Rätselhafte Artefakte auf Europas ältestem Schlachtfeld entdeckt
Seit Jahrzehnten rätseln Archäologen darüber, wer vor etwa 3.300 Jahren an der Tollense in Norddeutschland kämpfte. Ein neuer Fund wirft nun weitere Fragen auf.
Seit 1977 graben Archäologen an der Tollense in Mecklenburg-Vorpommern auf mehreren hundert Quadratmetern Waffen und Skelettfragmente hunderter Männer aus, die um das Jahr 1200 v. Chr. herum an den Ufern des kleinen Flusses kämpften. Das schiere Ausmaß des Schlachtfelds im Tollensetal – das als Europas ältestes Schlachtfeld gilt – bereitete der Vorstellung von einer friedlichen europäischen Bronzezeit, die im 20. Jahrhundert noch verbreitet war, ein jähes Ende.
Was aber war der Grund für die Schlacht an der Tollense? Handelte es sich um einen Kampf zwischen unterschiedlichen europäischen Gruppierungen oder einfach um eine ausgeartete, aber lokale Familienfehde? Nach wie vor sind Forscher damit beschäftigt, die Hinweise an den Knochen und Waffen von der Ausgrabungsstätte auszuwerten. Eine Studie, die im Fachmagazin „Antiquity“ veröffentlicht wurde, rückte nun eine ungewöhnliche Sammlung von Artefakten in den Fokus, die neue Fragen darüber aufwerfen, wer genau an der Tollense kämpfte und warum.
Krieger aus der Ferne?
Laut der Studie fanden Archäologen 31 Gegenstände aus Bronze im Flusssediment, knapp 300 Meter von einem alten Dammweg entfernt, der womöglich der Ausgangspunkt des einstigen Gefechts war. Die Forscher vermuten, dass sich die Schlacht zu beiden Seiten der Tollense abgespielt hat. Die Kämpfer, die sich flussabwärts bewegten, wurden niedergemetzelt, wovon noch heute ihre Knochen und Habseligkeiten zeugen.
Die beschriebenen Bronzegegenstände lagen nah beieinander, weshalb die Forscher glauben, dass sie sich einst in einem organischen Behältnis befanden, das mittlerweile verrottet ist – womöglich ein Lederbeutel oder eine Holzkiste. Unter den Gegenständen befanden sich diverse Werkzeuge wie eine bronzene Ahle, ein Meißel und ein Messer. Außerdem fanden die Forscher Bronzestücke und eine kleine, zylindrische Gürteltasche aus Bronze. Auch menschliche Überreste fanden sich in der Sedimentschicht, was dafür spricht, dass dieser Bereich ebenfalls zum bronzezeitlichen Schlachtfeld gehörte.
Was genau „lokal“ bedeutet, hängt davon ab, wie großzügig man die bronzezeitliche Nachbarschaft des Tollensetals definiert.
Eine „ziemlich langweilige“ Theorie
Terbergers Gruppe publizierte erstmals 2011 Ergebnisse ihrer Arbeit am Schlachtfeld. Seither veröffentlichten sie mehrere Studien über die Ausgrabungsstätte und bestätigten anhand von Knochenläsionen der Opfer, dass es sich wirklich um ein Schlachtfeld handelte, und identifizierten den Dammweg als möglichen Ausgangspunkt der Schlacht. Mit der Zeit war das Team zunehmend überzeugt davon, dass dort zwei Gruppen von Kriegern aneinandergeraten waren. Eine Gruppe bestand aus Einheimischen, während die zweite Gruppe sich aus verschiedenen Kämpfern zusammensetzte, die sich aus teils hunderten Kilometern Entfernung für die Schlacht am Flussufer versammelt hatten – soweit die Theorie.
Vorläufige Ergebnisse einer DNA-Analyse stützten die Theorie, dass es sich bei der gewaltigen Schlacht um einen größeren regionalen Konflikt handelte. Der Populationsgenetiker Joachim Berger von der Universität Mainz erzählte „Science“ 2016, dass die ersten DNA-Untersuchungen auf eine „bunt gemischte“ Gruppe von Kriegern hindeuteten, deren genetische Spuren bis nach Südeuropa reichten.
Einer der Knochen, die Burger 2016 zur Analyse erhielt, stellte sich als neolithisches Überbleibsel heraus und war damit Jahrtausende älter als die Schlacht an der Tollense. Eine größere Probensammlung und eine umfassende Analyse offenbarten dann jedoch eine genetisch deutlich homogenere Gruppe als zunächst angenommen. „Das sieht einfach nach Mittel- und Nordeuropäern aus“, sagt er.
