Fränkische Bocksbeutel: Flaschen voller Geschichte
Die einzigartigen Flaschen entwickelten sich vom Gebrauchsgegenstand zum Markenzeichen für guten Wein. Nach einer Krise erlebt der Bocksbeutel ein Comeback.
Bocksbeutel gelten seit dem 18. Jahrhundert als Markenzeichen für guten Wein. Nach einer Krise und Modernisierung der typischen Form, werden heute wieder Spitzen-Weine in Bocksbeuteln abgefüllt.
Weinliebhaber bringen seinen Namen mit trockenem Frankenwein in Verbindung, alle anderen wundern sich über eine ungewöhnliche Flasche: der Bocksbeutel. Als Markenzeichen der Weinregion Franken blickt er auf eine lange Geschichte zurück.
Ursprung des Bocksbeutels
Unter einem Bocksbeutel versteht man heute eine Glasflasche mit der Form eines von zwei Seiten flach gedrückten Ellipsoids. In die speziellen Flaschen werden in erster Linie Weine aus Franken abgefüllt. Abgeplattete Gefäße gibt es in der Geschichte der Menschen schon lange. Denn durch ihre flache Form konnten sie besonders gut unterwegs verwendet werden, als Feldflasche oder für Wanderungen und Reisen. Bereits bei den Kelten gab es Plattflaschen aus Metall, wie zum Beispiel die bronzene Plattflasche aus einem keltischen Männergrab von Dürrnberg bei Hallein belegt (ca. 400 v. Chr.). Als Urahne des fränkischen Bocksbeutels gilt ein keltisches Tongefäß aus Wenigumstadt, dass in die Zeit um 150 v. Chr. datiert wird.
Namensherkunft „Bocksbeutel“
Woher der Bocksbeutel seinen Namen hat, wird unter Experten und Kennern immer noch diskutiert. Für die Archäologin Dr. Margarete Klein-Pfeuffer am Museum für Franken in Würzburg gibt es vier mögliche Ursprünge:
Zu Zeiten der Merowinger, dem ältesten Königsgeschlecht der Franken (5. Jahrhundert n. Chr. Bis 751 n. Chr.), gab es Feldflaschen aus Buchs, wie beispielsweise ein Fund im Knabengrab unter dem Kölner Dom beweist. Dann wäre der Bocksbeutel der Wortherkunft nach ein Buchsbeutel.
Eine weitere Möglichkeit sieht Dr. Klein-Pfeuffer in den beutelartigen Überzügen von Gebets- und Gesangsbüchern der Vorreformationszeit, die unter dem niederdeutschen Namen Booksbüdel (für Bücherbeutel) üblicherweise von Ratsherren auf dem Weg zur Ratsversammlung oder von Frauen auf dem Weg in die Kirche getragen wurden. „Nachdem das Tragen der Beutel aus der Mode gekommen war, manche aber noch daran festhielten, bezeichnete man die altväterliche Denkart und das Beharren auf einem überwundenen Standpunkt als Bocksbeutelei“, so die Archäologin.
„Denkbar wäre aber auch, dass sich der Begriff „Bocksbeutel“ vom Bugsbeutel ableitet, was auf die Eigenschaft als Tragflasche hindeuten würde, die an einem Gurt am Bug des Körpers - also vorne - befestigt war. Mönche, die in die Weinberge gingen, führten beispielsweise einen solchen Beutel mit sich.
Für die wahrscheinlichste Herkunft hält Dr. Klein-Heuffer jedoch die Ableitung des Namens von den optischen Ähnlichkeiten zum Hodensack des Ziegenbocks. „Einige Quellen, wie beispielsweise das Wörterbuch „Der teutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs“ (1691) von Kaspar von Stieler nennt als Wortherkunft die naheliegende Deutung „Hodensack eines Ziegenbocks“.
