Wie das Christentum nach Deutschland kam

Trotz Austrittswelle sind die meisten Deutschen bis heute Mitglied in einer der beiden christlichen Kirchen. Doch das Christentum war nicht schon immer da. Über einen Jahrhunderte andauernden Prozess, politische Macht und brutale Missionierung.

Von Katarina Fischer
Veröffentlicht am 18. Dez. 2023, 10:22 MEZ
Drei Kreuze auf einem Berg vor einem Sonnenuntergang.

Kreuze auf dem Gipfel des Kornbühl, einem Berg der Schwäbischen Alb in Baden-Württemberg. Die Region wurde, wie der größte Teil des heutigen Deutschlands, erst ab dem Frühmittelalter christianisiert.

Foto von JRG / adobe Stock

Glaube ist in Deutschland Privatsache. Eine Staatsreligion gibt es nicht und durch die Zugehörigkeit zu einer Konfession oder Kirche entstehen für die Menschen dieses Landes weder Vor- noch Nachteile – so regelt es Artikel 140 des Grundgesetzes.

Laut dem Religionsmonitor 2023 der Bertelsmann-Stiftung, der im Dezember 2022 erschien, machen die Konfessionsfreien – also die Menschen, die in keiner Kirche Mitglied sind und sich keinem Glauben zuordnen – inzwischen 44 Prozent der deutschen Bevölkerung aus, Tendenz steigend. Trotzdem gilt Deutschland als christliches Land, was statistisch gesehen auch den Tatsachen entspricht: Jeder vierte Deutsche ist katholisch, 23 Prozent sind Mitglied der evangelischen Kirche.

Christliche Feiertage und Rituale sind fester Bestandteil des Lebens in Deutschland, über 44.000 christliche Gotteshäuser sorgen für eine hohe Sichtbarkeit. Doch um an diesen Punkt zu kommen, musste sich das Christentum in Deutschland erst etablieren – ein Prozess, der im 4. Jahrhundert, der Spätantike, ausgehend vom Römischen Reich seinen Anfang nimmt.

Römisches Reich: Aufstieg zur Staatsreligion

Dort entwickelt sich das Christentum um das Jahr 300 n. Chr. von einer verfolgten zur Staatsreligion. Die Basis hierfür bildet die Mailänder Vereinbarung, die im Jahr 313 n. Chr. zwischen den römischen Kaisern Konstantin I. und Licinius geschlossen wird und den christlichen Glauben mit dem damals vorherrschenden römischen Polytheismus gleichgestellt.

Ein byzantinisches Manuskript aus dem 9. Jahrhundert zeigt den römischen Kaiser Konstantin I., der vor der Schlacht auf der Milvischen Brücke im Jahr 312 n. Chr. eine Vision hat, in der ihm Jesus Christus erscheint. Nach seinem Sieg beendet er die Christenverfolgung im Römischen Reich und ebnet dem Christentum so den Weg zur Staatsreligion.

Foto von Wikimedia Commons

Die bis dahin im Römischen Reich dominierenden paganen Glaubensgemeinschaften sind aufgrund ihrer unterschiedlichen religiösen Vorstellungen stark zersplittert. Anders das Christentum, dessen Anhänger sich nun überall im Reich vereinen – der Beginn eines wahren Siegeszugs, der Konstantins Macht wachsen lässt. „Plötzlich gab es ganz viele Christen“, sagt Prof. Sebastian Ristow, Archäologe an der Universität zu Köln. „Und wenn man diese Vielen hinter sich versammeln kann, kann man dadurch seine Herrschaft festigen.“

Im Laufe des 4. Jahrhunderts dringt das Christentum zunehmend in die höheren Gesellschaftsschichten ein, seine Anhänger besetzen immer mehr Schlüsselpositionen, verfügen über viele Privilegien und verdrängen nach und nach die heidnischen Eliten. Im Jahr 380 n. Chr. erhebt Kaiser Theodosius das Christentum zur Staatsreligion und die christliche Kirche zur Staatskirche, elf Jahre später werden alle heidnischen Kulte verboten.

Köln und Mainz: Christentum in den Germaniae

Damit ist das Römische Reich offiziell christlich. Das gilt auch für die germanischen Provinzen, die sogenannten Germaniae, Germania prima mit Köln und Germania secunda mit Mainz als Hauptstadt. Diese Orte sind – nach der Stadt Trier, die damals jedoch zur Provinz Gallien gehört – die ersten auf heute deutschem Boden, in denen das Christentum sich nachweislich etabliert.