Die neue DNA-Analyse konnte ausschließen, dass es sich um eine Auseinandersetzung zwischen Familienmitgliedern handelte. Aber einen überzeugenden Beweis für die Zwei-Gruppen-Theorie lieferte sie ebenfalls nicht.
„Das ist das Gegenteil von spektakulär“, sagt Burger. „Tatsächlich ist es ziemlich langweilig.“
Viele Theorien, wenig Antworten
Burgers noch nicht veröffentlichte Analyse wirft bereits einen Schatten über die Theorie der Krieger aus der Ferne. Trotzdem schließt sie nicht aus, dass auch Menschen aus Böhmen an dem Gefecht beteiligt waren. „Wir können Südeuropa ausschließen, also Regionen wie Serbien oder Ungarn“, sagt er. „Aber selbst bei modernen Genomen kann man nicht besonders gut zwischen Böhmen und Norddeutschland unterscheiden.“
Aber die Objekte gehörten trotzdem einen Krieger, oder? Nicht so voreilig, mahnt Anthony Harding, ein Archäologe und Bronzezeit-Experte, der an der Studie nicht beteiligt war. „Warum sollte ein Krieger mit einem Haufen Altmetall herumlaufen?“, fragt er. Den Fund als Hab und Gut eines Kriegers zu interpretieren – darunter auch die wenig kriegerischen Werkzeuge zur Metallbearbeitung –, „erscheint mir etwas weit hergeholt“.
Galerie: Wer waren die ersten Europäer?
Tatsächlich verfügten einige bronzezeitliche Krieger über einen kleinen Vorrat an Metallbruchstücken, die sie in ihren Axtköpfen aufbewahrten. Bei diesen versteckten Reserven handelte es sich womöglich um kultische Sammlungen, sagt Oliver Dietrich, ein Archäologe des Deutschen Archäologischen Instituts. Könnte das bedeuten, dass ein Krieger Bronzestücke als Opfergabe an die Götter bei sich trug?
„Bei dieser Sammlung handelt es sich nicht um einen Haufen zufälliger Fragmente“, sagt Dietrich. Zeit, Ort und die vermeintliche Aufbewahrungsweise unterscheiden sich in ausreichendem Maß von den typischen bronzezeitlichen Hortfunden, um einen spirituellen Verwendungszweck ausschließen zu können, erklärt er. Er vermutet, dass es sich um persönliche Gegenstände einer Person handelt, die irgendwie mit der Schlacht zu tun hatte. Ihm zufolge sei es aber unklar, ob es sich um einen Krieger handelte. „Die Bronzeobjekte lassen keine eindeutigen Schlüsse auf die Identität ihrer Besitzer zu.“
Wem die Metallgegenstände einst gehörten, bleibt also unklar, aber ihr Verlust lässt auf einen Kampf schließen, der chaotisch genug war, um den Besitzer von seinem wertvollen Hab und Gut zu trennen. Dieses Chaos – und was es über die gewaltsamen Konflikte der Bronzezeit erzählt – ist einer der wenigen Punkte, auf den sich die Forscher und Experten einigen können.
Könnten die Metallgegenstände dann vielleicht ein Hinweis darauf sein, dass dieser Uferbereich der Tollense mehr war als nur ein Schlachtfeld? Oder trugen die bronzezeitlichen Krieger einfach mehr Gegenstände mit sich herum, als Archäologen einst annahmen? Da die Fundstätte bislang einzigartig ist, lässt sich das nur schwer sagen. „Wir haben es hier mit dem ersten bekannten Schlachtfeld aus der Bronzezeit zu tun“, sagt Terberger. „Dafür gibt es keine Parallelen.“
„Wenn Leute irgendeine Sache zum ersten Mal sehen, wissen sie nicht, was sie damit anfangen sollen“, stimmt auch Martin J. Smith zu, ein Dozent für forensische Anthropologie an der britischen Bournemouth University. Für Smith, der an der Erforschung des Schlachtfelds nicht beteiligt war, verdeutlicht das schiere Ausmaß der Schlacht, zu welcher Gewalt bronzezeitliche Krieger fähig waren. Mehr als drei Jahrtausende, nachdem die Sonne über den blutigen Ufern der Tollense untergegangen ist, sorgt die Schlacht noch immer für hitzige Debatten.
Smith verwundert das nicht: „Schließlich war die ferne Vergangenheit ein gefährlicher Ort.“
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
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