Glasbläserei ermöglicht Flaschen
Die Trinkbehältnisse aus Buchs, Leder, Ton oder Metall wurden erst relativ spät durch Glasflaschen ersetzt. Den ersten Bocksbeutel aus Glas gab es nicht vor dem 16. Jahrhundert. „In Deutschland war man bis zum Ende des 15. Jahrhunderts nicht in der Lage, Flaschen in einem Stück zu blasen“, weiss die Archäologin. „Die ersten richtigen Bocksbeutel wurden in den Glashütten im Spessart hergestellt. Der älteste, im Zusammenhang mit einer Spessartglashütte gefundene Bocksbeutel stammt aus der Glashütte Sommergrund bei Schöllkrippen. Er wird auf die Zeit um 1720 datiert.“
Schriftlich erwähnt den Bocksbeutel aber schon viele Jahre früher. Der Wertheimer Glasmacher Wenzel wirbt in seinem Handwerkerbuch 1659: „Ich Mathis Wenzel, Glasmacher zu Wertheim mach mir eine komode Weinflasch für die Reis; Brot und Wein ist mein Wegzehr – Mein Flasch ist wie ein Beutel, ein Beutel hat mein Bock, der Bock ist für arm Leut, die Noth und auch die Plage“. Hier wird auch wieder der Zusammenhang zwischen dem Beutel des Ziegenbocks und dem Bocksbeutel hergestellt.
Teure Glasflaschen
Für die Glasherstellung benötigte man viel Heizholz, weshalb die meisten Glashütten in Waldnähe entstanden. Der Wald lieferte, laut dem Bayerischen Landesamt für Weinbau und Gartenbau (LWG), die Energie und Pottasche. Für die grüne Farbe der Flaschen und Bocksbeutel war der Grundstoff „Buntsandstein“ mit seinem hohen Eisengehalt verantwortlich. Das grüne Glas erhielt daher den Beinamen „Waldglas“.
„Dass sich der Bocksbeutel in Franken so verbreitet hat, hängt sicherlich mit den Glashütten im Spessart zusammen, die sich auf diese Flaschenform spezialisiert hatten,“ erklärt die Archäologin des Museums für Franken. Doch Wein überhaupt in Glasflaschen und Bocksbeutel abzufüllen, ist eine Würzburger Erfindung und einem Würzburger Stadtratsbeschluss aus dem Jahr 1728 zu verdanken, erklärt Dr. Klein-Heuffer: „Dem Beschluss nach sollte der Wein des Bürgerspitals vom Würzburger Stein - der sogenannten „Steinwein“ - in Bocksbeutel gefüllt und versiegelt werden. Vorausgegangen war dem Beschluss die Tatsache, dass betrügerische Wirte schlechten Wein verschiedenster Herkünfte als Frankenwein auf den Markt brachten und dadurch dessen Ruf schädigten. Die spezielle Flaschenform mit Schultersiegel führte letztendlich auch zu dem gewünschten Erfolg: Mit ihr wurde Spitzenwein aus Franken verbunden.“
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Die Abfüllung des Frankenweins in Bocksbeuteln kam jedoch nur zögerlich in Gang. „Eine zentrale Rolle bei der Herstellung von Bocksbeuteln im 19. Jahrhundert spielte die Glashütte des Fürsten zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg in Einsiedel. Bis 1857 produzierte man dort ausschließlich Bocksbeutel zur Abfüllung des Steinweins des Bürgerspitals. In den darauffolgenden sieben Jahren bezog nur Kitzingen, dann die Würzburger Hofkellerei und 1864 das Juliusspital Bocksbeutel aus der inzwischen in Karlshütte umbenannten Glashütte in Einsiedel“, so die Archäologin.
Die Zurückhaltung mag auch damit zu tun haben, dass Gegenstände aus Glas lange Zeit sehr wertvoll und kein billiges Verpackungsmaterial waren. Johann Wolfgang von Goethe orderte noch 1828 seinen Frankenwein nicht in Bocksbeuteln, sondern bestellte in Dettelbach 2,5 Eimer und fünf Maß Wein – was der beachtlichen Menge von 180 Litern entsprach. Wein im großen Stil in Flaschen abzufüllen, und damit großen Teilen der Bevölkerung zugänglich zu machen, wurde erst im Zuge der Industrialisierung Anfang des 20. Jahrhunderts möglich.
Krise des fränkischen Weins
Seit dem Würzburger Ratsprotokoll stand der Steinwein aus den 1,2 Liter-Bocksbeutelflaschen (entsprach in Würzburg damals einer Maß) für besondere Qualität. Unter diesem „Gütesiegel" des Steinweins verstand man im Laufe der Zeit den Frankenwein und dann galt allgemein Wein aus Bocksbeuteln als Garant für Qualität.
