Warum sind so viele Deutsche unzufrieden mit der aktuellen Politik?

Eine neue Gesellschaftsstudie bildet die derzeitige politische Einstellung der Bevölkerung in Deutschland ab – und erklärt, warum manche Regionen mehr zu Populismus neigen als andere.

Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 8. Feb. 2024, 08:35 MEZ
Hände, die ein Schild hochhalten, auf dem in roter Schrift "Menschenrechte statt rechte Menschen" steht.

Hunderttausende Menschen gingen in den vergangenen Wochen gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Das Bild entstand bei einer dieser Demonstrationen in Ulm.

Foto von Marina Weishaupt

Schon lange war Populismus in Deutschland nicht mehr so „salonfähig“ wie aktuell: Laut den neuesten Wahlumfragen des ZDF Politbarometers gilt die Partei AfD, die in mehreren Bundesländern als rechtsextrem eingestuft wurde, mit 19 Prozent zurzeit als zweitstärkste Kraft nach der CDU. Wie sehr Rechtsextremismus, Rassismus und Demokratiefeindlichkeit im Jahr 2024 in der Gesellschaft angekommen sind, zeigte auch eine Investigativrecherche des gemeinwohlorientierten Medienhauses Correctiv im Januar. Sie berichtete über ein rechtes Geheimtreffen mehrerer Akteur*innen aus Politik und Wirtschaft, die die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland planen – und rüttelte Teile der Gesellschaft wach: Seit ihrer Veröffentlichung gehen hunderttausende Menschen auf die Straße und demonstrieren gegen den zunehmenden Rechtspopulismus sowie die AfD – und für Demokratie. 

Wie entstehen diese politischen Einstellungen und gesellschaftlichen Spaltungen in Deutschland? Und warum neigen manche Menschen mehr zu Populismus als andere? Das haben Forschende vom GESIS Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften genauer untersucht. Der von ihnen erstellte Deutschland-Monitor zeigt, wie sich eine politische Einstellung durch individuelle Persönlichkeitsmerkmale, aber auch durch das Wohn- und Lebensumfeld und die Einschätzung des eigenen gesellschaftlichen Status ausbildet. Er soll einen Überblick über die politische und gesellschaftliche Lage geben und Denkanstöße und Handlungsmöglichkeiten für die Politik liefern. 

Politische Einstellung: Wohnort spielt entscheidende Rolle

Um herauszufinden, wie es um die gesellschaftliche und politische Einstellung in Deutschland steht, befragte das Forschungsteam stichprobenartig 8.000 Personen aus der Bevölkerung: 4.000 Menschen bundesweit und 4.000 Menschen auf regionaler Ebene – in ausgewählten strukturstarken und strukturschwachen Landkreisen in Ost- und Westdeutschland. Sie wurden mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten befragt. Zusätzlich führte das Team Fokusgruppeninterviews in ausgewählten Landkreisen durch. Es ging um die Zufriedenheit mit dem eigenen Wohnort, das Vertrauen in staatliche und kommunale Institutionen und die Identifikation mit der derzeitigen politischen Praxis und der Demokratie. 

Bei den Befragungen wurden Anzeichen sozialer Spaltung sichtbar: Je nachdem, wie Personen ihren Wohnort, ihre Lebensqualität und den sozialen Zusammenhalt wahrnahmen und bewerteten, unterschieden sich individuelle Einstellungen zu Politik und Gesellschaft teilweise stark. 

Warum Menschen zu populistischen Einstellungen neigen

Insgesamt wiesen 24 Prozent der Befragten bundesweit populistische Einstellungen auf – in Ostdeutschland sogar 32 Prozent. Gründe dafür liegen laut der Studie neben persönlichen Merkmalen in einer negativen Bewertung des eigenen Wohnorts. Menschen mit populistischen Einstellungen sehen ihren Standort gegenüber anderen Regionen in Deutschland aufgrund von wirtschaftlichem Niedergang, Abwanderung und einer schlechteren öffentlichen Daseinsvorsorge – gemeint ist damit zum Beispiel eine schlechte Infrastruktur oder ein schlechtes Mobilfunknetz – als „abgehängt“. Sie haben „den Eindruck, dass sich die Politik für ihre Region nicht ausreichend interessiert und sich zu wenig für deren wirtschaftliche Entwicklung einsetzt“, heißt es in der Studie. So sind Menschen mit populistischen Einstellungen auch häufig mit dem Funktionieren von Demokratie und Politik sehr unzufrieden.

