Versunkene mittelalterliche Kirche im nordfriesischen Wattenmeer entdeckt

Die mittelalterliche Kulturlandschaft Rungholt in der Nordsee ist Stoff unzähliger Legenden. Ein Forschungsteam konnte im Watt rund um die Halligen nun die ehemalige Kirche der sagenumwobenen Stadt lokalisieren – und somit ihre Existenz belegen.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 26. Mai 2023, 16:03 MESZ
Das Messgerät des Forschungsteam im seichten Wattenmeer.

Mithilfe dieses Messwagens konnten die Forschenden unter die Oberfläche des Watts blicken – und die verborgenen Überreste Rungholts kartieren.

Foto von Dirk Bienen-Scholt, Schleswig

Um die mittelalterliche Stadt Rungholt ranken sich unzählige Legenden. Die Handelsstadt auf den Halligen verschwand im 14. Jahrhundert aufgrund einer Flut spurlos im Wattenmeer – und regt seither die Fantasie der Menschen an. So sollen die Rungholter wahlweise aufgrund ihres Reichtums, exzessiver Trinkgelage oder ihrer Vermessenheit, überhaupt auf den Halligen zu siedeln, dem Untergang geweiht gewesen sein.

Wie die Stadt damals tatsächlich unterging – oder ob sie überhaupt existierte – war dabei lange ungewiss. Erst in den letzten Jahrzehnten fanden Historiker und Archäolog*innen immer mehr konkrete Hinweise auf die tatsächliche Existenz und die geografische Lage Rungholts. 

Endgültig lokalisiert wurde die Stadt nun von einem Forschungsteam, darunter Forschende der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), nahe der Hallig Südfall. Im Rahmen eines interdisziplinären Projekts gelang es dem Team, den ehemaligen Kirchturm Rungholts zu finden – und die Siedlung großflächig zu rekonstruieren.

Auf verschiedenen Karten Nordfrieslands aus dem 17. Jahrhundert taucht die Siedlung Rungholt bereits auf. Konkret bewiesen war die Existenz der Stadt damals aber noch nicht.

Foto von Joan Blaeu, 1662 / Wikimedia

Mittelalterliche Siedlung im Wattenmeer

Die Theorie, dass Rungholt bis zur Sturmflut im Jahr 1362 in der Nähe der Hallig Südfall gestanden haben muss, stellte der Historiker und Heimatforscher Andreas Busch bereits im Jahr 1921 auf, als er im dortigen Watt Teile einer alten Schleuse fand. Deshalb untersuchte das Forschungsteam nun dort den Untergrund genauer – und fand dabei eine bis dahin unbekannte, zwei Kilometer lange Kette mittelalterlicher Siedlungshügel, auch Warften genannt. 

Einer dieser Hügel zeigt laut den Forschenden Strukturen, die eindeutig als Kirchenfundament zu deuten sind. Bei gezielten Ausgrabungen in diesem Bereich wurde das Ausmaß der ehemaligen Rungholter Kirche deutlich: Etwa 40 mal 15 Meter maß ihr Fundament. „Damit reiht sich der Fund in die großen Kirchen Nordfrieslands ein“, sagt Bente Sven Majchczack, Archäologe an der CAU. Die Existenz der Kirche beweist, dass sich an diesem Ort tatsächlich die sagenhafte Stadt Rungholt befunden haben muss.

Und nicht nur das: Zusätzlich zu der Hauptkirche fand das Team Spuren zweier kleinerer Kirchen, 54 weitere Warften, systematische Entwässerungssysteme und einen Seedeich mit Sielhafen. Die Funde lassen auf die Größe und Wichtigkeit der Stadt schließen: Die Forschenden vermuten, dass Rungholt somit einer der Hauptorte von Edomsharde war, einem Verwaltungsbezirk in Nordfriesland, der bis 1634 bestand.

BELIEBT

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    Das Atlantis der Nordsee

    Wie das Leben in Rungholt im Mittelalter konkret aussah, weiß man bis heute nicht. Die Sage wurde lange Zeit mündlich weitergetragen, schriftliche Überlieferungen gibt es nur von Dichtern und Schriftstellern, die sich von den Erzählungen inspirieren ließen. Darunter der Dichter Detlev von Liliencron, der im Jahr 1882 die Ballade Trutz, Blanke Hans schrieb und dort von den feierwütigen Bewohnern Rungholts und dem schrecklichen Untergang der Stadt erzählt. Ein Jahr zuvor hatte bereits Theodor Storm die Sage als Teil seiner Novelle Eine Halligfahrt niedergeschrieben. Auch in seiner Version der Geschichte sind die Bewohner Rungholts reich und pflegen einen exzessiven Lebensstil.

    Welche Teile der Legenden rund um die Handelsstadt der Wahrheit entsprechen, wird sich nun möglicherweise im Rahmen weiterer Untersuchungen zeigen. Denn sowohl die geografische Lage als auch die Größe der Siedlung könnten Aufschluss über die Bewohner, ihren möglichen Reichtum und ihren Alltag liefern. Und dass es die Stadt wirklich gab, weiß man nun ganz sicher.

     

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