Befruchtete Froscheier und eingelegte Penisse: Die umstrittenen Exponate des Hunterian Museums

Das Hunterian Museum in London beherbergt eine außergewöhnliche Sammlung anatomischer Präparate des Mediziners John Hunter. 2023 öffnete das Museum seine Pforten erneut und setzt sich mit der ethisch fragwürdigen Geschichte seiner Forschung auseinander.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 23. Mai 2023, 09:17 MESZ
Ausstellungsstücke aus dem Hunterian Museum in London.

Verschiedene Ausstellungsstücke aus dem Hunterian Museum in London, darunter ein Krokodil, das aus einem Ei schlüpft (links). Mit seiner Neueröffnung setzt sich das Museum mit der Kritik an den Exponaten auseinander. 

Foto von Hunterian Museum London / Twitter

Wer noch nie den präparierten Schädel eines Syphilispatienten oder die eingelegten Fortpflanzungsorgane von Kröten, Elefanten oder Menschen gesehen hat, kann im Hunterian Museum in London auf seine Kosten kommen. Dieses öffnete im März 2023 nach mehreren Jahren des Umbaus wieder seine Pforten – und stellt sich im Rahmen der aktuellen Ausstellung den ethischen Bedenken, die die Exponate seit Jahren begleiten.

Neben dem Anspruch, den Menschen die Anatomie von Lebewesen und die Geschichte der Medizin näherzubringen, rückt im Rahmen der Neueröffnung auch das komplizierte Erbe John Hunters in den Mittelpunkt. Der britische Mediziner ist Namensgeber des Museums, dessen Ausstellungsstücke hauptsächlich aus seiner privaten Sammlung stammen. 

Darunter waren lange Zeit auch Objekte, die in der Kritik standen – wie der Körper des als „irischer Riese“ bekannten Charles Byrne, der zu Lebzeiten den Wunsch nach einer Seebestattung weit weg von den Anatomiesälen der Mediziner äußerte und dessen Wunsch bis heute niemand nachkam.

John Hunter widmete sein Leben der Erforschung menschlicher und tierischer Körper. Er war neben seiner Tätigkeit als Anatom auch Chirurg, Zahnarzt, Wundarzt, Militärarzt und Naturforscher. Seinen eigenen Körper stellte er der Forschung nicht zur Verfügung.

Foto von vermutlich Johann Zoffany, 1733–1810 / Wikimedia Commons

John Hunter: Fasziniert von der Anatomie

1728 geboren, fiel die berufliche Laufbahn von John Hunter genau in die Zeit, in der das Sezieren und Präparieren von toten Körpern in der Medizin einen immer höheren Stellenwert einnahm. Nachdem Hunter diese Praxis in jungen Jahren als Assistent seines Bruders, dem Arzt William Hunter, erlernte, wuchs seine Faszination für die Anatomie und Physiologie von Lebewesen aller Art immer weiter. Dabei wandte er sich neben Insekten, Amphibien und Säugetieren auch menschlichen Leichen zu.

Heute können mehr als 2.000 der aus dieser Forschung entstandenen anatomischen Präparate von Besucher*innen im Hunterian Museum begutachtet werden – dazu Instrumente, Modelle, Zeichnungen und Gemälde sowie anderes Equipment, das im 18. Jahrhundert in englischen Medizinerkreisen en vogue war. 

Highlight aus dem tierischen Zweig der Sammlung ist dabei das Präparat einer Kröte, deren Rücken mit befruchteten Eiern in verschiedenen Stadien des Schlüpfens bedeckt ist – ein vor allem für das 18. Jahrhundert beeindruckendes Projekt Hunters, den das Forschungsgebiet der Fortpflanzung besonders interessierte. Zusätzlich kann man unzählige Präparate von Fortpflanzungs- und anderen Organen verschiedenster Tiere begutachten – eingelegt in durchsichtigen Glasgefäßen.

BELIEBT

    mehr anzeigen

    Der Kopf eines Königsgeiers, präpariert von John Hunter zwischen 1760 und 1793.

    Foto von Hunterian Museum London / Twitter

    Ethische und rechtliche Bedenken

    Doch nicht nur das: Auch menschliche Penisse, Zähne, Herzen und Haut sind unter anderem in der Sammlung zu finden. In diesem Zusammenhang widmet sich das Museum auch den fragwürdigen Methoden, die Hunter teilweise anwandte, um an die Kadaver für seine Forschung zu gelangen. So war beispielsweise das Verkaufen von Leichen an Mediziner damals eine gängige Praxis, bei der die Toten nicht immer unbedingt gefragt wurden, ob sie ihren Körper der Forschung zur Verfügung stellen wollten.

    So auch im Fall des Charles Byrne. Der 1761 in Irland geborene Byrne war großwüchsig und beharrte zu Lebzeiten darauf, seinen Körper nach seinem Tod nicht den Anatomen zur Verfügung stellen zu wollen. Dennoch wurde sein Leichnam letztendlich an John Hunter verkauft – und gelangte nach dessen Tod in die Ausstellung des Hunterian Museums. Erst im Zuge der aktuellen Neueröffnung wurde Byrnes Körper nun aus der Sammlung entfernt.

    Und auch sonst ist das Erbe des Hunterian Museum und der Forschung von Medizinern wie Hunter kompliziert. „Das Hunterian Museum ist der Ort, an dem Dinosaurier benannt wurden und an dem Charles Darwin Ratschläge zu den Fossilien einholte, die er in der ganzen Welt gefunden hatte“, sagt Dawn Kemp, Direktorin für Museen und Sondersammlungen am Royal College of Surgeons of England. „Es ist aber auch der Ort, an dem einige diejenigen, die eng in das westliche ,Kolonialprojekt‘ eingebunden waren, düstere und schreckliche Ideen zur Rassentheorie entwickelten.“ 

    Kemp betont, dass historische medizinische Sammlungen wie die des Hunterian trotzdem extrem wertvoll seien, da sie uns ein besseres Verständnis für die Geschichte der Medizin und der allgemeinen Gesundheit vermittelten. Außerdem halte man sich bei den menschlichen Exponaten an den Human Tissue Act, nach dem es nur möglich ist, menschliche Überreste, die mehr als 100 Jahre alt sind, öffentlich auszustellen. 

    loading

    Nat Geo Entdecken

    • Tiere
    • Umwelt
    • Geschichte und Kultur
    • Wissenschaft
    • Reise und Abenteuer
    • Fotografie
    • Video

    Über uns

    Abonnement

    • Magazin-Abo
    • TV-Abo
    • Bücher
    • Disney+

    Folgen Sie uns

    Copyright © 1996-2015 National Geographic Society. Copyright © 2015-2024 National Geographic Partners, LLC. All rights reserved