Schlafen in extremen Umgebungen

Ob im ewigen Eis, am Rande einer Bergwand oder im All – viele Abenteurer müssen lernen, ihr Gehirn abzuschalten, um etwas Schlaf zu bekommen.

Von Alejandra Borunda
Veröffentlicht am 31. Juli 2018, 16:24 MESZ

Menschen brauchen Schlaf. Unseren Körpern ist es egal, wie beschäftigt oder besorgt wir gerade sind oder wie unbequem die Umgebung ist. Früher oder später übermannt uns die Müdigkeit. Aber wie kann man schlafen, wenn man Hunderte Meter über dem Boden hängt oder sich in den Bug eines wogenden Schiffes gequetscht hat?

Allen Widrigkeiten zum Trotz haben diese Fotografen, Abenteurer und Entdecker einen Weg gefunden.

Europäische Philosophen betrachteten den Schlaf als einen Grenzzustand, in dem die Sinneswahrnehmung einer Person zeitweise aussetzt. Der Schlaf war eine Zeit, in der die endlichen „Sinneskräfte“ eines Menschen sich für künftige Erkundungen der wachen Welt wieder aufladen konnten.

Die moderne Schlafwissenschaft sagt uns jedoch, dass die Angelegenheit komplexer und dass Schlaf kein passiver Zustand ist. Sobald wir einschlafen, verhält sich unser Gehirn gewissermaßen wie ein Hausmeister: Es katalogisiert die Erfahrungen des Tages und räumt auf.

Um das zu schaffen, muss unser Hirn unsere schützende Kampf-oder-Flucht-Reaktion überschreiben. Wie sich herausstellt, kann es dabei aber nicht besonders gut zwischen einer echten Bedrohung und Aufregung unterscheiden. Die Aufregung über eine bevorstehende Wanderung oder einen Tag am See schießt ebenso zerstörerisch durch unser Hirn wie der Stress über eine bevorstehende Prüfung.

„Das ist die Natur des menschlichen Gehirns“, sagt June Pilcher, einer Forscherin an der Clemens University. „Die Aktivität in unserem Gehirn entspricht Gedanken. Gedanken sind gut, aber sie können auch Nebenwirkungen haben – sie können uns nachts zum Beispiel wachhalten. Und wir können unser Gehirn nicht einfach ausschalten, das geht einfach nicht. Die Frage ist also, wie wir es dazu bringen, sich ein bisschen zu entspannen.“

KRABBEN ZÄHLEN

Der National Geographic-Fotograf und Fischer Corey Arnold ist nur zu gut mit dem Fluch eines beschäftigten Bewusstseins vertraut. Während der Hochsaison der kommerziellen Fischerei ist Schlaf eher Nebensache. Wenn er die Wahl zwischen Schlaf oder Tausenden von Dollar hat, bleibt er oft lieber wach und arbeitet. Selbst, wenn er sich ein oder zwei Stunden für ein Nickerchen freischaufeln kann, ist sein Gehirn zu beschäftigt, um sich zu entspannen.

„Nach dem ganzen Adrenalin eines langen Tages, eines stürmischen Tages, vibriert einem das Gehirn“, sagt er. Wenn er überhaupt einschlafen kann, sind seine Träume erfüllt von Wellen, die auf das Schiff krachen. Manchmal wiederholen sich im Schlaf nur seine Erfahrungen des Tages. Wenn er Krabben fischt, zählt er den ganzen Tag jede Krabbe, die er aus den Eimern nimmt und unter Deck wirft

„Wenn man sich hinlegt und die Augen schließt, fängt man einfach wieder an, Krabben zu zählen. Das ist einfach ... Das ist irre.“

Arnold ist auch mit dem tiefen Schlaf der völlig Ausgelaugten gut vertraut. Letztes Jahr taumelten er und ein paar Freunde nach einer 30-Stunden-Schicht auf See zurück an Land.

„Wir waren völlig im Eimer“, sagt er. „Wir waren in einer Art Traumzustand, taumelten und nuschelten vor uns hin.“ Direkt hinter dem Dock, in der verlassenen Konservenfabrik, in der sie ihr Lager aufgeschlagen hatten, legten sie sich in die Sonne und schliefen sofort ein.

Dieser Zustand tiefer Erschöpfung führt zu seltsamen, fast schon halluzinogenen Erlebnissen, erzählt Jaime Devine, eine Schlafforscherin am Walter Reed Army Institute of Research in Arlington, Virginia. Manchmal sind zum Beispiel Soldaten so erschöpft, dass sie glauben, sie würden schlafen, obwohl sie noch laufen. Einen solchen Erschöpfungsgrad erleben die meisten Zivilisten nie, wie sie sagt.

BESTER SCHLAF ÜBERHAUPT

Für andere Entdecker ist eine Nacht auf einem Berggipfel oder tief im Inneren einer Höhle kein Extrem, sondern ideal.

„Den besten Schlaf in meinen 38 Lebensjahren hatte ich vermutlich in einer Höhle“, erzählt Robbie Shone. Der Fotograf und Entdecker taucht tief in die unterirdischen Höhlensysteme unserer Welt hinab. In Malaysia schlugen er und seine Kollegen ihr Lager an einem Ort auf, den sie „Hotel California“ getauft haben: ein Bereich mit Kalksteinwänden, dessen Boden mit feinem, weichem Sand bedeckt war.

„Kein Sand, wie man ihn an Stränden findet“, erklärt Shone, „sondern richtig lose, aber ein bisschen verdichtet. Daher war er wie ein kleines Polster, wie ein Teppich.“ Der Boden war so perfekt, dass er nicht mal eine Matte unterlegen musste.

Am Ende eines ereignisreichen Tages voller Erkundungen ging die Gruppe in diesen Höhlenbereich zurück, hängte ihre Stirnlampen an die glatten Wände, machte ein bisschen Musik an und kochte Tee.

Routinierte und beruhigende Tätigkeiten wie diese sind Devine zufolge der Schlüssel, um einzuschlafen – egal, wo man sich befindet.

„Es ist so schwer, mit dem Grübeln aufzuhören“, sagt sie, und das Grübeln direkt vor dem Zubettgehen kann großen Einfluss darauf haben, wie gut man nachts ruhen kann. Vor dem Einschlafen sollte das Ziel also immer sein, „aufzuhören über Dinge nachzudenken, die einen stressen“, sagt sie.

„Aber das Problem ist, dass das leichter gesagt als getan ist.“

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

 

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