12.000 Jahre alte Flöte klingt wie ein Raubvogel

Im Norden Israels haben Forschende antike Flöten gefunden, mit denen Menschen der Natufien-Kultur einst Vogelgesänge imitierten. Eine der Flöten funktioniert bis heute – und könnte Einblicke in frühe Formen der Kommunikation und des Musizierens bieten.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 14. Juni 2023, 09:12 MESZ
Die Knochenflöte von drei Seiten vor einem schwarzen Hintergrund.

Die Knochenflöte aus der steinzeitlichen Siedlung Eynan Mallaha lässt sich heute noch spielen – und ist die älteste, die den Ruf eines Vogels bis heute nachahmen kann.

Foto von Davin, L., Tejero, JM., Simmons, T. et al., 2023

Auch unsere steinzeitlichen Vorfahren waren bereits musikalisch: Ein internationales Forschungsteam hat im Nordosten Israels prähistorische Instrumente gefunden – sieben sogenannte Aerophone, Flöten aus den Flügelknochen von Vögeln. Sie sind die ältesten, die je im Nahen Osten entdeckt wurden und laut Tal Simmons, Forensiker an der Virginia Commonwealth University in Richmond, Virginia, etwa 12.000 Jahre alt. 

Besonders spannend: Eines der prähistorischen Instrumente lässt sich bis heute spielen – und gibt uns die Möglichkeit, Töne zu hören, die auch unsere steinzeitlichen Vorfahren schon vernahmen. Die Studie, die Simmons und seine Kolleg*innen durchführten, ist im Fachmagazin Nature erschienen.

Flöten aus Vogelknochen 

Entdeckt wurden die Flöten im Rahmen von Ausgrabungen in Eynan Mallaha, einer der bekanntesten Siedlungen der Natufien-Kultur, deren Angehörige zu den ersten Jäger-und-Sammlergruppen zählten, die sesshaft wurden. Die Ausgrabungsstätte befindet sich im Norden des heutigen Israels und wurde von etwa 10000 v. Chr. bis 8000 v. Chr. bewohnt.

In Eynan Mallaha fanden die Forschenden 1.112 Vogelknochen, darunter sieben Knochen, die auffällig geformte Enden aufwiesen und in die Löcher gebohrt worden waren: die Aerophone. „Alle sieben wurden absichtlich durch Schaben und Aushöhlen mithilfe kleiner Steinklingen hergestellt“, so Simmons. Dabei nutzten die Menschen die Flügelknochen zweier Vogelarten – der Krickente (Anas crecca) und des Blässhuhns (Fulica atra).

Links: Oben:

Die spielbare Flöte war beim Fund fast vollständig intakt – der Ton, der mit ihr produziert werden kann, gleicht noch heute dem Ruf eines Raubvogels.

Rechts: Unten:

Auch bei den sechs weiteren Knochenflöten sind noch die Grifflöcher und die Mundstücke erkennbar.

bilder von Davin, L., Tejero, JM., Simmons, T. et al., 2023

Bislang wurden ähnliche Instrumente zwar bereits in anderen Gebieten Europas gefunden, dennoch ist der Fund der Aerophone besonders – vor allem, weil sich in diesem Fall eine der Flöten sogar noch spielen lässt. Bläst man in sie hinein, ertönt ein schriller, pfeifender Ton, der vermutlich den Ruf eines Raubvogels imitieren sollte. Die Flöte ist die weltweit älteste, mit der ein solcher Ruf noch heute produziert werden kann. 

Die Forschenden vermuten, dass die Angehörigen der Natufien-Kultur mithilfe des Instruments entweder den Ruf von Turmfalken oder Sperbern imitierten – Vögel, die beide nachweislich am Fundort gejagt wurden.

Zwischen Lockrufen, Musik und Kommunikation

Doch zu welchem Zweck bauten die Menschen damals solche Flöten? Dazu gibt es mehrere Theorien. Die Tatsache, dass die Flöten den Ruf von Vögeln imitieren, die die Menschen jagten, könnte darauf hinweisen, dass sie als Lockinstrumente genutzt wurden. Die fehlende Vielfalt in den Flöten lässt das Team an dieser Theorie bislang jedoch zweifeln.

BELIEBT

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    Für wahrscheinlicher halten die Forschenden, dass die Natufianer ihnen bekannte Laute nutzten, um zu musizieren. „Ethnografische und archäologische Belege aus verschiedenen Teilen der Welt zeigen durchweg, dass in Gesellschaften, in denen Nebenprodukte von Vögeln (Krallen, Federn) als persönlicher Schmuck verwendet werden, vokale und instrumentale Vogelimitationen in der traditionellen Musik und im Tanz einen hohen symbolischen Wert haben“, heißt es in der Studie. Auch bei der natufien-Kultur sind solche Funde bereits gemacht worden.

    Und noch eine weitere Möglichkeit will das Team nicht ausschließen. „[Die Flöten] könnten auch ein Versuch gewesen sein, mit den Raubvögeln spirituell zu kommunizieren“, sagt Simmons. Da Vögel für die Natufianer – und für andere Kulturen der Levante – extrem wichtig waren, könnten sie so ihre Verbindung mit den Vögeln ausgedrückt oder verstärkt haben. 

    Welchen Zweck die Flöten tatsächlich erfüllten, kann vermutlich erst durch weitere Funde dieser Art konkret aufgedeckt werden. 

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