Raubgrabungen in Deutschland: Wann Schatzsucher zur Gefahr werden
Hobby-Schatzsucher und geplant vorgehende Raubgräber plündern und hinterlassen bundesweit ihre Spuren an archäologischen Ausgrabungsstätten. Ihre illegalen Aktivitäten stellen nicht nur die Archäologie vor ein Problem – sie schaden uns allen.
Mit Metalldetektor und Schaufel auf Schatzsuche gehen.
Deutschland baut – doch vor jedem Anrücken der Bagger muss geprüft werden, ob sich in der Erde, in die die neuen Fundamente gegossen werden sollen, Relikte aus alten Zeiten verstecken. Der aktuelle Bauboom sorgt somit nicht nur für neuen Wohnraum, sondern auch regelmäßig für Meldungen von archäologischen Sensationsfunden in Deutschland: so zum Beispiel 5.000 Jahre alte Skelette in einer Baugrube in Speyer oder eine der ältesten Straßen Berlins.
Neben Archäologen, die sorgfältig und methodisch Fundstücke und Strukturen freilegen, dokumentieren und erhalten, rufen Berichte von archäologischen Entdeckungen oft noch eine zweite Gruppe auf den Plan: die sogenannten Raubgräber. Sie verschaffen sich illegal Zugang zu Ausgrabungsstätten, plündern diese und zerstören dabei unwiederbringlich Informationen über den Fundort.
Archäologischer Kontext unwiederbringlich vernichtet
Das hessische Landeskriminalamt (LKA Hessen), das eine Koordinierungsstelle für Kulturgüterschutz unterhält, erfasst laut dem zuständigen Kriminalhauptkommissar Eckhard Laufer pro Jahr etwa 10 bis 20 Fälle von Raubgrabungen. „Wie groß das Problem tatsächlich ist, lässt sich nur schwer abschätzen“, sagt er. Er geht davon aus, dass bundesweit mehrere Tausend Schatzsucher aktiv sind, der Großteil davon ohne die nötigen denkmalrechtlichen Genehmigungen. „Da nicht jede illegale Suche erkannt oder angezeigt wird, ist das Dunkelfeld entsprechend groß.“
Archäologische Ausgrabungsstätten sind immer wieder Plünderungen ausgesetzt.
Erst im November 2021 bat die Kasseler Kriminalpolizei die Bevölkerung um Hinweise, die bei der Ergreifung illegaler Schatzsucher helfen sollten. Diese hatten auf dem historischen Schlachtfeld in Niesetal Löcher gegraben. Einen Monat später wurden auf einer jahrtausendealten Fundstätte im hessischen Rodenbach innerhalb von fünf Wochen dreimal Spuren von Raubgrabungen festgestellt. „Beim ersten Mal waren es die typischen Löcher mit einem Spaten direkt am Rand unserer Schnitte und in der Fläche“, berichtet die Archäologin Dr. Elisabeth Faulstich Schilling, wissenschaftliche Grabungsleiterin an der Ausgrabungsstätte. „Beim zweiten Mal wurden die markierten archäologischen Strukturen auf Funde durchsucht. Bei einem Befund hat man sich sogar die Mühe gemacht, das Erdmaterial wieder in das entstandene Loch zu füllen – als ob ein Archäologe das nicht bemerken würde.“
Vor der Erschließung eines Baugebiets werden in der Regel geophysikalische Messungen durchgeführt, die Strukturen im Boden sichtbar machen. Zeigen sich auf dem Messbild Anomalien, beginnt die Arbeit der Archäologen. Sie vermessen und dokumentieren zunächst das Planum unter dem modernen Oberboden. Erst dann werden Funde aus den einzelnen Erdschichten geborgen. Durch dieses Vorgehen erhalten die Wissenschaftler eine chronologische Reihenfolge der Funde – und damit auswertbare Daten.
