Die mittelalterlichen Gesichter von Kloster Whithorn Priory

Mithilfe neuartiger 3D-Rekonstruktion haben Forschende in England die Gesichter von drei mittelalterlichen Menschen zum Leben erweckt: Darunter ein Bischof, ein Kleriker und eine Frau, die ungewöhnlich bestattet wurde.

Von Lisa Lamm
bilder von Dr Christopher Rynn
Veröffentlicht am 10. Okt. 2022, 10:19 MESZ
Gesichter Mittelalter 3-D Rekonstuktion

Diese drei nun rekonstruierten Gesichter gab es vor etwa 700 Jahren in der Ortschaft Whithorn zu sehen.

Foto von Dr Christopher Rynn

Wie viel äußerliche Ähnlichkeit haben wir heute mit den Menschen aus dem Mittelalter? Diese Frage haben Forschende der Universität Bradford, England, nun beantwortet. Mithilfe modernster 3D-Technik gaben sie drei Menschen, die im Mittelalter am Kloster Whithorn Priory im Kreis Galloway, Schottland begraben wurden, ein Gesicht – und die Gelegenheit, ihre Geschichte zu erzählen.

Ein Bischof namens Walter, ein Kleriker mit einer Lippenspalte und eine Frau, die auf einem Bett aus Muscheln begraben wurde: Die drei Menschen waren alle in verschiedenster Form mit dem Klosterleben verbunden und wurden zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert auf dem Friedhof des Klosters begraben. Whithorn ist als „Wiege des schottischen Christentums” bis heute einer der wichtigsten Ausgrabungsstätten des Landes. „Das Kloster war damals ein wichtiger Wallfahrtsort“, sagt die Bioarchäologin Shirley Curtis-Summer, die an der Arbeit mit den Überresten der Personen beteiligt ist. 

Den Menschen dieser Region ein Gesicht zu geben, ist laut ihr vor allem deshalb von enormer archäologischer Bedeutung.

Belebte Geschichte

Auf der Spur der Bewohner der Region um das Whithorn Kloster sind Archäologinnen und Archäologen schon seit Jahrzehnten. Erste Überreste wurden bereits zwischen 1957 und 1967 ausgegraben. An diesen Überresten, unter denen auch die drei nun rekonstruierten Personen waren, wurden bereits in den Jahren 2000 beziehungsweise 2009 Isotopenanalysen durchgeführt, die erste Hinweise auf die Lebensumstände der am Kloster begrabenen Menschen gaben. „Die Isotopendaten aus Whithorn unterscheiden eindeutig zwischen Bestattungen mit hohem und niedrigem Status sowie zwischen Klerikern und mutmaßlichen Laien”, sagt Adrian Evans von der Universität Bradford, der an den Rekonstruktionen beteiligt war. 

Die drei Personen, deren Gesichter rekonstruiert wurden, wurden jeweils so begraben, dass die Vermutung nahe liegt, dass sie zu Lebzeiten einen höheren sozialen Status genossen. Zusätzlich waren alle drei wohl Bewohner der Grafschaft Wigtownshire, in der auch das Kloster gebaut wurde.

Den Überresten des Bischofs konnte man durch diese Analysen sogar eine konkrete, historisch festgehaltene Person zuordnen: Bischof Walter, der von 1209 bis 1235 als Bischof diente und vor seiner Bischofsweihe bei Alan fitz Roland, Lord of Galloway, als Hausangestellter arbeitete.

Auch die Isotopendaten des anderen Klerikers weisen auf ein Aufwachsen in der Region Galloway hin. Dass er eine Lippenspalte hatte, konnte bereits bei der Untersuchung der Überreste festgestellt werden. Unklar ist bislang jedoch, welche Rolle er innerhalb der Kirche konkret übernahm, auch weil es im Mittelalter üblich war, einer Passage aus Levitikus 21 zu folgen, die besagt, dass ein „Mann mit Makeln” kein Priester werden dürfe. „Sein prominenter Bestattungsort und die Beisetzung in einer Steinkiste machen jedoch deutlich, dass er ein bedeutender Mann war”, sagt Evans.

Besonders war auch das Begräbnis der Frau, der dritten rekonstruierten Person, auf dem Bett aus Muscheln. Laut Curtis-Summer stand diese Art des Begräbnisses im Mittelalter im Zusammenhang mit Pilgerreisen. Eine Theorie lautet daher, dass die Frau möglicherweise im Rahmen einer Pilgerreise zum Kloster kam und dieser Umstand durch ihr Begräbnis deutlich gemacht werden sollte.

BELIEBT

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    3D-Rekonstruktion der Muskulatur und des Weichgewebes. Die Position der Gesichtsmerkmale wird basierend auf der Schädelmorphologie mit wissenschaftlichen Methoden geschätzt.

    Foto von Dr. Christopher Rynn

    3D-Rekonstruktion der Gesichter

    Die finale 3D-Rekonstruktion der Gesichter wurde basierend auf diesen Erkenntnissen und mithilfe von 3D-Scans der in den 50er- und 60er-Jahren gefundenen Überreste durchgeführt. „Sie beinhaltet die Verwendung von Weichteilgewebetiefen im Gesicht, von Muskulatur, die individuell für jeden Schädel modelliert wurde, und von wissenschaftlichen Methoden zur Schätzung der einzelnen Gesichtsmerkmale wie Augen, Nase, Mund und Ohren anhand der Schädelmorphologie”, sagt Christopher Rynn, der die 3D-Rekonstruktionen erstellte.

    Laut Curtis-Summer bietet ein solcher buchstäblicher Einblick in das Leben der Menschen im Mittelalter eine zusätzliche Chance, ihre Geschichte besser zu verstehen. „Auch wenn wir nie die ganze Lebensgeschichte dieser mittelalterlichen Menschen erzählen können, erlaubt uns die Rekonstruktion ihrer Ernährung, ihrer Mobilität und nun auch ihrer Gesichter, in ihre Vergangenheit einzutauchen und ihnen von Angesicht zu Angesicht zu begegnen."

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