Palomäki
    Rechts: Unten:

    Bis heute ist die Rauchsauna eine beliebte Form des Saunierens in Finnland und Estland. 2014 ernannte die UNESCO die estnische Rauchsauna-Tradition sogar zum immateriellen Kulturerbe.

    Foto von Estoniansaunas / Wiki Commons

    Darüber hinaus startete im 18. und 19. Jahrhundert vom Westen Finnlands aus eine kleine Revolution: Die Saunaöfen wurden zuerst um Schornsteine ergänzt und im 20. Jahrhundert von Gas- und Elektroöfen abgelöst. Dies verkürzte nicht nur die Zeit des Einheizens um viele Stunden, es erleichterte auch das spontane Saunieren im beschäftigten Alltag. Diese stetige Weiterentwicklung könnte wohl auch ein Grund dafür sein, weshalb die finnische Sauna bis heute fest im Alltag und in der Kultur der Finnen verankert ist. Laut Wessel hat sie sich „als ursprüngliches Element der Kultur auch immer wieder flexibel an die Gegebenheiten der Zeit angepasst.“

    Lebensmittelpunkt Sauna – von der Geburt bis zum Tod

    „Die ursprüngliche Idee der finnischen Sauna war die Reinigung, meist einmal die Woche“, sagt Wessel. Vor allem auf dem Land, wo täglich hart gearbeitet wurde, fiel dieser Termin regulär auf einen Samstag. Die lange Vorbereitungszeit ließ häufigeres Saunieren schlichtweg nicht zu. Der Saunatag entsprach also dem Badetag, wie er hierzulande bis in die Mitte der Neunziger Jahre üblich war.

    Neben dem Aspekt der Reinigung bedeutete die Kultur des Schwitzbades aber noch weitaus mehr. Im kalten Klima Nordeuropas war sie der Lebensmittelpunkt: Hier wurde gelebt, gekocht, gefeiert, geboren und getrauert. Die Sauna war der Ort, an dem das Leben begann und endete. „Zum einen hat die Sauna den Vorteil, dass man darin Wärme herstellen kann. Zum anderen kann man sie relativ leicht reinigen, da sie sowieso der Ort ist, an dem man sich wäscht", sagt Wessel. Bis in die Zeit, in der Hausgeburten in Finnland üblich waren, nutzten Frauen daher diese hygienischen Räumlichkeiten, um ihre Kinder zur Welt zu bringen.

    Gleichzeitig eignete sich die Sauna – die laut Katri Wessel durchaus etwas entfernt vom Wohnhaus lag – als Rückzugsort. Dieser Punkt spielte auch am Ende eines Lebens eine große Rolle. Verstorbenen Angehörigen wurde hier mittels ritueller Reinigungen die letzte Ehre erwiesen. „Was dabei auch noch mit hinein spielt: Die Sauna ist nur ein warmer Ort, wenn sie geheizt wird. Im Hinblick auf die Totenruhe könnte dies auch einen konservatorischen Aspekt gehabt haben“, sagt Wessel.

    Düster und dennoch heimelig: Einmal in der Woche hieß es in Finnland nicht Wasch-, sondern Saunatag. Ölgemälde um 1889.

    Foto von Akseli Gallen-Kallela / Wiki Commons

    Übersinnliche Geistwesen und Saunawichtel

    Im Alltag wurde meistens sauniert, wenn es draußen noch hell war. Bis ins 19. Jahrhundert hatte dies mit einem verfestigten Glauben an übersinnliche Geister- oder Wichtelwesen zu tun. Vor allem zur dunklen Jahreszeit beschäftigten sich die Menschen mit diesen teils gruseligen Vorstellungen.

    „Gegen Ende Oktober und Anfang November galt die Grenze zwischen der Welt der Lebenden und Toten als durchlässiger. In diesen Zeiten waren Geistwesen oder die Geister Verstorbener gegenwärtig“, sagt Wessel. Nachdem man sauniert hatte, sei es durchaus gängig gewesen, den übersinnlichen Wesen Speisen und Restwärme zu „opfern“ und sich selbst aus der Sauna zurückzuziehen. Besonders an Weihnachten glaubte man, die Geister würden sich nach Einbruch der Dunkelheit von der Anwesenheit der Menschen in der Sauna gestört fühlen, so Wessel.

