Tod durch Attentat: Wenn Machthaber ermordet werden

Mord ist ein beliebtes Mittel, um Herrschende abzusetzen. Politisch motivierte Attentäter schockieren und faszinieren. Vor allem aber ändern sie den Lauf der Zeit. Fünf Mordversuche, die Geschichte geschrieben haben.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 17. Nov. 2023, 16:08 MEZ
Gemälde: Ein Mann steht hinter dem sitzenden Präsidenten und richtet eine Pistole auf ihn.

Darstellung des Attentats auf den US-Präsidenten Abraham Lincoln während eines Besuchs des Ford’s Theater in Washington, D.C., am 14. April 1865.

Foto von T. M. McAllister of New York / Wikimedia Commons

Kaiser, Königinnen, Staatsoberhäupter: Sie haben das höchste Amt ihres Landes inne, bestimmen über das Schicksal ihres Volks. In solch exponierter Position lebt es sich gefährlich und an Beispielen für Mordanschläge auf Regierende mangelt es in der Geschichte nicht.

Laut Sven Felix Kellerhoff, Journalist und Autor des Buchs Attentäter: Mit einer Kugel die Welt verändern gibt es sechs verschiedene Täterkategorien: verwirrte oder idealistische Einzeltäter, religiöse Eiferer, Auftragsmörder, Vollstrecker von Verschwörungen und politische Terroristen. Mit Ausnahme des bezahlten Killers haben sie alle eines gemeinsam: Sie glauben, mit dem Mord an einem Machthaber eine in ihren Augen nötige Veränderung der politischen Verhältnisse herbeiführen zu können. Tatsächlich haben Attentate auf höchster Ebene einen weitreichenden Effekt – selten aber den gewünschten.

Inhalt

Ziel verfehlt, Gegenteil erreicht

„Was Attentäter wol­len und was sie mit ihrer Tat bewirken, sind grundsätzlich zwei Paar Schuhe“, schreibt der Historiker Michael Sommer von der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg in einem Essay, das in der Fachzeitschrift Aus Politik und Zeitgeschichte erschienen ist. Häufig werde durch das Attentat sogar das Gegenteil des eigentlichen Ziels erreicht.

So etwa im Fall zweier von Sozialisten ausgeführten Attentate auf Kaiser Wilhelm I. im Jahr 1878, die er beide überlebte. Reichskanzler Otto von Bismarck nahm sie zum Anlass, das sogenannte Sozialistengesetz zu erlassen, das sozialistische, sozialdemokratische und kommunistische Vereine und Politiker noch stärker unter Druck setzte, als es vor den Attentaten der Fall gewesen war. „Stets also polarisiert die Tat und wird so zum Spielball politischer In­teressenlagen“, so Sommer.

Ihm zufolge kommen politische Attentate vermehrt in Systemen vor, in denen Einzelpersonen eine herausragende Rolle spielen – etwa Diktaturen oder Monarchien –, die sich im Umbruch oder in Krisen befinden oder in denen ein hohes Maß an politischer, religiöser oder sozialer Spaltung vorliegt. „Trifft mehr als eines dieser Merkmale auf eine Gesellschaft zu, dann ist sie potenzi­ell anfällig für politisches Assassinentum“, so Sommer.

BELIEBT

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    Attentäter ohne Kontrolle

    So erklärt sich die auffällige Häufung von politischen Attentaten im Alten Rom, den europäischen Monarchien zwischen der Französischen Revolution und dem Ersten Weltkrieg, der Weimarer Republik oder den jungen Vereinigten Staaten. In den sozialistischen Systemen des Ostblocks waren sie hingegen selten, ebenso in den heutigen westlich geprägten Demokratien. Bisher, denn mit der Zunahme an sozialpolitischen Krisen steigt auch hier die Zahl der politisch motivierten Anschläge.

