So kämpften die Wikinger

Die Vorteile der Wikinger lagen weniger in ihren Waffen und Rüstungen, sondern eher in ihrem engen sozialen Zusammenhalt und ihren Taktiken.

Von Andrew Curry
Veröffentlicht am 18. Feb. 2020, 13:26 MEZ
Reenactors haben sich in Polen für den Nahkampf gerüstet. Die Wikinger wurden ihrem Ruf oft gerecht: Von klein auf wurden die Jungen Skandinaviens im Kampf geschult.
Foto von David Guttenfelder, National Geographic

Seit jenem verhängnisvollen Tag im Jahr 793, als Wikinger im Norden Englands ein abgelegenes Kloster überfielen, waren die Nordmänner für die christlichen Mitteleuropäer ein Symbol des Schreckens und der Faszination. „Nie zuvor“, schrieb ein englischer Mönch später, „war solch ein Schrecken über Britannien gekommen, wie wir ihn nun durch eine heidnische Rasse erleiden.“

Wie kam es, dass gerade die Wikinger solche Angst unter ihren Gegnern verbreiteten? Archäologische Ausgrabungen von Gräbern und Schlachtfeldern der Wikinger haben gezeigt, dass sie die gleichen Kettenhemden, Speere und zweischneidigen Schwerter verwendeten wie andere gut gerüstete Krieger in Europa.

Ihr Ruf ging Experten zufolge daher nicht so sehr auf ihre Waffen und Rüstung zurück, sondern eher auf ihre innovativen Taktiken und ihre Moral.

Besonders ihre Fähigkeiten auf See verschaffte ihnen oft einen strategischen Vorteil. „Am Anfang war den Leuten vor allem ihre Mobilität nicht geheuer“, sagt Andrew Nicholson, ein Archäologe des schottischen Dumfries and Galloway Council und Wikinger-Reenactor. „Dank ihrer Fertigkeiten in der Navigation und ihrer Langschiffe konnten sie so gut wie überall auftauchen.“

Mit Schwertern und Speeren bewaffnete Wikinger- und Slawen-Reenactors begegnen sich im gestellten Kampf auf einem Festival im polnischen Wolin. Was Ende des 8. Jahrhunderts mit kleinen Raubüberfällen der Wikinger auf Kloster begann, entwickelte sich bald zu ganzen Armeen, die weite Teile Europas eroberten.
Foto von David Guttenfelder, National Geographic

Bis die örtlichen Adeligen von dem Überfall erfahren und ihre Truppen zusammengerufen hatten, waren die Wikinger mit ihren Schiffen längst auf und davon. Zurück ließen sie eine Spur der Verwüstung, Leichen und geplünderte Kloster.

Trafen sie hingegen auf Augenhöhe auf einen gut vorbereiteten Gegner, war ihnen der Sieg alles andere als gewiss. Zeitgenössischen Berichten zufolge verloren die Wikinger ungefähr genauso viele offene Feldschlachten wie sie gewannen.

Aber selbst, wenn es schlecht für sie aussah, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Nordmänner trotzdem standhielten und kämpften – nicht zuletzt aufgrund des sozialen Drucks der Gruppe. Wikingerarmeen waren in Schiffsmannschaften organisiert, die für gewöhnlich aus ein paar Dutzend Männern aus demselben Dorf bestanden. Diese „Schildbrüder“ verbrachten den Großteil ihrer Sommer dicht an dicht auf Langschiffen. Oft segelten sie wochenlang, um weit entfernte Orte zu plündern.

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    „Da tut man alles zusammen: rudern, pinkeln, essen, trinken und kämpfen“, sagt Igor Gorewicz, ein Experte für Schwerter und Autor aus Szczecin in Polen, der an Reenactments von Wikingerschlachten teilnimmt. „Zwischen den Leuten auf einem Schiff besteht ein sehr enges Band und die Moral ist enorm hoch.“

    Deshalb stürzten sich Wikinger in dem völligen Vertrauen ins Schlachtgetümmel, dass ihre Kameraden ihnen den Rücken decken würden. „Die Schiffsmannschaft kommt aus demselben Dorf, deshalb agiert man mit seinen Freunden und Bekannten“, sagt Nicholson. Außerdem versprach die Religion der Wikinger den im Kampf gefallenen Kriegern einen Platz in Walhalla, wo sie bis zum Ende aller Tage mit ihren Freunden feiern und kämpfen konnten.

    Eben dieser soziale Druck sorgte auch dafür, dass Wikinger während eines Kampfes nicht einfach flohen. Die Feigheit würde einen solchen Krieger bis nach Hause verfolgen und Schimpf und Schande über seine ganze Familie bringen. „Wer seinen Schild fallen ließ und sich zurückzog, war erledigt“, sagt Gorewicz.

    Das bedeutet aber nicht, dass die Wikinger ohne Rücksicht auf ihr Leben kämpften oder dumm waren. Im Gegenteil: Ihnen ging es vorrangig um den Gewinn. Sie suchten vorzugsweise leichte Beute wie abgelegene Klöster oder kaum befestigte Kirchen. Orte also, deren Angriff ein geringes Risiko barg, aber großen Reichtum versprach. Ritterlichkeit war ihnen fremd und sie zogen Hinterhalte und Schleichangriffe vor, wenn sie ihrem Zweck dienten.

    „Sie gingen auf Raubzüge, um reich zu werden“, sagt Gorewicz. „Natürlich wollten sie das überleben.“

    Und was ist mit den Berserkern, jenen legendären Wikingerkriegern, deren wilder Zorn im Kampf sie zu einem Synonym für rasenden Wahnsinn machte? Die archäologischen Belege für ihre Existenz sind rar, aber ein paar faszinierende Hinweise existieren. Einer davon ist eine geschnitzte Schachfigur aus einem Walrosszahn. Das in Schottland gefundene Stück zeigt einen glupschäugigen Krieger, der auf seinem Schild kaut.

    Bisherige Befunde deuten darauf hin, dass die Berserker eine Klasse von Elite-Kriegern gewesen sein könnten – ein durchaus bemerkenswerter Status in einer Gesellschaft, die sich ohnehin gut aufs Kämpfen verstand. „Berserker“ bedeutet wortwörtlich „Bärenhemd“, und in Schnitzereien der Wikingerzeit sieht man häufig Krieger, die Wolfs- oder Bärenpelze über ihren Helmen tragen. 

    „Womöglich war es ein Kult oder eine Bruderschaft von Kriegern“, sagt Nicholson. „Ihrem Ruf nach waren sie besonders wild und schienen keinen Schmerz zu spüren.“

    Wenn Wikinger-Armeen ähnlich gut gerüsteten Feinden gegenüberstanden, bedienten sie sich gern eines effektiven Tricks: Mit dem „Eberkopf“, einer keilförmigen Formation, trieben die Krieger eine Lücke in die Feindeslinie. So konnten sie ihre Chancen im Kampf Mann gegen Mann verbessern.

    Die Waffe, die dabei am häufigsten zum Einsatz kam, war der Speer, den man werfen oder dem Feind in die ungeschützten Körperstellen rammen konnte. Eine Verteidigungslinie der Wikinger aus Schilden und Speeren war ein erhebliches Hindernis.

    „Alle Welt findet Schwerter und Äxte cool, aber der Speer war viel effektiver“, sagt Nicholson.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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