Artefakte enthüllen ‚Bier-Diplomatie‘ im peruanischen Altertum

Eine neue wissenschaftliche Untersuchung beschäftigt sich mit Trinkgefäßen, die nach einem Gelage vor beinahe 1.000 Jahren zerbrochen wurden. Sie zeigt, wie das peruanische Wari-Reich kurz vor seinem Niedergang ausufernde Festivitäten veranstaltete.

Von Megan Gannon
Veröffentlicht am 21. Juni 2019, 17:54 MESZ

Um das Jahr 1050 n. Chr. veranstaltete die Führungselite von Cerro Baúl die Party ihres Lebens in ihrer Braustätte.

Cerro Baúl war ein kolonialer Außenposten an der südlichen Grenze des Wari-Reichs auf dem Gebiet des heutigen Peru. Seine Lage – auf einem Steilplateau ohne natürliche Wasserressourcen – war unglaublich unpraktisch, insbesondere, da der Ort auch als Veranstaltungsstätte für ausufernde Festgelage und fürs Bierbrauen genutzt wurde.

Jahrhundertelang beriefen die Regenten der Wari in Cerro Baúl Zusammenkünfte mit ihren Rivalen aus dem angrenzenden Tiwanaku-Reich und den Anführern der örtlichen Gemeinden ein, die im Schatten dieser beiden Großreiche lebten. Sie verzehrten Meerschweinchen, Lamas und Fisch beim Ausblick über das Moquegua-Tal während sie Humpen um Humpen eines bierähnlichen Gebräus namens Chicha tranken. Dieses wurde aus Meis und Rosa Pfeffer hergestellt.

Aber vor mehr als 950 Jahren befand sich das Wari-Reich bereits im Niedergang und die Feiernden beschlossen das Gelage mit der Zerstörung der Brauerei in Cerro Baúl.

Es scheint, als hätten die Wari bereits geplant, den kolonialen Außenposten zu evakuieren und dafür bereits seine Tempel und den Palast zerstört. Es fehlte nur noch die Brauerei. Sie zündeten das Gebäude an und sahen ihm beim Abbrennen zu. Adelige Waris verputzten ihr Chicha bis auf den letzten Tropfen und warfen dann ihre wertvollen Trinkgefäße in die Flammen.

Als nur noch Asche von der Brauerei übrig war, nahmen einige ihre Halsketten ab und legten sie in als letzte Opfergabe die Glut. Die Ruinen wurden mit Sand bedeckt, sodass niemand das Gebäude je wieder benutzen konnte. Das ließ die Brauerei zu einer Art Zeitkapsel werden, wie sie Archäologen nur sehr selten finden. Seit zwei Jahrzehnten wird das Zentrum der Chicha-Produktion nun wieder ausgegraben.

Wissenschaftler untersuchten kürzlich die Keramikgefäße dieses letzten Festessens in Cerro Baúl und ihre Ergebnisse wurden am 18. April 2019 im Wissenschaftsmagazin Sustainability veröffentlicht. Sie belegen, dass die Wari wahrscheinlich ihre ausufernden Festivitäten auch während des Niedergangs des Reiches in dem Grenzposten betreiben konnten, indem sie auf lokalen Materialnachschub für ihr Bier und die Trinkgefäße zurückgriffen.

Die Überreste der 950 Jahre alten Brauerei in der Ausgrabungsstätte von Cerro Baúl in Peru.
Foto von The Field Museum

Die Bier-Diplomatie der Wari

Cerro Baúl war ein Ort von politischer Bedeutung für die Wari. Dieses Volk herrschte von etwa 600 n.Chr. bis 1050 n. Chr. über weite Teile der peruanischen Küste und der Anden. Es legte bereits lange vor den Inka ein ausgedehntes Straßennetz und Bewässerungskanäle an. Das diplomatische Zentrum lag eine zwei bis drei Wochen lange Reise von der Wari-Hauptstadt Huari entfernt und einige der Tempel in Cerro Baúl waren Göttern der Tiwanaku gewidmet. Das stellte einen Versuch dar, ihre Rivalen milde zu stimmen.

„Wir wissen, dass die Wari versuchten, verschiedene Gruppen, die [nach Cerro Baúl] kamen, für sich zu gewinnen und dazu zählten wohl auch die großen Festlichkeiten, bei denen sich alles um das lokale Bier drehte“, erklärt Studienleiter Ryan Williams, Chef der Anthropologie im Field Museum in Chicago.

BELIEBT

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    Williams und seine Kollegen gehen davon aus, dass die Brauerei in Cerro Baúl zwischen 1500 und über 1900 Liter Chicha auf einmal produzieren konnte. Für eine vorindustrielle Brauerei war das eine enorme Menge, vor allem angesichts der Tatsache, dass sich Chicha innerhalb von etwa fünf Tagen verdirbt. Daraus kann geschlossen werden, dass ein paar Hundert Anführer zu den Gelagen auf dem Hochplateau geladen worden sein könnten.

    Für die Sustainability-Studie wollten die Forscher verstehen, wie das Geschirr dieser Bankette hergestellt wurde. Die Brau- und Trinkgefäße aus Keramik – die dem optischen Vorbild von Wari-Göttern nachempfunden wurden – gleichen solchen, die in der weit entfernten Hauptstadt Huari gefunden worden waren. Eine chemische Analyse der zerbrochenen Keramiken bewies jedoch, dass die Trinkgefäße direkt in Cerro Baúl aus lokalem Ton hergestellt wurden.