Seine Blütezeit erlebte der Frankenwein aus Bocksbeuteln in den Siebziger- und Achtzigerjahren, als der trockene Wein aus Franken gegen die lieblichen, deutschen Weine einen Siegeszug antrat. Die Preise für fränkischen Spitzenwein stiegen, die Winzer und Weingüter aus Franken wurden von Jahr zu Jahr erfolgreicher.
1989 konnte der Bocksbeutel als Markenzeichen für den Frankenwein geschützt werden, einige regionale Ausnahmen gelten für Portugal, Griechenland, Italien und Baden. „Neben Weinen aus Unter-und Mittelfranken werden seit jeher auch Weine aus dem Badischen Frankenland, auf Grund der historischen Gebietszugehörigkeit, in Bocksbeutelflaschen abgefüllt“, weiß die Würzburger Archäologin. „Außerdem besteht in den Weinbaugemeinden des Baden-Badener Reblandes seit dem 18. Jahrhundert eine Tradition zur Weinabfüllung in Bocksbeutelflaschen. Innerhalb der Europäischen Union wird der Bocksbeutel vornehmlich in Portugal verwendet, um den Mateus-Roséwein abzufüllen. Vor dem 2. Weltkrieg pflegten auch englische Weinhändler ihre Produkte in Bocksbeuteln abzufüllen. In Südtirol und Österreich waren Anfang des 20. Jahrhunderts ebenfalls Bocksbeutel als Weinflaschen gebräuchlich. Schließlich gibt es auch heute noch in Südamerika (Argentinien, Chile) Weinkellereien, die ihren Wein in Bocksbeuteln abfüllen.“
Doch 1989 steckte der Wein aus Franken schon in seiner größten Krise: „Zunächst wurde Franken von der zunehmenden Globalisierung des Weinmarktes vollkommen kalt erwischt. Zudem war durch die hohen Erträge (…) die Qualität – ja man darf es heute auch aus sicherer zeitlicher Distanz so drastisch ausdrücken - ins Uferlose gesunken. (…). Dazu kam, dass bei der sich gerade entwickelnden jungen, international aufgeschlossenen und neuen Generation an Weintrinkern der Frankenwein als altmodisch, altfränkisch, sauer oder einfach als nicht mehr schick genug wahrgenommen wurde“, schreibt das LWG Bayern. Um die Jahrtausendwende wurde Wein im Bocksbeutel für unter einen Euro verramscht, die Folgen waren für die erfolgsverwöhnten Winzer dramatisch.
Bocksbeutel PS
Doch eine Generation von Jungwinzern nutzte die Chance zum Neuanfang. So haben sich beispielsweise unter „Ethos“ zwölf junge Winzer gruppiert, die nicht nur Qualitätsweine erzeugen, sondern auch „die fränkische Weinkulturlandschaft, insbesondere die Steillagen erhalten, umwelt- und ressourcenschonenden Weinbau betreiben, Biodiversität fördern, gesellschaftliche und soziale Verpflichtungen übernehmen“ wollen, um so saubere, ehrliche und faire Weine mit Qualität zu erzeugen. Dank der neuen Generation sorgen Weine in Bocksbeuteln heute international für Aufsehen im positiven Sinne.
Und auch der ursprünglichen Flasche ging es an den Hals: „Ende 2015 stellte der Fränkische Weinbauverband eine von dem Designer Peter Schmidt neu gestaltete Flasche vor, die bisherige Bocksbeutelflaschen zukünftig ablösen soll. Die flache, bauchige Form bleibt erhalten, die Kanten werden aber eckiger“, so Dr. Klein-Heuffer. „Die neue Flasche soll den Inhalt des Bocksbeutels noch edler erscheinen lassen.“ Mit der moderneren Version „Bocksbeutel PS“ soll an die alte Erfolgsgeschichte des Bocksbeutels angeknüpft werden. Im privaten ist der Bocksbeutel jedoch „nach wie vor ein Garant für guten Wein – in Franken spricht man sogar von einer ´fränkischen Währung´, denn bei vielen Gelegenheiten, wie nach einem Vortrag, werden in Franken Bocksbeutel verschenkt“, schließt die Archäologin.
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