BELIEBT

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    Landkreise in Deutschland mit hohem, mittlerem und niedrigem Wohlstand. Die Konjunktur oder Prosperität einer Region kann zu populistischen Einstellungen beitragen. 

    Foto von Deutschland-Monitor 2023, S. 049

    Laut den Forschenden ist dieses Gefühl nicht nur in ländlichen Regionen vertreten: Auch städtische Bezirke mit geringerem Wohlstand weisen leicht erhöhte Anteile populistischer Einstellungen auf – zum Beispiel Vorpommern-Greifswald oder Görlitz. Es komme dabei weniger auf die strukturelle Ausstattung einer Region an, sondern eher auf ihre soziale Zusammensetzung – Alter, Geschlecht, Einkommen, Bildung – und wie stark das Gefühl des „Abgehängtseins“ ist, so das Forschungsteam. 

    Nur 38 Prozent vertrauen der aktuellen Bundesregierung 

    Neben populistischen Einstellungen untersuchte der Deutschland-Monitor auch das Vertrauen in die derzeitige Politik. Lediglich 38 Prozent der Befragten gaben an, dass sie der aktuellen Bundesregierung eher oder voll und ganz vertrauen. „Dieser Befund reiht sich in den beobachteten Trend eines abnehmenden Vertrauens in die Bundes­regierung seit Ende der 2010er Jahre ein“, heißt es in der Studie. Je näher die Politik jedoch an den Menschen sei, desto höher seien ihre Vertrauenswerte: So vertrauen knapp 50 Prozent der Befragten der eigenen Landesregierung und mehr als 58 Prozent den kommunalen Verwaltungschef*innen.

    Der Studie zufolge liegt das fehlende Vertrauen in die Bundesregierung in der starken Distanz zu politischen Akteur*innen begründet. Weniger als 15 Prozent der Befragten empfinden Politiker*innen um einen engen Kontakt zur Bevölkerung bemüht. Sie kritisieren beispielsweise die Nichtumsetzung von Wahlversprechen sowie die Zusammensetzung der Regierung, die ihrer Meinung nach nicht die reale Soziodemografie der Bevölkerung abbildet. 

    Für die Politiker*innen bedeutet das künftig: Die Belange der Bevölkerung ernst nehmen. Denn: „Ein Grundvertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die staatlichen und kommunalen In­stitutionen ist eine wesentliche Voraussetzung für das Funktionieren der Demokratie und die Stabilität des politischen Systems“, so die Studie.

    Mehr als die Hälfte der Deutschen ist gesellschaftlich zufrieden 

    Die Ergebnisse offenbaren allerdings auch eine erstaunlich positive gesellschaftliche Entwicklung: Obwohl oft von einer Spaltung zwischen Ost und West sowie zwischen Stadt und Land die Rede ist, zeigt die Studie, dass die Mehrheit der Menschen ihre Lebensqualität doch relativ ähnlich bewertet. So schätzen 65 Prozent der Befragten ihren Wohnort als ‚attraktiv‘ ein.

    Gleichermaßen nimmt der Großteil der Deutschen einen starken sozialen Zusammenhalt in ihrem regionalen Lebensumfeld wahr. Ein positiver Aspekt, denn: „Sozialer Zusammenhalt vor Ort ist eine zentrale Ressource für das Funktionieren der Demokratie“, sagt Politikwissenschaftler Everhard Holtmann vom Zentrum für Sozialforschung Halle, einer der Autoren des Deutschland-Monitors.

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    Auch bei den großen gesellschaftlichen Herausforderungen sind sich die Befragten einig: Die Mehrheit sieht diese in der Verfügbarkeit von bezahlbarem Wohnraum, im Fachkräftemangel sowie im zunehmenden Gegensatz zwischen Arm und Reich.

    Deutschland-Monitor: Gesellschafts-Barometer in politischen Krisenzeiten

    Die Ergebnisse des Deutschland-Monitors 2023 zeigen, dass die Politik in Zukunft noch intensivere Maßnahmen auf regionaler Ebene ergreifen sollte, um das Vertrauen in Staat und Demokratie zu verbessern. Dazu gehört vor allem die Förderung der Standortqualität – besonders in strukturschwachen, ärmeren Regionen. 

    Auch 2024 und 2025 soll es wieder einen jährlichen Deutschland-Monitor geben. Seine Befunde sollen der Politikberatung sowie der politischen Aufklärung dienen. 

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