Die Entwicklung beschränkt sich zunächst auf die Städte. „Wir können archäologisch und auch historisch in der ersten, spätantiken Phase der Christianisierung in ländlichen Gebieten nichts nachweisen“, sagt Ristow. In diesen Regionen fehlen sowohl mit dem Christentum verbundene Funde als auch Aufzeichnungen aus dem 4. Jahrhundert, sodass man davon ausgehen muss, dass die Menschen auf dem Land noch an den alten Religionen hingen. In Städten wie Trier, Köln und Mainz aber gibt es Belege für die Existenz nennenswerter christlicher Gemeinden zu jener Zeit.

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    Rätselhafte Lücke in der Quellenlage

    Mit dem 5. Jahrhundert, in dem sich das frühe Mittelalter von der Spätantike absetzt, entsteht eine Lücke in archäologischen Befunden und historischen Überlieferungen. Nach dem Jahr 400 brechen Quellen, die das Christentum belegen könnten, in den Städten der Germaniae komplett ab. Erst im 6. Jahrhundert, als unter der Regentschaft des Frankenkönigs Theuderich I. Aufzeichnungen zufolge christliche Amtsträger aus der Auvergne an den Rhein versetzt werden, setzen sie wieder ein.

    „Das passierte über 100 Jahre nachdem es in Köln nachweislich römische Bischöfe gegeben hat“, sagt Ristow. „100 Jahre sind sehr lang. Da kann alles Mögliche passiert sein.“

    Aber was? Darüber sind sich Historiker und Archäologen uneinig. Dass die Menschen sich in diesem Zeitraum wieder vom christlichen Glauben abgewendet haben, ist eine Interpretation der Lücke in der Quellenlage. Ebenso ist es aber auch möglich, dass aus der Zeit schlicht nichts überliefert wurde – obwohl das Christentum weiterhin existent war. Ristows persönliche Einschätzung ist, „dass das Christentum im 5. und frühen 6. Jahrhundert in den Regionen am Rhein nicht mehr die nötige Organisation und Durchsetzungsstärke besessen hat, um historisch in Erscheinung zu treten.“

    Chlodwig I.: Katholizismus als politisches Instrument

    Während das Christentum in den Germaniae zeitweise historisch und archäologisch also unsichtbar wird, ist es für den Raum des heutigen Frankreichs mehr oder minder seit dem 4. Jahrhundert durchgängig belegt. Und es ist dann auch ein Franke – nämlich Chlodwig I. aus dem Geschlecht der Merowinger –, der die Weichen für die zweite Phase der Christianisierung stellt. Das entscheidende Ereignis ist seine Taufe, die rund um das Jahr 500 nach seinem Sieg gegen die Alamannen in der Schlacht von Zülpich stattfand.

    „Im Gegensatz zu allen anderen Herrschern der germanischen Reiche auf römischem Boden lässt Chlodwig sich katholisch und nicht arianisch taufen“, sagt Ristow. „Nicht, weil er so fromm ist, sondern weil es politisch einen Sinn ergibt.“ 

    Taufe des Frankenkönigs Chlodwig I. durch den Bischof Remigius in Reims. Das genaue Jahr der Taufe ist nicht bekannt, sie soll jedoch rund um das Jahr 500 nach der siegreichen Schlacht der Franken gegen die Alemannen stattgefunden haben. Laut Gregor von Tours hatte Chlodwig hierfür Beistand vom christlichen Gott erbeten und diesen erhalten.

    Foto von Meister des Saint Gilles, 15.-16.Jahrhundert / Wikimedia Commons

    West- und Ostgoten, Burgunder und Vandalen sind zu diesem Zeitpunkt bereits christlich missioniert und Anhänger des Arianismus. Diese Glaubensrichtung war von der römischen Kirche aber Ende des 4. Jahrhunderts verworfen worden. Anders als seine Amtskollegen zum römisch-katholischen Christentum zu konvertieren, ist ein kluger Schachzug von Chlodwig, denn so erleichterte er die Verschmelzung von gallorömischer Bevölkerungsmehrheit und Franken in seinem Merowingerreich.

    Wie schon Kaiser Konstantin nutzt er die christliche Religion, um seine Macht auszubauen und zu festigen. Er christianisierte sein Reich von oben – allerdings in einer Form und Klarheit, die es im Römischen Reich nicht gegeben hat.

    Christianisierung von oben

    „Christianisierung drückt aus, dass aktiv politisch etwas unternommen, strukturiert geleitet und in Bahnen gelenkt wird“, sagt Ristow. In der spätantiken Phase im 4. Jahrhundert seien es vielfach charismatische Einzelpersonen gewesen, die das Christentum verbreitet hätten. „Die sind bei der Bevölkerung einfach gut angekommen und darum zum Bischof ernannt worden – ob sie das nun gelernt hatten und konnten oder nicht.“

    In Bezug auf das Vorgehen Chlodwigs trifft der Begriff Christianisierung jedoch voll zu. Er befiehlt allen Angehörigen des Herrscherhauses und den Eliten der Franken, sich katholisch taufen zu lassen – ob sie gläubig sind oder nicht. Überall im Reich entstehen Kirchen, wodurch die flächendeckende Christianisierung durch christlich erkennbare Baubefunde im 6. Jahrhundert archäologisch auch dort wieder sichtbar wird, wo sie zuvor nicht mehr belegt werden konnte – in den heutigen deutschen Regionen am Rhein.

