Vorkoloniale Siedlungsstrukturen im Amazonastiefland entdeckt
Mithilfe moderner Lasertechnologie konnten Forschende erstmals das Ausmaß der Siedlungsstätten der Casarabe-Kultur im heutigen Bolivien kartieren. Das Ergebnis: Auch im es bewachsenen Amazonastiefland gab es ein weitläufiges urbanes System.
3D-Animation der LIDAR-Daten: Cotoca – die bisher größte Stätte innerhalb der Siedlungsstruktur.
Die Kartierung von Stätten in tropischen, dicht bewachsenen Gebieten ist schwierig. So auch in den Llanos de Mojos (dt. Moxos-Ebene) in Bolivien, einer saisonal überschwemmten Savannenregion im Südwesten des Amazonasbeckens. Doch mit einer neuartigen Lasertechnik, die es ermöglicht, bauliche Strukturen auch durch dichte Vegetation zu erkennen, haben Forschende rund um Heiko Prümers und Carla Jaimes Betancourt von der Universität Bonn die Region nun kartografiert – und eine urbane Siedlungsstruktur ungeahnten Ausmaßes entdeckt.
Die Casarabe-Kultur, benannt nach der Stadt Casarabe, die in der Nähe des Gebietes liegt, hat zwischen 500 und 1400 n. Chr. einen Teil des Savannengebietes belandwirtschaftet – und bebaut. Schon vor den aktuellen Untersuchungen hatte man neben kleineren Siedlungsstätten unter anderem auch hügelähnliche Strukturen, Kanäle und Wege entdeckt. Doch jetzt ist klar: Die Siedlungsstruktur ging weit über das Bekannte hinaus. Denn auf dem heute dicht bewachsenen Gebiet stand vor weniger als tausend Jahren noch ein blühendes urbanes Zentrum.
„Wir können erstmals von vorspanischem Urbanismus im Amazonasgebiet sprechen“, sagt Studienleiter Heiko Prümers vom Deutschen Archäologischen Institut. Die Kartografie der Region nahmen Prümers und Betancourt zusammen mit José Iriarte und Mark Robinson von der Uni Exeter vor. Die Ergebnisse ihrer Forschung veröffentlichten sie nun in dem Fachmagazin Nature.
Verortung der Casarabe-Kultur innerhalb der Llanos de Mojos und Amazonies.
Urbane Stätten im Amazonasbecken
Zur Kartierung nutzen die Forschenden die Lasertechnologie LIDAR – Light Detection and Ranging –, bei der das Gelände zunächst aus der Luft mit einem Laserscanner vermessen wird. In einem weiteren Schritt kann die Software dann die Vegetation über dem Boden digital entfernen. LIDAR wurde in anderen Teilen der Welt zwar bereits eingesetzt, jedoch noch nie im Amazonasbecken.
Im Falle der Kartierung des Casarabe-Kulturgebiets fanden die Forschenden so unter anderem zwei unerwartet große Siedlungstätten: Landívar und Cotoca. Zweitere ist die größte bisher bekannte Casarabe-Siedlung – und Highlight der Forschungsergebnisse. „Mit einer Nord-Süd-Ausdehnung von 1,5 Kilometern und einer Ost-West-Ausdehnung von rund einem Kilometer ist die Cotoca-Stätte so groß wie Bonn im 17. Jahrhundert“, sagt Betancourt. Und auch sonst war die Region übersäht von Stätten, die sich zu einer weitläufigen Siedlungsstruktur zusammenfügten. „Die gesamte Region war dicht aufgesiedelt, ein Muster, das alle bisherigen Vorstellungen über den Haufen wirft.“
Auch die Bauten selber sorgten bei den Prümers, Betancourt und Kollegen für Staunen: Monumentale Siedlungsplätze mit gestuften Plattformen, rechteckige Plattformhügel und bis zu 22 Meter hohe konische Pyramiden muss es damals in Cotoca gegeben haben. Gebaut waren sie allerdings nicht aus Stein – sondern aus Erde. Diese wurde laut der Studie „zumindest teilweise aus den an das Zentrum der Siedlung angrenzenden Gebieten gewonnen.“
Das Casarabe-Kulturgebiet
Über die damalige Bevölkerungsdichte kann man trotz der neu entdeckten Strukturen bisher keine genauen Angaben machen. Laut Prümers ist aber zumindest klar, dass die Anlage der Siedlung nur mithilfe vieler Arbeiter und gut ausgebildeter Planer entstanden sein kann. Kombiniert mit bereits existierenden archäologischen Befunden zeigen die Ergebnisse deutlich, wie komplex das Siedlungssystem der Casarabe-Kultur aufgebaut war: Mit monumentalen Stätten, beeindruckender Architektur und guter sozialer Vernetzung.
Deutlich wird das vor allem in Cotoca. „Die zentrale Rolle von Cotoca als primäre Stätte wird auch durch das beeindruckende System von Kanälen und Dämmen unterstrichen, die von der Basisplattform aus in alle Himmelsrichtungen verlaufen und eine Verbindung zu den tiefer gelegenen Stätten, dem Fluss Ibare im Süden und den Seen im Osten herstellen“, so die Forschenden.
Laut Studie könne man nun endlich die Behauptung widerlegen, dass das westliche Amazonien nur dünn besiedelt gewesen sei. „Die Daten leisten einen Beitrag zur Diskussion über den globalen Reichtum der frühen urbanen Vielfalt“, schreiben die Forschenden. „So können wir die Kategorien, die für vergangene und heutige amazonische Gesellschaften verwendet werden, neu definieren.“