Raubgräber machen diese Mühen zunichte. „Sie greifen in die archäologischen Befunde ein und machen Löcher in das aufwendig hergestellte archäologische Planum“, erklärt Faulstich-Schilling. „Dadurch sind beispielsweise Gräber nicht mehr als solche erkennbar oder die Umgrenzung einer Siedlungsgrube nicht mehr fassbar.“ Im besten Fall würden die Funde nur umgelagert und über die Ausgrabungsfläche verstreut, doch nicht selten passiere es, dass sie komplett entwendet werden. Egal, auf welche Weise Raubgräber eingreifen: Die Zerstörung, die sie hinterlassen, lässt sich nicht mehr rückgängig machen – und für die Erhebung wissenschaftlicher Daten ist die Fundstelle nach ihrem Besuch meist nur noch eingeschränkt nutzbar. „Eine archäologische Fundstelle kann sich nicht regenerieren und ich kann sie auch nicht rekonstruieren, wenn mir die Daten einer regulären archäologischen Untersuchung dazu fehlen“, erklärt Faulstich-Schilling.
Auch Dr. Michael M. Rind, Vorsitzender des Verbands der Landesarchäologen (VLA), sieht in der Störung des Befundzusammenhangs das Hauptproblem. „Das ist in etwa grob vergleichbar mit einem Tatort, dessen Umfeld verwüstet worden ist“, sagt er. „Danach lassen sich in der Regel keine Zusammenhänge mehr erkennen und die Wissenschaft bleibt im Unklaren darüber, wie ein Fund deponiert worden ist und warum dies geschah.“
Suchen, Finden, Verkaufen: die Rechtslage
Eckhard Laufer zufolge hat das Interesse an Schatzsuchen mit dem Metalldetektor seit den Siebzigerjahren kontinuierlich zugenommen. Grund hierfür ist unter anderem, dass die Kartierungen von Bodendenkmälern heute öffentlich und leicht zugänglich sind. Ein ebenso wichtiger Faktor ist die große Verfügbarkeit und verbesserte Technik des nötigen Equipments, das auch von den Profis vor Ort genutzt wird. „Die Sonden werden immer besser und günstiger“, sagt Dr. Faulstich-Schilling. „Man kann sie leicht im Internet bestellen oder in einem gut sortierten Baumarkt erwerben.“
Für die Ortung werde das Handy genutzt und auch Foren im Internet spielen eine wichtige Rolle. Hier finden Schatzsucher „leichten Zugang zur Lokalisierung der archäologischen Fundplätze und Gleichgesinnte, mit denen sie sich austauschen können. Zwei, drei spezifische Begriffe und man ist mittendrin in der Szene.“ Und tatsächlich: Eine kurze Internetsuche führt Interessierte direkt auf Seiten wie abenteuer-schatzsuche.de, die zum Beispiel einen „Hobbyguide für Sondengänger & Schatzsucher“ anbietet. Im zugehörigen Onlineshop werden Detektoren, Grabungswerkzeuge und anderes Zubehör angeboten.
Die Schatzsuche mit Sonden ist grundsätzlich nicht verboten, allerdings wird immer dann, wenn sie im Umfeld archäologischer Bodendenkmäler stattfindet, eine denkmalrechtliche Genehmigung vorausgesetzt. Wird diese nicht eingeholt, machen sich Sondengänger strafbar. „Primär handelt es sich bei den Taten um Verstöße gegen die Denkmalschutzgesetze der jeweiligen Länder“, sagt Eckhard Laufer. Für diese werden Bußgelder und in manchen Bundesländern auch Geldstrafen verhängt, die mehrere Tausend Euro betragen können.
Kommt es außerdem zur Entwendung von archäologischen Fundstücken und werden diese zudem noch weiterverkauft, kann dies die Tatbestände der Unterschlagung und der Hehlerei erfüllen. Finder und Grundeigentümer haben entsprechend der Hadrianischen Teilung einen Anspruch auf die jeweilige Hälfte des Fundes. Aufgrund der in den meisten Bundesländern bestehenden Schatzregalregelung kann der Fund mit seiner Entdeckung aber auch automatisch Eigentum des Staates werden. Wer sich also nicht der Unterschlagung schuldig machen will, hat die Pflicht, auch zufällig gemachte Entdeckungen zu melden. „Das ist eine wichtige Voraussetzung, um juristische Klarheit bei archäologischen Funden zu schaffen“, sagt Michael Rind.
Galerie: 13 Bilder, die den Zauber und Nervenkitzel der Archäologie zeigen
Wer steckt hinter den Raubgrabungen?
