Immun gegen Skandale: Politiker, die lügen und leugnen, werden belohnt

Machtmissbrauch, Wahlbetrug, Korruption: Politiker*innen, die dieser und anderer Vergehen beschuldigt werden, geben ihre Schuld nur selten zu. Schaden nehmen politische Karrieren durch solche Skandale kaum. Wie kann das sein?

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 18. Juni 2024, 09:51 MESZ
Donald Trump steht auf einer Bühne und seine Anhänger schauen zu ihm auf.

Donald Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung im März 2016 in Fountain Hills, Arizona. Trotz zahlreicher Skandale wurde er einige Monate später zum Präsidenten der USA gewählt.

Foto von Gaga Skidmore / Wikimedia Commons

Ende Mai 2024 wird Donald Trump, ehemaliger US-Präsident und erneuter Präsidentschaftskandidat der Republikaner, von einem New Yorker Strafgericht wegen Verschleierung schuldig gesprochen. Ihm drohen eine Geld- und eine mehrjährige Freiheitsstrafe. Trump war in den vergangenen Jahren in unzählige Skandale verwickelt, doch bisher perlten diese zuverlässig an ihm ab. Unbeschadet konnte er seinem Amt und Wahlkampagnen nachgehen und sich der Unterstützung seiner Anhänger und großer Teile seiner Partei gewiss sein. Er gab seine Verfehlungen nie zu und tut es auch jetzt, trotz rechtskräftiger Verurteilung, nicht. Stattdessen bezeichnet er sich als „politischen Gefangenen“.

Im privaten Umfeld wird erwartet, dass Menschen, die sich falsch verhalten und dabei erwischt werden, für ihren Fehler gerade stehen und sich entschuldigen. Für Politiker scheint diese Regel aber nicht zu gelten. Das belegt die Studie eines US-amerikanischen Forschungsteams unter der Leitung des Politikwissenschaftlers Pierce Ekstrom von der University of Nebraska-Lincoln, die in der Zeitschrift Personality and Social Psychology Bulletin erschienen ist.

„Die wichtigste Frage unserer Forschung ist, ob die Menschen Politiker dafür belohnen, Fehlverhalten zu leugnen und sich der Verantwortung zu entziehen“, so Ekstrom. Und tatsächlich kommt die Studie zu dem Schluss, dass für Personen, die in einen politischen Skandal verwickelt sind, Lügen und Dementi die beste Strategie sind, wenn sie die Unterstützung von Wählern und Parteifreunden behalten wollen.

Dementi oder Entschuldigung: Was kommt besser an?

Die Studie basiert auf den Ergebnissen von drei Experimenten, die in den Jahren 2013 bis 2019 mit US-amerikanischen Teilnehmenden durchgeführt wurden. Im ersten Experiment wurden 403 Personen – darunter sowohl Anhänger der Demokraten als auch der Republikaner – 18 erfundene Nachrichten vorgelesen, in denen einem fiktiven Politiker namens Roger Wimsatt unter anderem Machtmissbrauch vorgeworfen wurde. Die Parteizugehörigkeit Wimsatts wurde im Laufe des Experiments ebenso geändert wie seine Reaktion auf die Vorwürfe. Mal stritt er sie rigoros ab, mal entschuldigte er sich für sein Verhalten.

Wie die Teilnehmenden auf Wimsatt reagierten, hing deutlich mit der eigenen Parteizugehörigkeit zusammen. Bei Personen, die dem gegnerischen politischen Lager zuzuordnen waren, konnte der fiktive Politiker weder mit einem Dementi noch einer Entschuldigung punkten. Bei Anhängern seiner eigenen Partei schadete die Entschuldigung zwar nicht, positiver wurde jedoch bewertet, wenn Wimsatt die Vorwürfe abstritt – unabhängig davon, wie glaubwürdig sein Dementi war.

Im Jahr 2014 kam Roger Wimsatt in einem weiteren Experiment zum Einsatz. Wieder wurden den nun 1.100 Teilnehmenden erfundene Meldungen vorgelegt, in denen der Politiker in Skandale verwickelt war. Dieses Mal änderten die Forschenden im Laufe des Experiments die Stellung Wimsatts in der Partei und die Motivation für sein Fehlverhalten: Mal war er Hinterbänkler in einem Ausschuss, mal nationaler Parteivorsitzender, mal versuchte er, sich persönlich zu bereichern, mal war seine Tat politisch motiviert.

