
Dieses Schwein könnte Ihr Leben retten
Auf einem Bauernhof mit Labor im Mittleren Westen werden vom Biotech-Unternehmen eGenesis Schweine entwickelt, geklont und aufgezogen, deren Nieren für Transplantationen bei Menschen verwendet werden können.
Die Zugangsregeln sind streng: Schriftlich anmelden im Wachhaus. An der Tür Schuhe ausziehen, heiß duschen im Umkleideraum, langen OP-Kittel und Gummistiefel anziehen und schließlich eine Schutzbrille aufsetzen. Die beschlägt schnell in der feuchten Hitze des Laborkomplexes.
„Tut mir leid für die Umstände“, entschuldigt sich Björn Petersen und winkt mich weiter. „Wir müssen einfach ganz besonders vorsichtig sein wegen der Krankheitskeime. Aber man gewöhnt sich dran, versprochen.“ Ein paar Stunden zuvor war ich in einem Hotel in einer Stadt im Mittleren Westen der USA aufgewacht. Ihren Namen soll ich nicht nennen. Nun liegt die pralle Sonne auf den Wiesen und ein Dunstschleier in der Luft. Ich folge Petersen, einem in Deutschland geborenen Wissenschaftler, durch die Gänge der streng geheimen Forschungseinrichtung und über einen matschigen Innenhof. „Als wir das Gelände gekauft haben“, sagt er, „wurde hier an Nutztieren geforscht.“ Er zeigt auf eine nahe gelegene Scheune. „Wir haben den Lageplan beibehalten, obwohl wir natürlich einen völlig anderen Zweck verfolgen.“
Als wir die Scheune betreten, verschluckt ein lärmender Chor erwartungsvoller Grunzer seine Stimme. Schweinehufe klappern über den Beton. Mehr als ein Dutzend Schweine preschen vor an die Gatter der Einzelgehege; scheppernd stoßen die Tiere mit den Schnauzen gegen die metallenen Türen. „Ich möchte Ihnen jemanden vorstellen“, sagt Petersen. Beim Gehege eines Tiers, auf dessen Namenskarte Margarita steht, bleibt er stehen. Das Ferkel drückt sich gegen seine Hand wie eine übergroße Hauskatze. „Margarita war eines unserer ersten“, sagt Petersen voller Stolz. Er beugt sich hinunter, um die abstehenden schwarzen Borsten zwischen den Ohren des Schweinchens zu streicheln. „Die meisten Tiere, die Sie hier sehen, wurden aus identischen Zellen geschaffen. Aber das erste ist immer etwas Besonderes, finden Sie nicht?“

Während sich diese nur zwei Tage alten Ferkel an ihre neue Umgebung gewöhnen, werden sie in einem geheizten Raum gehalten.
Petersen ist Standortleiter der Farm und Spezialist für das Klonen von Nutztieren und für Xenotransplantation – eine wissenschaftliche Spitzentechnik, bei der tierisches Gewebe auf menschliche Patienten übertragen wird. Der Begriff leitet sich vom griechischen Wort xénos her – „fremd“. Nachdem Petersen fast ein Vierteljahrhundert in staatlichen Institutionen in Europa gearbeitet hatte, packte er seine Koffer und zog mit seiner Familie in den Mittleren Westen der USA, um einen Job bei eGenesis anzunehmen – einem Biotechnologie-Unternehmen, hinter dem eine Investorengruppe von Venture-Capital-Gesellschaften steht.
Die Firma stand damals in der frühen Phase eines außergewöhnlichen Projekts zur Entwicklung genetisch veränderter Schweinenieren für die Transplantation auf den Menschen. Angespornt durch Fortschritte in der Genom-Editierung sowie auf dem Gebiet der Immunsuppressiva, hatte eGenesis schnell demonstriert, dass seine Organe lange Zeit in den Körpern von Testprimaten überstehen und genauso gut Blut filtern und Urin produzieren konnten wie eine „allotransplantierte“ Niere – also eine Niere von einem Spender derselben Spezies.


Wissenschaftlerin Raquel Castro von eGenesis bereitet die Zellen auf den Klonprozess vor. Zu den ersten Schritten gehört die Genom-Editierung mithilfe der CRISPR-Methode, um die Zellprobe zu modifizieren. Die Eingriffe gewährleisten, dass die Niere, die in einem Schwein wachsen wird, vom Immunsystem des menschlichen Patienten angenommen wird.
Nach der Genom-Editierung werden die Zellen verwendet, um einen
Embryo zu erzeugen, der in den Eileiter eines Mutterschweins eingesetzt wird. Es wird in knapp vier Monaten Ferkel mit jeweils zwei Nieren werfen, die für die Transplantation in einen Menschen geeignet sein könnten.
Heute, zwei Jahre später, stehen Petersen und eGenesis an der Spitze einer wissenschaftlichen Revolution bei der Organtransplantation. Die Revolution betrifft den globalen Mangel an menschlichen Spenderorganen und kann Folgen für jährlich Tausende von Patienten haben, die auf eine neue Niere warten. Die Ergebnisse sind schon jetzt erstaunlich, von Versuchstransplantationen an Primaten über Transplantationschirurgie an hirntoten menschlichen Empfängern – und schließlich bis zur Transplantation bei einem lebenden menschlichen Empfänger im vergangenen März. Diese Entwicklung machte weltweit Schlagzeilen.
Inzwischen hat die Lebensmittel- und Arzneimittelüberwachungsbehörde FDA eGenesis grünes Licht für eine klinische Studie mit drei Patienten gegeben. Dieser Schritt ließ das Interesse weiter ansteigen, das die Firma mit der historischen Xenotransplantation seit
dem vergangenen Jahr geweckt hatte. Wenn es so weitergehe und die Versuche erfolgreich seien, so Mike Curtis, CEO von eGenesis, werde das Unternehmen die Erhöhung seiner Produktionskapazität planen. Er gehe davon aus, dass die Methode noch vor Ende des Jahrzehnts allgemein verfügbar sein werde. „Langfristig“, fügt er hinzu, „würde ich behaupten, dass wir vor einem Szenario stehen, in dem artenübergreifende Transplantationen die Allotransplantationen vollkommen ersetzen werden. In dem wir keine menschlichen Spender mehr brauchen.“

Abigail Schaefer
Fachkraft für Neonatalpflege
Schaefer arbeitet im eGenesis-Labor. Sie kümmert sich um die gentechnisch modifizierten Schweine und Ferkel des Unternehmens von deren Geburt an bis zu dem Moment, in dem ein geeigneter Patient identifiziert wird.
Um dieses Ziel zu erreichen, werden weitere Verfeinerungen der Technik notwendig sein, mehr Schweine wie Margarita und Wissenschaftler wie Petersen. Doch mehr als alles andere wird man das Vertrauen derjenigen brauchen, die sich unters Messer legen, die ihr Leben dieser hochmodernen Forschung anvertrauen.
Die erfolgreiche Xenotransplantation im vergangenen Jahr – eine vierstündige Operation im „Mass Gen“, dem Massachusetts General Hospital in Boston, die blindes Vertrauen erforderte, eine hohe Dosis Verzweiflung und eine unermessliche Portion Glück – war vielleicht der bedeutendste Schritt in diese neue Zukunft.
Lesen Sie den vollständigen Artikel in der neuen Ausgabe des NATIONAL GEOGRAPHIC MAGAZIN 06/25.
Aus dem Englischen von Dr. Karin Rausch.