    Als was die Taten in die Geschichte eingehen, so Sommer, „hängt maßgeblich davon ab, wer die Deutungshoheit über die Vergangenheit hat.“ Als Claus Schenk Graf von Stauffenberg im Jahr 1944 ein Attentat auf Adolf Hitler verübte, das fehlschlug, wurde dieses von einem Großteil der Deutschen als Verrat angesehen. In einer Allensbach-Umfrage im Jahr 1951 äußerte sich ein Drittel der Befragten kritisch zu dem Anschlag. Zum 60. Jahrestag der Tat im Jahr 2004 verurteilte nur noch ein geringer Prozentsatz den Mordversuch.

    Wie ein Attentat also im Laufe der Geschichte bewertet wird, können Täter*innen ebenso wenig vorhersagen oder steuern wie seinen Effekt – wie sich an den folgenden Beispielen zeigt.

    Gaius Julius Cäsar – antiker Tyrannenmord

    In seinem Gemälde La morte die Cesare aus dem frühen 19. Jahrhundert bildet der italienische Maler Vincenzo Camuccini den Mord an Julius Cäsar ab.

    Foto von Vincenzo Camuccini, 1771-1844 / Wikimedia Commons

    Die Ermordung des römischen Feldherren Gaius Julius Cäsar ist eines der berühmtesten politischen Attentate der Menschheitsgeschichte. Im Jahr 45 v. Chr. hatte Cäsar sich in Rom zum Diktator auf Lebenszeit ausrufen lassen – und sich damit unter den Senatoren viele Feinde gemacht. Unter der Federführung von Marcus Iunius Brutus und Gaius Cassius Longinus beschloss eine Gruppe von ihnen darum, den Diktator aus dem Weg zu räumen. Zwischen 60 und 80 Personen sollen an dem Komplott beteiligt gewesen sein.

    Am 15. März des Jahres 44 v. Chr. erschien Cäsar bei einer Senatssitzung im Theater des Pompeius in Rom – obwohl seine Frau Calpurnia die bevorstehende Tat in Albträumen gesehen und ihn gewarnt haben soll. Auch der antike Wahrsager Spurinna hatte Cäsar einen Monat zuvor auf eine große Gefahr hingewiesen, die spätestens an den Iden – also in der Monatsmitte – des März eintreten sollte. Doch der Diktator wollte sich nicht die Blöße des Aberglaubens geben und nahm trotz aller dunklen Vorzeichen inmitten seiner Mörder Platz.

    Die Attentäter umstellten ihn und töteten ihn hinterrücks mit mehreren Dolchstichen. Der Erzählung nach soll der sterbende Cäsar Brutus, für den er eine Art väterlicher Freund gewesen war, unter den Mördern erkannt und die berühmten griechischen Worte kaì sy téknon – „Auch du, mein Sohn?“ – gesprochen haben. Ob der tödlich Verletzte aber tatsächlich noch in der Lage war, zu sprechen, wird angezweifelt.

    Der sogenannte Tyrannenmord zog einen Bürgerkrieg nach sich, der im Jahr 31. V. Chr. damit endete, dass Cäsars Großneffe und Adoptivsohn Gaius Octavius als Kaiser Augustus zum römischen Alleinherrscher wurde.

    Philipp von Schwaben – Blutrache für die Ehre

    Diese Miniatur aus der Sächsischen Weltchronik aus dem frühen 14. Jahrhundert zeigt die Ermordung des römisch-deutschen Königs Philipp von Schwaben.

    Foto von Wikimedia Commons

    Der im Jahr 1198 gekrönte König Philipp von Schwaben war der erste von zwei römisch-deutschen Herrschern, die durch ein Attentat den Tod fanden. Am 21. Juni 1208 besuchte er die Hochzeit seiner Nichte Beatrix von Burgund mit Herzog Otto VII. von Andechs-Meranien und zog sich im Anschluss in seine Gemächer in der Bamberger Bischofspfalz zurück, um Mittagsruhe zu halten.

    Diese wurde unterbrochen, als Otto VIII. von Wittelsbach, Pfalzgraf von Bayern, unangemeldet erschien und um eine Audienz bat. Philipp empfing ihn und besiegelte so sein Schicksal – mit einem Schwert durchtrennte Otto VIII. die Halsschlagader des Königs und floh. 

