Fund in Thüringen liefert älteste DNA moderner Menschen
Forschende haben das älteste Erbgut von Homo sapiens entschlüsselt. Damit ist endlich die Antwort auf eine der großen Fragen der Menschheitsgeschichte gefunden: Wann kreuzten sich moderne Menschen und Neandertaler?
![Ältestes Genom moderner Menschen entschlüsselt Mehrere Menschen stehen auf einem Felsen](https://static.nationalgeographic.de/files/styles/image_3200/public/abbildung2_tb.png.webp?w=1600&h=900)
So könnten Menschen ausgesehen haben, die vor 45.000 Jahren in Europa lebten.
DNA aus über 40.000 Jahre alten Knochen zu sequenzieren, ist eine Sache für sich: Entweder ist das Erbgut zerfallen, verunreinigt oder hat eine schlechte Qualität. Deshalb gibt es von den ersten Menschen, die in Europa lebten, bislang nur wenige genetische Informationen.
Umso bemerkenswerter ist der Erfolg, der nun gleich zwei Forschungsteams auf einmal gelungen ist: Wissenschaftler*innen des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der University of California in Berkeley, USA, konnten die ältesten Genome moderner Menschen (Homo sapiens) entschlüsseln. Dabei machten sie eine erstaunliche Entdeckung: Es gab offensichtlich nur einen einzigen Zeitraum, in dem sich Neandertaler und Homo Sapiens miteinander paarten – und zwar viel später, als bisher angenommen.
Genfluss über 200 Generationen
Für ihre Studien, die in den Fachmagazinen Nature und Science erschienen, untersuchten die Forschenden aus Leipzig und Berkeley die DNA aus Knochen von mehreren modernen Menschen, die teilweise über 40.000 Jahre alt waren.
Klar war bereits vor den neuen Ergebnissen: Als sich die modernen Menschen in der Welt verteilten, trafen sie auf ihrem Weg auf Neandertaler – und paarten sich mit ihnen. Wo genau moderne Menschen und Neandertaler damals genau aufeinandertrafen, konnten auch die neuen Studien nicht klären.
Etwas anderes allerdings schon: Bei der Genomanalyse und dem anschließenden Vergleich mit menschlicher DNA aus der Gegenwart konnten die Forschenden feststellen, dass sich die Neandertaler-DNA in heutigen Menschen nur an ganz bestimmten Genom-Abschnitten befindet. „Daraus schließen wir, dass der Genfluss in einer relativ kurzen Zeit passiert ist und maximal während 200 Generationen auftrat“, sagt Leonardo Iasi vom Max Planck Institut für evolutionäre Anthropologie, Hauptautor der Science-Studie, in einer Pressekonferenz. Genauer gesagt: innerhalb einer Zeitspanne von etwa 7.000 Jahren. „Eine einzige gemeinsame Periode des Genflusses passt am besten zu den Daten“, bestätigt Benjamin Peter von der University of Rochester, der auch an der Science-Studie beteiligt war.
Bis heute tragen alle Menschen außerhalb von Afrika die gleichen zwei Prozent Neandertaler-Gene in sich. Geerbt haben wir von den Neandertalern vor allem Eigenschaften, die im Zusammenhang mit der Immunfunktion, der Hautpigmentierung und dem Stoffwechsel stehen. Eigenschaften, die modernen Menschen außerhalb von Afrika einst vermutlich das Überleben an kälteren Orten mit anderen Krankheitserregern und anderer Nahrung sicherten.
Neandertaler und moderne Menschen: Paarung vor knapp 50.000 Jahren
Die Genomanalysen der Nature-Studie bringen noch ein anderes Detail ans Licht: Die Vermischung der Gene von modernen Menschen und Neandertalern fand vor etwa 45.000 bis 49.000 Jahren statt – „und damit viel später als bisher angenommen“, heißt es in der Meldung des Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.
Für ihre Studie untersuchten die Leipziger Forschenden sieben Individuen, die vor 42.000 bis 49.000 Jahren in Ranis (Thüringen) und Zlatý kůň (Tschechische Republik) lebten. Nach Angaben des Forschungsteams gehörten sie zu einer kleinen, eng verwandten Gruppe von modernen Menschen. Diese spaltete sich offenbar erst vor etwa 50.000 Jahren von der Population ab, die bereits vor über 100.000 Jahren den afrikanischen Kontinent verließ.
Merkmale der frühen Europäer
Die analysierten Genome zeigen, dass die kleine Gruppe aus Deutschland und Tschechien wahrscheinlich dunkle Haut, dunkle Haare und braune Augen hatte – Merkmale von ihren Vorfahren aus Afrika.
![Frau aus Zlatý kůň Illustration einer Frau mit dunkler Haut und schwarzen Haaren](https://static.nationalgeographic.de/files/styles/image_3200/public/abbildung1_tb.png.webp?w=760&h=427)
Illustration der Frau aus Zlatý kůň, die zur gleichen Gruppe gehörte wie die Individuen von Ranis. Die Untersuchung der DNA ergab, dass sie dunkle Haare, Haut und Augen gehabt haben könnte.
Eine weitere spannende Entdeckung machten die Forschenden in Sachen Verwandtschaft der Individuen untereinander: „Zu unserer großen Überraschung entdeckten wir eine genetische Verwandtschaft fünften oder sechsten Grades zwischen der Frau aus Zlatý kůň und zwei Individuen aus Ranis“, sagt Erstautorin Arev Sümer. „Die Gruppe, zu der die Frau aus Zlatý kůň gehörte, war also genetisch Teil der Raniser ‚Großfamilie‘.“
Die Ergebnisse aus Leipzig zeigen, wie komplex die Geschichte der ersten modernen Menschen in Europa war. Die kleine Gruppe aus Ranis und Zlatý kůň starb aus, ohne zu heutigen Populationen beizutragen. Doch ihr Erbgut gibt wertvolle Einblicke in das Leben und die Migration der ersten Europäer. „Diese Ergebnisse helfen uns, die ersten modernen Menschen, die Europa besiedelten, besser zu verstehen“, sagt Hauptautor Johannes Krause. Sie zeigen auch, dass die Überreste moderner Menschen, die außerhalb Afrikas gefunden wurden und älter als 50.000 Jahre sind, nicht zu der Population gehören können, die sich außerhalb Afrikas mit den Neandertalern vermischte. Diese sei heute in den meisten Teilen der Welt zu finden.
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