BELIEBT

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    Parteispitze steht unter besonderem Schutz

    Wie schon im ersten Experiment erhielt Wimsatt nur Unterstützung von denjenigen, die Anhänger seiner Partei waren. Verglichen mit den Reaktionen auf ein Schweigen des Politikers, waren die Zustimmungswerte bei einem Dementi um 12 Prozent höher. Fehlverhalten aus parteipolitischen Gründen wurde von den Teilnehmenden gleicher Parteizugehörigkeit meist vergeben. Und: Je hochrangiger die Stellung des fiktiven Wimsatts in der Partei, desto mehr Unterstützung bekam er trotz des Skandals.

    „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Parteimitglieder wollen, dass Politiker*innen ihrer Partei Fehlverhalten abstreiten – insbesondere dann, wenn diese Personen wichtige Positionen innehaben, in denen sie die Parteiziele fördern“, heißt es in der Studie. Die Motivation sei zum einen, dass die Anhänger das Image der Partei schützen wollen, zum anderen ihre Sorge, dass die Partei ihre Ziele nicht erreichen könne, wenn ein wichtiger politischer Player in Misskredit gerät.  

    Diese Erkenntnis stützt ein drittes Experiment aus dem Jahr 2019, an dem 1.800 Personen teilnahmen. Im Mittelpunkt stand dieses Mal ein fiktiver Politiker namens Doug Courser, Senator aus Florida. Die Teilnehmenden lasen Meldungen über verschiedene Vergehen Coursers, darunter Wahlkampfbetrug, Steuerhinterziehung oder Vertuschung persönlicher Verfehlungen. In manchen Meldungen wurde Courser als entscheidende Stimme im Kampf um die Einteilung der Wahlbezirke vorgestellt, in anderen hatte er kaum politischen Einfluss. Coursers Reaktionen auf die Vorwürfe gegen ihn variierten in den Meldungen: von Reue bis hin zu aggressiven Dementis.

    Letztere wurden von Teilnehmenden, die die gleiche Parteizugehörigkeit hatten wie Courser selbst, durchweg positiver bewertet als eine Entschuldigung – unabhängig davon, ob sein Fehlverhalten persönlich oder politisch motiviert war.

    “Unter Parteianhängern herrscht die starke Norm – heute möglicherweise stärker denn je – sich hinter ihre Parteiführer zu stellen.”

    von Pierce Ekstrom
    Politikwissenschaftler

    Macht die politische Einstellung blind für Fehlverhalten?

    „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Anhänger einer Partei in unserer Studie positiver auf Parteiführer reagierten, die Vorwürfe von sich wiesen“, so Ekstrom. „Unter Parteianhängern herrscht die starke Norm – heute möglicherweise stärker denn je – sich hinter ihre Parteiführer zu stellen. Je wichtiger und unverzichtbarer ein Politiker für die Partei ist, desto engagierter werden Anhänger ihn und seine Versuche, sich zu verteidigen, unterstützen.“

    Zugehörigkeit zu oder Sympathie mit einer Partei scheinen also dazu zu führen, dass Grundsätze, die im Privaten bestehen, in Bezug auf Politiker und ihre Skandale über den Haufen geworfen werden. Der Erhalt der Macht und Erreichen der Ziele einer Partei werden über ethische und moralische Prinzipien gestellt. Als Donald Trump im Jahr 2016 bei einer Wahlkampfveranstaltung in Iowa sagte, er könne mitten auf der 5th Avenue in New York jemanden erschießen und würde trotzdem keine Wählerstimmen verlieren, hatte er der Studie zufolge also recht.

    „Wir als Bürger sollten in Bezug darauf, welches Verhalten wir von unseren Politikern erwarten, ehrlich gegenüber uns selbst sein“, sagt Ekstrom. „Wir müssen definieren, wo wir die Grenze für die Personen ziehen, die unser Land regieren oder regieren sollen – bevor ein Skandal auftritt, bevor wir die Details kennen. Denn wir wissen, dass wir dazu neigen, diese Grenzen für Politiker, die unsere Meinung vertreten, zu verschieben.“

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