Steinzeitliche Chirurgie: Die weltweit erste Fußamputation
In Borneo entdeckten Archäologen das Skelett eines Mannes, der vor 31.000 Jahren eine heikle Operation überlebte: die Amputation seines Fußes. Der Fund zeigt, dass das medizinische Wissen in der Altsteinzeit wohl besser war als gedacht.
Die Begräbnisstätte des 31.000 Jahre alten Individuums in der Liang-Tebo-Höhle in Indonesien.
Die Person war wohl noch ein Kind, als an ihr die wahrscheinlich erste Operation dieser Art durchgeführt wurde: eine Fußamputation, die das Individuum vor 31.000 Jahren überraschenderweise überlebte. Durch sein Alter verändert der Fund den Blick auf die Entwicklung der operativen Medizin völlig – vor allem in Anbetracht der professionellen Durchführung der Amputation.
Zu diesem Ergebnis kam ein Forschungsteam, das ungewöhnlichen Fund aus der Altsteinzeit untersucht hat. „Die Entdeckung hat eindeutig große Auswirkungen auf unser Verständnis der Geschichte der Medizin“, sagt Studienautor Tim Ryan Maloney vom Griffith Centre for Social and Cultural Research in Sydney. Vor allem, weil der Patient nach der Operation noch etwa fünf bis neun Jahre weitergelebt habe. Laut Melandri Vlok, Co-Autorin der Studie und Bioarchäologin der Universität Sydney, lässt das neben einem entwickelteren medizinischen Verständnis in der damaligen Zeit auch auf ein hohes Maß an gemeinschaftlicher Fürsorge schließen – ein weiterer Aspekt, der den Fall so besonders macht.
Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen haben die Forschenden nun in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.
Die Überreste des Individuums. Anhand der Beinknochen konnten die Forschenden feststellen, dass der Fuß und ein Teil des Beines nicht etwa posthum abgetrennt wurden oder verloren gingen, sondern zu Lebzeiten amputiert wurden.
Operationen in der Steinzeit
Der nun bekannt gewordene Fall ist ganze 24.000 Jahre älter als der zuvor als ältester Nachweis einer chirurgischen Amputation geltende Fund. Dabei handelte es sich um einen jungsteinzeitlichen Bauern aus Frankreich, bei dem die Operation vor etwa 7.000 Jahren durchgeführt wurde. Dieser deutlich jüngere Nachweis unterstützte bislang auch die gängige Annahme, dass komplexere medizinische Prozeduren erst im Zuge der neolithischen Revolution, also mit der Etablierung des Ackerbaus in der Jungsteinzeit vor etwa 10.000 Jahren, entwickelt wurden.
Das Individuum aus Borneo, dessen Geschlecht von den Forschenden nicht bestimmt werden konnte, schreibt diese Geschichte nun um. „Dieser unerwartet frühe Nachweis einer erfolgreichen Amputation von Gliedmaßen deutet darauf hin, dass zumindest einige moderne menschliche Sammlergruppen im tropischen Asien lange vor dem Übergang zur neolithischen Landwirtschaft hochentwickelte medizinische Kenntnisse und Fähigkeiten entwickelt hatten“, so die Forschenden.
Gefunden wurden die 31.000 Jahre alten Überreste in der Liang-Tebo-Höhle in Ostkalimantan, Indonesien. Nach der Ausgrabung der Knochen wurden jene in einem Labor untersucht, wo auch das genaue Alter des Individuums – sowohl bei der Amputation als auch beim Tod – festgestellt werden konnte. Dazu fokussierten sich die Forschenden vor allem auf die Stelle, an der der Fuß und ein kurzer Teil des Beins entfernt worden waren – etwa am unteren Drittel der Wade.
Durch den Verwachsungszustand der Wadenknochen konnte das Team bestimmen, dass die Person bei der Operation zwischen zehn und vierzehn Jahre alt gewesen sein muss, zum Zeitpunkt des Todes zwischen 19 und 20.
Fortschrittliche Medizinkenntnisse
Laut den Forschenden sind vor allem die vielen Jahre, die die Person nach der Operation noch lebte, bemerkenswert. „Der oder die Chirurgen, die die Operation vor 31.000 Jahren durchführten, verfügten über detaillierte Kenntnisse der Anatomie der Gliedmaßen und des Muskel- und Gefäßsystem, um die Venen, Gefäße und Nerven freizulegen und tödlichen Blutverlust und Infektionen zu verhindern“, sagen sie.
Denn die Nachsorge und Pflege nach einer solchen Operation vor Entwicklungen wie Antibiotika und anderen Medikamenten sei selbst in der Jungsteinzeit noch äußerst schwierig gewesen. „Vor diesen Erfindungen ging man allgemein davon aus, dass die meisten Menschen, die sich einer Amputation unterzogen, entweder zum Zeitpunkt der Amputation an Blutverlust und Schock oder an einer anschließenden Infektion gestorben wären“, so die Forschenden. Nicht so in diesem Fall.
Laut India Ella Dilkes-Hall, Archäologin und Co-Autorin der Studie von der University of Western Australia, ist eine Theorie des Teams, dass die Menschen aus der Fund-Region wegen ihres Umfelds bereits weitreichendere Medizinkenntnisse hatten als bisher angenommen. „Eine Möglichkeit ist, dass die hohen Infektionsraten in den heißen und feuchten Tropen die frühen Sammler in dieser Region dazu veranlassten, die ‚natürliche Apotheke‘ der Regenwälder mit ihren Heilpflanzen anzuzapfen“, sagt sie. Nun gelte es herauszufinden, wie weit dieses Wissen auf der Welt verbreitet war – und die Geschichte der Medizin eventuell neu aufzurollen.