    Hitzige Diskussionen auf Augenhöhe: In der Sauna sind alle gleich

    Wollte man sich früher den Ärger mit den Geistern ersparen, wird in der Schwitzstube heutzutage durchaus hitzig diskutiert. Neben Familienpflichten und freundschaftlichen Treffen werden auch geschäftliche Beziehungen in der Sauna gepflegt.

    Selbst im finnischen Parlament wird die Sauna genutzt, um spärlich bekleidet über Weltpolitik zu diplomatisieren. So werden Gespräche, Diskussionen oder gar Verhandlungen ebenbürtig geführt. Die flache Hierarchie im Sprachgebrauch – in Finnland wird sich nur selten gesiezt, man spricht Vorgesetzte oder Fremde viel häufiger mit Vornamen an – wird dabei in der Schwitzstube konsequent fortgesetzt.

    Exportschlager: Der weltweite Erfolg der finnischen Sauna

    So stolz das Land auf seine Saunakultur war und ist – der „Export“ über die Grenzen Finnlands hinaus, unter anderem auch nach Deutschland, war laut Katri Wessel nicht unbedingt beabsichtigt. „1924 hatten die finnischen Sportler und Sportlerinnen ihre eigene Sauna bei den Olympischen Winterspielen in Frankreich dabei“, sagt Wessel. Die sportlichen Erfolge Finnlands – insgesamt elf Medaillen und der zweite Platz des Medaillenspiegels – wurden wohl mit dem Nutzen der Sauna verknüpft. „Damals ist zumindest die sportliche Welt sehr aufmerksam auf die finnische Saunakultur geworden. Vermutlich geriet sie dadurch derart in den Fokus“, sagt Wessel.

    Heute überwiegt in Finnland die Zahl der Saunen die der zugelassenen Autos um einiges. Im Autoland Deutschland geben laut der Statistikplattform Statista immerhin etwa 5 Millionen Menschen an, regelmäßig zu saunieren – 25,96 Millionen Personen häufig oder zumindest hin und wieder. Das Schwitzbad ist und bleibt beliebt: Im Zuge der Pandemie vermeldete der Deutsche Sauna-Bund bis zu 20 Prozent höhere Verkaufserlöse für Hersteller durch Privatpersonen.

    Richtig Saunieren: Es gibt nur eine Regel

    Doch wie sauniert man „richtig“ auf die finnische Art? Muss das Thermometer beim traditionellen finnischen Schwitzen wirklich die 100 Grad knacken? Entgegen aller hierzulande gängigen Saunakonventionen lernt man in Finnland vor allem eines: Es gibt so gut wie keine Regeln. Jede und jeder sauniert eben so, wie es sich für sie oder ihn gut anfühlt. „Die Verantwortung liegt bei der Person selbst – und beim eigenen Körpergefühl“, sagt Wessel. Dies gelte gleichermaßen für Dauer, Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Art der Abkühlung.

    Ob klein oder groß, geschwitzt wird nach der Faustregel: Jede*r so, wie er oder sie mag.

    Foto von huumsauna / unsplash

    Im Hinblick auf das Miteinander gebe es dann aber doch eine wichtige Regel, die zumindest in Finnland zur Etikette gehört. „Finnen gehen auch im Privaten – wenn man beispielsweise eingeladen wird – meist erst einmal davon aus, dass Männer und Frauen getrennt saunieren. Alles andere ist dann Vereinbarungssache“, sagt Wessel. Altersbeschränkungen gab und gebe es in Finnland keine – Wessel selbst sei als Kind bereits vollständig in die Tradition involviert gewesen.

    Auch der Aufguss wird in Finnland längst nicht so ernst genommen, wie man es vielleicht erwartet. „Es gehört sich, vorher zu fragen, ob man ihn machen darf. Es gehört sich nur nicht, den Aufguss zu machen und direkt danach selbst die Sauna zu verlassen“, sagt Wessel.

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