Aufnahmen zeigen die „Mikrodörfer“ des geteilten Kataloniens
Jahrzehnte der politischen und sozialen Spannungen haben langfristige Auswirkungen auf die Zukunft Spaniens.
Im Nordosten von Spanien befindet sich die semi-autonome Region Katalonien, deren Bewohner ihre Heimat schon lange nicht mehr als eine Region, sondern als Nation betrachten. Sie haben ihre eigene Sprache, Katalanisch, und weniger als die Hälfte der Bevölkerung kommuniziert noch regelmäßig auf Spanisch.
Am Sonntag, den 1. Oktober 2017, gingen katalanische Wähler zum ersten Mal seit ihrem fehlgeschlagenen Versuch der Abspaltung von Spanien 2014 wieder an die Wahlurnen. Wieder wurde die Wahl von der spanischen Zentralregierung in Madrid für illegal erklärt und die Wahlzettel vieler Wähler wurden von der Polizei konfisziert. Polizeibeamte in Kampfausrüstung hinderten die Bürger an der Abstimmung und schlugen sie mitunter blutig und feuerten Gummigeschosse in die Menge.
Die Türen der Wahllokale wurden von der Polizei mit Hämmern eingeschlagen, Menschen wurden an ihren Haaren von den Wahltischen weggezerrt. Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy lehnte das Wahlergebnis ab, während die katalanische Regierung erklärte, dass es am Wahltag 844 Verletzte gegeben hat. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp unter 43 Prozent, und von den zwei Millionen Wählern haben 90 Prozent für die Unabhängigkeit gestimmt.
DRUCK UNTER DER OBERFLÄCHE
Laut Simon Worrall, der Artikel für National Geographic schreibt und schon öfter über die Region berichtet hat, gehen die Spannungen zwischen Katalonien und der spanischen Regierung teils auf das unbewältigte Trauma des Spanischen Bürgerkriegs von 1936 bis 1939 zurück. Laut ihm erinnert das harte Durchgreifen der Regierung zu den Wahlen an diesen vergangenen Konflikt.
„Während des Bürgerkriegs war Katalonien die Hochburg und Festung der Republik, und von dort wurde der Kampf gegen den Faschismus in Bewegung gesetzt“, sagt Worrall. „Die Erinnerungen an den Bürgerkrieg und diese Spannungen ruhen nur knapp unter der Oberfläche – sie haben tiefe, blutige Wunden im spanischen Bewusstsein hinterlassen.“
Worrall verweist auch auf die lang gehegte Rivalität zwischen dem katalanischen Fußballclub FC Barcelona und Real Madrid C.F., die mitunter ein Symbol für die Spannungen zwischen Zentralspanien und den äußeren Regionen ist. Kataloniens Separatistenbewegung hat auch Fragen über die Zukunft von Barcelonas beliebtem Fußballclub und dessen möglichen Austritt aus Spaniens Nationalliga aufgeworfen. Bisher hat das Team 24 Titel in eben jener Liga gewonnen.
MIKROKATALONIEN
Der katalanische Fotograf Edu Bayer und der Journalist Marc Serena haben ganz bewusst beschlossen, ihr Buch „Microcatalunya. Un viatge pels pobles més petits“ (dt. Mikrokatalonien: Eine Reise durch die kleinsten Dörfer) in ihrer Muttersprache Katalanisch zu verfassen.
„Während des Bürgerkriegs wurde die Verwendung unserer Muttersprache unterdrückt. Man durfte Katalanisch nicht sprechen oder in der Schule lernen“, sagt Bayer. „Die Konsequenzen dieser Verfolgung unserer Sprache und unserer kulturellen Identität sind noch immer spürbar.“
Bayer und Serena wollten das Wesen der ländlichen „Mikrodörfer“ Kataloniens einfangen, von denen jedes weniger als 500 Einwohner hat. Das Buch deckt ein Drittel des katalanischen Gebiets ab, in dem aber nur 1,4 Prozent der Bevölkerung leben.
Dieses Mikrokatalonien ist ein Zeugnis der tiefen Wunden des Bürgerkriegs, die noch nicht verheilt sind. In den kleinen Dörfern scheinen noch immer die Fronten des Bürgerkriegs zu überdauern. Eines der ältesten Kinos in Spanien beispielsweise befindet sich in dem kleinen Dorf Caseres mit nur 250 Einwohnern. Das Kino gehört einer Familie, die mit den Nationalisten zusammen gekämpft hat, und wird deshalb noch immer von vielen Familien gemieden, die damals die Republikaner unterstützten.
WAS PASSIERT ALS NÄCHSTES?
Kataloniens Ministerpräsident Carles Puigdemont drängt weiterhin auf die Unabhängigkeit der Region. Er hat nun um eine Mediation gebeten, welche die spanische Regierung als inakzeptabel ansieht. Eine Quelle aus Madrid fragte die BBC: „Mediation für was?“
Puigdemont hatte ursprünglich gesagt, dass Katalonien seine Unabhängigkeit von Spanien „48 Stunden nach der Zählung der offiziellen Ergebnisse“ verkünden würde.
Auch wenn ein solcher Akt rein symbolisch ist, könnte Spanien daraus drastische Konsequenzen ziehen und beispielsweise den semi-autonomen Status der Region aufheben. In dem Fall würde Katalonien vom spanischen Zentralstaat direkt regiert, was eventuell zur Entsendung von Truppen in die Region und zur Festnahme lokaler Politiker führen könnte. Die negativen Konsequenzen würden Wellen durch ganz Europa schlagen und sich auch auf die anderen Unabhängigkeitsbewegungen auswirken – zum Beispiel jene in Schottland oder die der Neu-Flämischen Allianz in Belgien.