    Über das Mordmotiv wird bis heute spekuliert. Auch wenn die Möglichkeit eines Komplotts unter Beteiligung der Andechs-Meranier in Betracht gezogen wird, gilt als am wahrscheinlichsten, dass Otto Philipp aus Rache tötete: Fünf Jahre vor der Tat hatte der König seinen zukünftigen Mörder aus taktischem Kalkül mit seiner damals einjährigen Tochter Kunigunde verlobt. Als die strategische Lage sich änderte, brach Philipp im Jahr 1207 die Vereinbarung und versprach Kunigunde dem Sohn des böhmischen Königs. Der soziale Status des Wittelsbachers war stark beschädigt, seine Ehre verletzt.

    Otto VIII. befand sich nach der Tat mehrere Monate als Vogelfreier auf der Flucht. Am 7. März 1209 wurde er bei Regensburg gefasst und getötet. Seinen abgetrennten Kopf warf man in die Donau, der Rest des Leichnams wurde über Jahre in einem Fass aufbewahrt.

    Abraham Lincoln – Tödlicher Theaterbesuch

    Abraham Lincoln auf seinem Sterbebett am Morgen nach dem tödlichen Attentat am 14. April 1865. 

    Foto von Foto von Alonzo Chappel, 1828-1887 / Wikimedia Commons

    Im Jahr 1861 übernahm Abraham Lincoln das Amt des 16. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Wahl des Republikaners, der ein ausgesprochener Gegner der Sklaverei war, führte zum Austritt der meisten Südstaaten aus der Union und markierte den Beginn des Amerikanischen Bürgerkriegs. Dieser endete am 9. April 1865 mit der Kapitulation des wichtigsten Heers der Konföderierten.

    Fünf Tage später, am Karfreitag, besuchte Lincoln, der im Jahr 1864 für eine zweite Amtszeit wiedergewählt worden war, mit seiner Frau Mary das Ford’s Theater in Washington D.C., um eine Vorstellung der Komödie Our American Cousin zu sehen. Zwar wurden die Lincolns von einem Leibwächter begleitet, dieser war aber nicht vor Ort, als sich John Wilkes Booth in die Präsidentenloge schlich.

    Booth gehörte einer Gruppe von Verschwörern an, die mit dem Süden sympathisierte und eigentlich geplant hatte, Lincoln zu entführen. Als Schauspieler, der selbst schon vor Lincoln im Ford’s Theater aufgetreten war, hatte Booth sich leicht Zutritt verschaffen können. Mit einer Pistole schoss er Lincoln aus unmittelbarer Nähe in den Kopf und flüchtete unbehelligt aus dem Theater und – mithilfe wartender Komplizen – aus der Stadt. Er versteckte sich im südlichen Bundesstaat Virginia, wurde dort jedoch an die Polizei verraten und bei einem Schusswechsel am 26. April 1865 getötet.

    Lincoln erlag trotz umgehender medizinischer Versorgung seiner Verletzung und wurde am Morgen nach der Tat für tot erklärt. Er war der erste von vier US-Präsidenten, die bei einem Attentat starben – und seine Beliebtheit ist nach wie vor ungebrochen: In einer regelmäßig stattfindenden Umfrage des US-amerikanischen Siena College Research Institute zu den populärsten Präsidenten der Geschichte ist Lincoln zuverlässig in der Top 3 zu finden.

    Alexander II. – Nieder mit der herrschenden Klasse!

    Darstellung des Bombenanschlags auf die Kutsche des russischen Zaren Alexander II. im Jahr 1881.

    Foto von Wikimedia Commons

    Das Attentat, in dessen Folge der russische Zar Alexander II. Nikolajewitsch aus dem Haus Romanow-Holstein-Gottorp im Jahr 1881 starb, war nicht der erste Anschlag auf sein Leben. Bereits dreimal zuvor – in den Jahren 1879 und 1880 – hatten Anhänger der sozialrevolutionären Untergrundorganisation Narodnaja Wolja – zu Deutsch „Volkswille“ – versucht, den Alleinherrscher umzubringen.

