Forscher identifizieren Massengrab eines gewaltigen Wikingerheers

Alte Knochen liefern neue Hinweise auf den mysteriösen Verbleib des Großen Heidnischen Heers.

Von Sarah Gibbens
Veröffentlicht am 25. Okt. 2019, 16:40 MESZ
Überreste vom Großen Heidnischen Heer
Eine Aufnahme der Grabungsstelle von 1982 zeigt die skelettierten Überreste von Individuen, die einst wohl zum Großen Heidnischen Heer gehörten.
Foto von Martin Biddle

Jahrelang rätselten Archäologen: Was war mit dem Großen Heidnischen Heer geschehen, jener gewaltigen Wikingerstreitmacht, die im 9. Jahrhundert große Teile Englands überrannte und dann fast spurlos verschwand?

Womöglich landeten etliche der Wikinger in einem Massengrab in England. Fast 300 Krieger identifizierten Archäologen dort im Jahr 2018. Es sind die einzigen bekannten Überreste des Großen Heidnischen Heers, die je entdeckt wurden.

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Das Massengrab wurde bereits in den Achtzigern im englischen Derbyshire ausfindig gemacht. Schon damals lag die Vermutung nahe, dass es sich um Krieger des großen Wikingerheers handeln könnte. Es gab nur ein Problem: Eine Radiokarbondatierung offenbarte, dass die Überreste zu alt für die skandinavischen Invasoren waren.

Das Heer überwinterte vermutlich um 873 oder 874 n. Chr. herum in Derbyshire. Die ersten Analysen datierten die Skelette jedoch auf das 7. und 8. Jahrhundert.

Erst 2018 zeigte eine erneute Untersuchung, die im Fachmagazin „Antiquity“ erschien, dass die Ergebnisse falsch waren. Die neuen Resultate passen genau in jenen Zeitraum, in dem das Heidnische Heer England unsicher machte.

BELIEBT

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    Fraglos hatten die Wikinger einen großen Einfluss auf die weitere Geschichte Englands. Von ihrer einstigen Präsenz zeugen heute noch Ortsnamen, die auf –by enden: Die Silbe entstammt einem skandinavischen Wort für „Dorf“. Das Auftreten der Armee wurde auch in der Angelsächsischen Chronik dokumentiert, erklärt die Hauptautorin der Studie von 2018, Catrine Jarman von der University of Bristol.

    Laut dieser Chronik landeten im Jahr 865 hunderte Schiffe voller Wikinger an der englischen Ostküste an. Die Krieger eroberten angelsächsische Königreiche und unterwarfen weite Teile des Landes.

    Trotzdem ist das Massengrab in Derbyshire bislang die einzige Grabstätte, die je mit dem Heer in Verbindung gebracht werden konnte.

    „Das ist eines der größeren Mysterien“, sagt Jarman. „Es kamen Tausende und Abertausende von Menschen, aber sie hinterließen kaum physische Belege [für ihre Existenz].“

    Fisch verfälscht Messergebnisse

    Die neue Studie konnte die Diskrepanz bei der Datierung beseitigen, weil ein ausschlaggebendes Detail berücksichtigt wurde: Die Wikinger hatten als berühmte Seefahrer eine sehr fischlastige Ernährung. Genau das wirkt sich auf die Radiokarbontests aus, erzählt Jarman.

    „Das ist ein Phänomen, das wir selbst gerade erst zu begreifen beginnen“, sagt sie.

    Wenn Forscher menschliche Knochen datieren, analysieren sie die Menge an radioaktiven 14C-Atomen. Diese Isotope des Kohlenstoffs zerfallen im Laufe der Zeit, weshalb die Menge an 14C in den Knochen den Forschern Hinweise darauf geben kann, wie viel Zeit seit ihrer Entstehung vergangen ist. Menschen, die viele Meeresfrüchte essen, sind allerdings von „marinen Reservoireffekten“ betroffen, wie Jarman sagt.

    „Wenn man Fisch isst, kommt ein Teil des Kohlenstoffs aus dem Meer. Einige dieser Wikinger aßen eine Menge Fisch, was sich auf die Radiokarbondatierung auswirkt.“

    Zum Vergleich: Wenn ein Wikinger am selben Tag ein Schaf und einen Fisch geschlachtet hätte, würde es bei einer Radiokarbondatierung so aussehen, als wäre der Fisch 400 Jahre vor dem Schaf gestorben, erklärt Jarman.

    Um festzustellen, wie sehr die Ernährungsgewohnheiten der Wikinger die erste Radiokarbondatierung verfälscht haben könnten, führten die Forscher eine chemische Analyse an 17 der verstorbenen Individuen sowie am Kieferknochen eines Schafs aus dem Grab durch.

    Die Reste einer großen Schlacht

    Jarman kann nun mit relativer Sicherheit sagen, dass fast alle Knochen auf das späte 9. Jahrhundert datiert werden können. Damit ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass es sich um Krieger des Großen Heidnischen Heers handelt.

    „Darauf hatten die archäologischen Befunde schon die ganze Zeit hingedeutet“, sagt Jarman.

    Zwischen 1980 und 1986 wurde das Massengrab im Zuge einer Ausgrabungsreihe freigelegt. Die Archäologen fanden dort die Überreste von insgesamt 264 Menschen. Mehr als 80 Prozent der Knochen stammen von Männern und viele wiesen Spuren von Gewalteinwirkung auf.

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    Unter den Überresten fanden Archäologen außerdem Hinweise auf kriegerische Auseinandersetzungen, beispielsweise Äxte und Messer.

    Ein separates Doppelgrab in der Nähe enthielt außerdem die Knochen von zwei Männern, die mit einem Wikingerschwert und einem Thorshammer-Anhänger bestattet wurden.

    Neben den Gräbern entdeckten die Forscher außerdem Hinweise auf etwas, das einst vielleicht ein Wehrgraben gewesen ist.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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