    Im Reich der Franken ist das Christentum ein voller Erfolg. Rechts des Rheins aber scheitern jegliche Missionierungsversuche zunächst. Archäologische Hinweise auf christliche Einflüsse vor dem 8. Jahrhundert sucht man dort vergebens. „Aus dem 7. Jahrhundert gibt es ein paar Quellen, die sagen, dass die Franken dort Schutzmacht und zu dem Zeitpunkt schon Christen waren“, sagt Ristow. „Aber die fünf Kreuze und anderen wenigen Belege aus der Zeit reichen als Beweise für die erfolgreiche Christianisierung der Gebiete nicht aus.“

     Karl der Große: Mit Blut und Schwert

    Das ändert sich erst in den Siebzigerjahren des 8. Jahrhunderts, als unter dem Frankenkönig und späteren Kaiser Karl dem Großen im Zuge der Sachsenkriege auch die germanischen Stämme zwischen Rhein und Weser missioniert werden. Anders als im linksrheinischen Gebiet, wo das Christentum sich über Jahrhunderte relativ friedlich und organisiert verbreitet hatte, wird es rechts des Rheins auf brutale Weise mit militärischen und kolonisatorischen Mitteln durchgesetzt.

    „Die Sachsen wurden gegen den Willen der Bevölkerung mit Feuer und Schwert missioniert“, so Ristow. „Die Christianisierung rechts des Rheins war im Grunde innerhalb von 20 Jahren abgeschlossen. Da wurde einmarschiert und die Leute zur Taufe gezwungen. Die Franken waren nicht zimperlich.“

    Widukind, der Anführer der Sachsen, unterwirft sich Karl dem Großen, der im Rahmen der Sachsenkriege die Stämme im Nordosten seines Reichs zur Konvertierung zum Christentum zwingt. 

    Foto von Ary Scheffer, 1795-1858 / Wikimedia Commons

    Karl der Große versteht sich als Vorkämpfer des christlichen Glaubens. Darauf, dass die Sachsenkriege nicht nur strategisch, sondern auch religiös motiviert waren, deutet beispielsweise die Zerstörung des sächsischen Kultheiligtums Irminsul hin, die Karl schon im ersten Kriegsjahr befiehlt.

    Nach den Sachsenkriegen

    Im Jahr 785, nach Jahren des Blutvergießens, unterwirft sich Widukind, der Anführer der Sachsen, und lässt sich mit dem Eroberer als Paten christlich taufen. Auch wenn bis ins Jahr 804 immer wieder Konflikte und Kleinkriege aufflammen, ist es Karl dem Großen mit martialischen Mitteln gelungen, die christliche Ordnung im Nordosten seines Reichs bis nach Dänemark und an die Elbe durchzusetzen.

    „Das bedeutet aber nicht, dass die Menschen in diesen Gebieten dann fromm und christlich gebildet gewesen wären oder es überall eine strukturierte Kirche gegeben hätte“, sagt Ristow.

    Erst mit der Zeit werden in den von Karl dem Großen eroberten Gebieten von den neu entstandenen christlichen Eliten Kirchen gebaut. Dieser Prozess dauert in den heutzutage deutschen Gebieten bis weit ins Hohe Mittelalter an. Weiter nordöstlich, im Baltikum und östlich davon, findet er erst etwa ab dem 14. Jahrhundert und in der frühen Neuzeit sein Ende.

    Es ist jedoch unmöglich, zu bestimmen, ab wann die jeweiligen Regionen vollständig christianisiert sind. Denn das möglicherweise erzwungene Bekenntnis zu einer Religion spiegelt nicht unbedingt wider, woran ein Mensch tatsächlich glaubt. Das erkannte auch Alkuin, Gelehrter und wichtiger Berater von Karl dem Großen. Als dieser die Sachsen gewaltsam zum Christentum zwang, soll Alkuin angemerkt haben: „Zur Taufe kann ein Mensch getrieben werden, nicht aber zum Glauben.“ So ist es bis heute: Der Glauben ist Privatsache.

    Mehr zum Christentum und  dem Buch, auf dem es beruht gibt es am 24.12.2023 den ganzen Tag lang ab 14:10 in „Geheimnisse der Bibel“ auf National Geographic. Ihr empfangt National Geographic und National Geographic WILD über unseren Partner Vodafone im GigaTV Paket.

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