Collyweston Palace: Hobby-Archäologen finden verlorenen Palast der Tudors

Seit Generationen erzählt man sich in England die Geschichte eines verschwundenen Anwesens, in dem sich einst britische Könige und Königinnen getroffen haben sollen. Seine Existenz wurde angezweifelt – bis ein lokales Suchteam anfing, tiefer zu graben.

Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 15. Dez. 2023, 08:54 MEZ
Luftaufnahme einer Ausgrabung mit mehreren Personen in der Ausgrabungsstätte.

Mitglieder des Amateurteams graben im Garten einer Privatperson nach dem verschollenen Palast der Tudors.

Foto von Collyweston Historical & Preservation Society

Es soll einst das Lieblingsanwesen von Lady Margaret Beaufort, der Mutter von König Henry VII. Tudor, gewesen sein: Collyweston Palace, ein royaler Landsitz der Tudor-Dynastie in der Grafschaft Northamptonshire, östlich von Birmingham. Im Dorf erzählt man sich bis heute Geschichten über die sagenumwobenen Ländereien. Denn: Bis vor Kurzem war man sich nicht sicher, ob es sich bei Collyweston Palace nur um einen Mythos handelt – trotz einiger historischer Erwähnungen galt das Gebäude als unauffindbar. 

Die erfolglosen Suchen nach dem Anwesen begannen bereits in den 1980er und 1990er Jahren. Im März 2018 schloß sich schließlich ein lokales Team aus Amateur*innen zusammen mit der Mission, den mysteriösen royalen Palast endlich zu finden. 2023 gelang der Collyweston Historical & Preservation Society (CHAPS) dann das schier Unglaubliche: Sie fanden Mauerstücke des Collyweston Palace – in einem privaten Garten. 

Das Grabungsteam der Collyweston Historical & Preservation Society. Alle Teammitglieder stammen aus der Gegend – und haben vorher noch nie eine archäologische Grabung unternommen.

Foto von Collyweston Historical & Preservation Society

Verschwundener Palast mit historischer Bedeutung 

Laut wenigen historischen Aufzeichnungen soll es den Palast bereits seit 1412 gegeben haben. Seit 1485 gehörte das Anwesen zur englischen Krone und wurde Anfang des 16. Jahrhunderts regelmäßig von Lady Margaret Beaufort besucht. Auch ihr Sohn Henry VII., der den englischen Thron als letzter König durch einen Sieg auf dem Schlachtfeld bestieg, verbrachte dort wohl einige Tage seines Lebens. Er ließ laut den Aufzeichnungen sogar die zweiwöchigen Feierlichkeiten vor der Hochzeit seiner Tochter Margaret Tudor mit Jakob IV. von Schottland in Collyweston ausrichten. 

BELIEBT

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    Auch Henrys Sohn, der berüchtigte König Henry VIII. – bekannt aufgrund seiner sechs Ehen, die zum Großteil in Scheidungen oder Hinrichtungen endeten –, war vermutlich während seiner Kindheit häufig im Collyweston Palace zu Gast. „Es gibt zwar keine offiziellen Aufzeichnungen über seine Kindheit, allerdings stand Henry seiner Großmutter sehr nahe, und sie spielte eine wichtige Rolle in seiner Erziehung und Bildung“, heißt es in einer Mitteilung der CHAPS. Beide hatten eine Leidenschaft fürs Jagen, weshalb es sehr wahrscheinlich ist, dass sie viel Zeit in den ausladenden Gärten, dem Wildpark und auf den Wiesen von Collyweston Palace verbrachten. 

    Aus den Aufzeichnungen der nationalen Archive geht außerdem hervor, dass Königin Elizabeth I. zu Besuch war, um Handwerksaufträge und Restaurationsarbeiten am Palast durchführen zu lassen. Es gibt verschiedene „Reparaturbücher“, in denen ihr Name auftaucht, sowie die Beträge, die sie an örtliche Handwerker gezahlt hatte. 