Während hinter Raubgrabungen und dem Handel mit geraubten Artefakten international – insbesondere in politisch instabilen Ländern – meistens professionalisierte Banden stecken, sind es in Deutschland fast ausschließlich Einzeltäter mit unterschiedlicher Erfahrung und krimineller Energie, die archäologische Fundstellen zerstören und plündern. Sie seien, so Elisabeth Faulstich-Schilling, auf der Suche nach dem großen Fund, der Ruhm, Geld und Anerkennung bringen soll.
„Besonders gefragt sind Fundstücke aus Edelmetall, Schmuckstücke, Münzen und Waffen, aber auch einzigartige und dadurch sehr wertvolle Artefakte“, sagt Rind. Verkauft werden die Stücke entweder innerhalb der Community oder privat auf Plattformen wie Ebay, wo sich der VLA darum bemüht, dass nur Funde verkauft werden dürfen, für die es einen klaren Nachweis über die legale Herkunft gibt. Es ist zwar durchaus möglich, über Umwege legale Papiere für geraubte Artefakte zu beschaffen, dieser Aufwand wird aber meist nur für besondere Stücke betrieben, die dann im Kunsthandel landen.
Unabhängig davon, auf welchem Weg der Verkauf stattfindet: Er ist – ebenso wie Raubgrabungen an sich – illegal, weil er gegen das im August 2016 in Kraft getretene Kulturgutschutzgesetz (KGSG) verstößt. So enden viele altertümliche Artefakte im Keller ihrer unehrlichen Finder, weil der Verkauf zu kompliziert oder gefährlich wäre. Manchmal tauchen Fundstücke bei Haushaltsauflösungen auf oder werden bei Hausdurchsuchungen beschlagnahmt, doch „beides ist eher die Ausnahme, und leider sind diese Stücke ohne ihren ursprünglichen Zusammenhang aus wissenschaftlicher Sicht fast wertlos“, sagt Dr. Faulstich-Schilling.
Schatz gefunden – und nun?
Zwar klären archäologische Denkmalpflegeämter Schatzsuche-Interessierte und die Allgemeinheit über Möglichkeiten und Grenzen des Sondengehens auf, trotzdem ist das Problem der Raubgrabungen nach Angaben des LVA unkontrollierbar und schwer in den Griff zu bekommen. Das musste auch Elisabeth Faulstich-Schilling in Rodenbach erleben. „Wir waren der Meinung, dass nichts mehr geschehen würde, nachdem wir die archäologischen Befunde jeden Abend mit 200 Kilogramm schweren Stahlplatten sicherten“, sagt sie. „Aber es hat doch tatsächlich jemand versucht, am Rand einer Stahlplatte einen archäologischen Befund zu durchwühlen.“
Wenn also Appelle an die Vernunft und präventive Maßnahmen nicht helfen, bleibt nur die Strafverfolgung. „Sofern es Hinweise auf die Täter gibt – etwa Personenbeschreibungen oder gesichtete Kfz-Kennzeichen – führen die Ermittlungen regelmäßig zur Tataufklärung“, sagt Eckhard Laufer. Im Zuge dessen könnten Täter bereits eingetretenen Schaden wiedergutmachen, indem sie ihre Funde und das damit verbundene – manchmal auch dokumentierte – Wissen zur Verfügung stellen.
Wenn sie sich im Falle eines Fundes richtig verhalten, können Schatzsucher für die Archäologie sogar von Nutzen sein. Wer durch Zufall auf einen archäologischen Schatz stößt sollte umgehend die Polizei und die zuständige Denkmalpflege informieren, die noch erhaltenen Reste in der Erde belassen und wieder abdecken, um keine auswertbaren Spuren zu vernichten und – falls möglich – die Stelle mit Geodaten dokumentieren. Alles Weitere erledigen dann die archäologischen Experten, die die Finder durchaus in ihre Arbeit einbinden. „Zumeist darf man dann bei der Bergung sogar zugegen sein oder helfen“, sagt Kriminalhauptkommissar Laufer.
In dem Boden unter unseren Füßen liegen unzählige Momentaufnahmen aus vergangenen Zeiten verborgen, die für uns alle wertvoll sind. Laut Faulstich-Schilling betrügen Raubgräber mit ihrem Tun die Allgemeinheit nicht nur in materieller, sondern auch in ideeller Hinsicht. „Die archäologischen Befunde und Funde gehören uns allen“, sagt sie. „Sie gehören zu unserer Identität, zu unserer Geschichte.“