    „Ich bin davon ausgegangen, dass diese Trinkgefäße aus Feinkeramik importiert wurden, tatsächlich wurde jedoch vor Ort alles hergestellt, was die Wari zum Leben benötigten“, sagt Williams. „Das ist wirklich interessant, weil es für eine gewisse Unabhängigkeit von den Ressourcen eines zentralistischen Staats spricht, was diese einzelnen Provinzen politisch sehr viel stabiler gemacht haben dürfte.“

    Das Brauen uralter Getränke

    Die antiken Keramiken enthielten außerdem chemische Überreste von Chicha. Um herauszufinden, welche Zutaten die Wari in diesem Gebräu nutzten, stellten die Wissenschaftler Chicha her. Dabei halfen ihnen Frauen, die am Fuße der nahegelegenen Anden wohnten und wussten, wie man das Getränk zubereitet, da es in dieser Region bis heute getrunken wird.

    „Es ist sehr, sehr schwer, die chemischen Signaturen zu bestimmen, ohne Experimente zu machen“, berichtet Donna Nash, Co-Autorin der Studie und Archäologieprofessorin an der University of North Carolina Greensboro. Die Rekonstruktion des Chichas dauerte insgesamt einen Monat lang. Um den Prozess so authentisch wie möglich zu machen, benutzte das Team Keramiktöpfe, um die Zutaten zu kochen und zu fermentieren, so wie Lamadung als Brennstoff für ihre Feuer.

    Während ihrer zeremoniellen Bankette tranken die Wari eine Art Bier namens Chicha aus reich verzierten Trinkgefäßen.
    Foto von Kenneth Garrett, Nat Geo Image Collection

    Das Experiment belegte erstmalig, dass der Chicha aus Cerro Baúl aus Mais und Peruanischem Pfeffer gebraut wurde, der hier überall wächst. Die Beeren des Rosa Pfeffers gaben dem Chicha ein feines aber kräftiges Aroma und es war laut Williams und Nash schwierig, den Brauprozess exakt nachzuahmen, sodass das Getränk nicht nur nach Pfefferkörnern schmeckte. Darüber hinaus ist zu bemerken, dass Dürre diesen Beeren wenig ausmacht, sodass der Bier-Nachschub der Wari auch dann noch gegeben war, wenn Mais – eine Pflanze, die viel Wasser benötigt – nicht verfügbar war.

    Patrick McGovern, ein Forscher am University of Pennsylvania Museum of Archaeology and Anthropology, der sich auf antike alkoholische Getränke spezialisiert hat, kommentiert dazu, dass diese neue Studie „die unglaublichen Möglichkeiten moderner, biomolekularer Archäologie herausstellt, indem Tongefäße und archäobotanische Überreste mit den sensibelsten wissenschaftlichen Methoden untersucht werden“.

    „Es beweist außerdem einmal mehr, wie wichtig fermentierte Getränke schon in der Antike für menschliche Gemeinschaften auf der ganzen Welt waren“, erklärte McGovern, der nicht an der Studie beteiligt war, gegenüber National Geographic in einer Email.

    Nash erzählt zudem von Spekulationen, dass ein Teil des Chichas möglicherweise Halluzinogene enthalten haben könnte. Einige Keramiken der Wari zeigen Abbilder von Pflanzen wie dem San Pedro Kaktus oder Anadenanthera colubrina, die psychoaktive Stoffe enthalten. In zukünftigen Experimenten möchte sie herausfinden, ob auch solche Substanzen in den Rückständen auf den Tongefäßen aus der Brauerei enthalten sind. Williams sagt, dass außerdem eine Analyse der uralten DNS-Spuren zeigen wird, welche Art von Hefe die Wari beim Brauprozess nutzten.

    Wissen kompakt: CHIMÚ

    Die Forscher wissen nicht genau, warum Cerro Baúl aufgegeben wurde und sie debattieren noch immer darum, wie das Wari-Reich zerfiel. Führte eine schwere Dürre zu Verarmung und Gewaltausbrüchen, worauf einige bioarchäologische Funde hindeuten? Haben politische Querelen das Reich zerstört? Unabhängig von dieser Frage geht Williams davon aus, dass Cerro Baúl einigen Aufschluss darüber geben kann, wie wichtig Stabilität innerhalb politischer Großmächte ist – und diese Erkenntnisse könnten heute von Nutzen für Menschen sein, die beispielsweise in den Vereinigten Staaten oder der Europäischen Union leben.

    „Wir müssen immer noch die Details des Niedergangs des Wari-Reichs erarbeiten“, sagt Williams. „Einige Forscher argumentieren, dass es um 950 n.Chr. passierte. Unsere letzte Theorie tendiert eher Richtung 1050. Es könnte gut sein, dass während dieser 100 Jahre an einigen Orten noch die Traditionen der Wari gepflegt wurden, während anderswo der Zerfall bereits in vollem Gange war, da die Provinzen Widerstand leisten und auf ihre eigenen Ressourcen zurückgreifen konnten.“

    Die Tradition des Bierbrauens in der Neuen Welt wurde laut Williams lange nicht sehr ernst genommen, obwohl die Craft-Beer-Revolution auch neues Interesse an alten Braumethoden mit sich brachte. Das Field Museum und die in Chicago beheimatete Craft Brauerei Off Color Brewing haben nun jedoch ein „Wari Ale“ hergestellt, das auf den Erkenntnissen aus Nashs Arbeiten basiert. Das rosafarbene Ale mit Peruanischem Pfeffer gibt es bereits in der Brauerei in Chicago zu kaufen.

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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