    Am Nachmittag des 13. März 1881 befand sich der Zar auf dem Rückweg von einer Militärparade in St. Petersburg zu seinem Winterpalais, als eine Bombe explodierte: Der Student Nikolai Ryssakow hatte eine mit Dynamit gefüllte Dose auf die Zarenkutsche geworfen. Das Gefährt war zerstört und mehrere Mitglieder der Eskorte verletzt, doch Alexander hatte überlebt und der Attentäter konnte überwältigt werden.

    Auf die Frage, ob er verletzt sei, antwortete der Zar: „Nein, ich bin Gott sei Dank unversehrt.“, woraufhin Ryssakow gefragt haben soll: „Ist es nicht zu früh, um Gott zu danken?“. In diesem Moment warf der bisher unbemerkte zweite Attentäter Ignati Grinewizki eine weitere Bombe direkt vor Alexanders Füße. Der Zar starb noch am selben Tag, nachdem er viel Blut verloren hatte, an seinen Verletzungen – ebenso wie Grinewizki selbst. Ryssakow wurde im April 1881 zusammen mit fünf anderen Verschwörern, deren Namen er verraten hatte, öffentlich gehängt.

    Alexander III., der zweitgeborene Sohn, folgte seinem Vater auf den Thron und regierte Russland 13 Jahre lang. Auch auf ihn übte Narodnaja Wolja einen Anschlag aus, der jedoch vereitelt wurde.

    Indira Ghandi – Religiöse Eskalation

    Die indische Premierministerin Indira Ghandi bei einem Besuch im Weißen Haus im Juli 1982.

    Foto von National Archives / Wikimedia Commons

    In ihrer Rolle als Premierministerin von Indien war Indira Ghandi alles andere als unumstritten. Mit harter Hand versuchte sie, die Probleme des riesigen Lands zu lösen, doch viele überdauerten ihre – mit Unterbrechung – 16-jährige Amtszeit.

    Eine große Bedrohung ging unter anderem von den Unabhängigkeitsbewegungen aus, darunter auch Separatisten der religiösen Minderheit der Sikh. Nachdem sich eine Extremistengruppe nach Ausschreitungen im Jahr 1982 im Golden Tempel, einem Sikh-Heiligtum, verschanzt hatte und alle Verhandlungen fehlgeschlagen waren, ordnete Ghandi im Januar 1984 die Operation Blue Star an, um ihn zurückzuerobern. Mehr als 2.000 Sikh, darunter auch unschuldige Pilger, starben. Dem Rat, die Sikh unter ihren Leibwächtern vorsichtshalber zu entlassen, folgte Ghandi nicht. Ihre Begründung: Indien sei ein säkularer Staat.

    Am Morgen des 31. Oktober 1984 wartet der britische Schauspieler Peter Ustinov im Garten von Ghandis Bungalow in Neu-Delhi auf die Premierministerin, um mit ihr ein Live-Interview für die BBC-Dokureihe Ustinov’s People zu führen. Als plötzlich Schüsse fielen und große Aufregung ausbrach, versuchte er zunächst, die Zuschauer zu beruhigen, sprach dann aber, nachdem er die Lage erfasst hatte, in die Kamera: „Auf Indira Ghandi ist soeben geschossen worden.“

    Die Attentäter waren Mitglieder von Ghandis Leibgarde: Beant Singh und Satwant Singh, zwei Sikh. Ersterer schoss der Premierministerin in den Unterleib, der zweite feuerte auf die am Boden liegende Frau, bis keine Kugel mehr übrig war. Indira Ghandi erlag noch am selben Tag im Krankenhaus ihren Verletzungen. Beant Singh wurde am Tatort von anderen Leibwächtern erschossen, Satwant Singh festgenommen und im Jahr 1989 gehängt. Auf die Ermordung von Ghandi folgten vor allem in Nordindien Anti-Sikh-Pogrome, bei denen offiziellen Schätzungen zufolge etwa 3.000 Menschen starben.

    Galerie: Gescheiterte Attentate

    Eines der wohl berühmtesten Attentate, der Anschlag auf John F. Kennedy, gedenkt National Geographic am 22. November ab 6:00 mit einer Sonderprogrammierung. National Geographic und National Geographic WILD empfangt ihr über unseren Partner Vodafone im GigaTV Paket.

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