    Amateur-Archäolog*innen auf der Suche nach einem mysteriösen Anwesen

    Eine Bodenradar-Aufnahme zeigt, wo der Palast einst gestanden haben könnte. Die Umrisse der einstigen Gebäude sind in weiß deutlich zu erkennen.

    Foto von Collyweston Historical & Preservation Society

    Der Palast wurde zum Mysterium, als er Mitte des 17. Jahrhunderts vermutlich baufällig wurde und schließlich abgerissen werden musste. So waren nicht einmal verbliebene Mauerreste bekannt, die an das royale Bauwerk erinnern könnten. Das circa 80-köpfige Amateurteam der CHAPS, das aus Teenagern, Erwachsenen und Senioren aus der Gegend besteht, musste also zunächst die gesamte Fläche des Dorfes in ihre Untersuchungen einbeziehen. Um das Gebiet näher einzugrenzen, beriefen sie sich in ihren ersten Grabungsplänen aus dem März 2018 auf lokale Volkserzählungen und Hörensagen über den Palast. 

    „Als wir mit dem Projekt begannen, hatten wir sehr wenig Geld, keine Karten, keine künstlerischen Darstellungen und keine Experten in unserem Verein”, sagt Chris Close, Vorsitzender des Vereins. „Wir sahen uns also die Landschaft an, sammelten etwas Geld für grundlegende geophysikalische Untersuchungen und organisierten eine Gemeinschaftsgrabung.“

    Nach einigen Jahren der Mittelakquise und Gesprächen mit Expert*innen, konnte das CHAPS-Team anhand von Bodenradar und durch die Mithilfe der Anwohner*innen bei einer Ausgrabung im März 2023 Unerwartetes zum Vorschein bringen: In einem Garten eines Privatgrundstücks fanden die Hobby-Archäologen Mauerreste und Überreste eines angelegten Bachsystems. 

    Links: Oben:

    In einem Garten auf einem Privatgrundstück kamen bei Ausgrabungen Steine zum Vorschein.

    Rechts: Unten:

    Die Mauern gehörten einst zum Collyweston Palast, wie die University of York bestätigen konnte.

    bilder von Collyweston Historical & Preservation Society

    „Angesichts der historischen Aufzeichnungen liegt die Vermutung nahe, dass es sich um einen Teil des lange verschollenen Collyweston Palace handeln könnte“, sagt John Gaters, ein zu Rate gezogener archäologischer Geophysiker, der selbst nicht an den Ausgrabungen beteiligt war. Die Bestätigung erhielt das CHAPS-Team schließlich im November 2023, nachdem die University of York ein Auge auf die Ausgrabungsstätte geworfen hatte: Es handelt sich tatsächlich um Überreste des verloren geglaubten Palastes der Tudors. „Auf dem Gelände wurden unterirdische Beweise für die Datierung gefunden, darunter Steinsimse von Fenstern aus dem 15. Jahrhundert und grün glasierte Töpferwaren“, sagt Close. 

    Ein intakter Bach. Die Aufzeichnungen über Collyweston Palace aus dem 16. Jahrhundert zeigen, dass dieses Rinnsal mit Weidenbäumen an der Seite bepflanzt war und Tore hatte, um den Wasserfluss zu den Wasserwiesen zu kontrollieren.

    Foto von Collyweston Historical & Preservation Society

    Den Geheimnissen von Collyweston Palast auf der Spur

    Seit die Palastanlage identifiziert wurde, unterstützt auch die University of York die Ausgrabungen der CHAPS. In Zukunft wollen die Amateur-Archäolog*innen mit der Hilfe der Universität noch viele offene Fragen klären: Wo befand sich zum Beispiel der Eingang zum Palast? Und wie könnte sein Grundriss ausgesehen haben? Für 2024 sind fünf bis sechs weitere Ausgrabungen geplant, um den Geheimnissen des mysteriösen Anwesens auf den Grund zu gehen.

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