Deutschlands größter Pestfriedhof: Ausgrabung von Massengräbern in Nürnberg

Forschende haben in Nürnberg Gräber mit insgesamt mehr als 1.000 Toten entdeckt. Die Menschen wurden hier vor etwa 400 Jahren begraben, als eine Pestwelle die Stadt heimsuchte.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 13. März 2024, 09:41 MEZ
Zahlreiche Skelette liegen neben- und übereinander in einem Massengrab.

Pestwellen haben Nürnberg seit dem 14. Jahrhundert immer wieder heimgesucht. Bei den vielen Menschen, die dabei starben, kamen die Menschen mit den Bestattungen oft nicht hinterher – und mussten Massengräber wie dieses errichten, in denen die Toten über- und nebeneinander begraben wurden.

Foto von In Terra Veritas, ITV Grabungen

Ganze acht Massengräber sind es, die sich der Archäologin Melanie Langbein und ihren Kolleg*innen bei Grabungen im Nürnberger Stadtteil St. Johannis nach und nach offenbart haben. Eigentlich sollte hier ein neues Seniorenheim gebaut werden – doch jetzt geht die Untersuchung und Dokumentation der Toten vor.

Laut Langbein ist es der bislang wohl größte Pestfriedhof Deutschlands, der hier entdeckt wurde. Mehr als 1.000 Tote konnte das Team im Rahmen der Grabung bereits dokumentieren, Hunderte weitere werden laut Schätzungen der Forschenden noch folgen. „Eine Entdeckung wie diese hat es noch nie gegeben. Die Stätte ist für die Stadt Nürnberg von enormer Bedeutung, und wir arbeiten mit Hochdruck daran, alle möglichen Informationen zu erhalten“, so Langbein.

Tausende Tote bei Pestwelle im 17. Jahrhundert

Dass die Ursache für die vielen Toten die Pest gewesen sein muss, wurde Langbein und ihrem Team schnell klar. „Es gibt nur wenige Ursachen, die dazu führen können, dass innerhalb eines kurzen Zeitraums mehrere Hundert Menschen in einem Massengrab begraben werden müssen“, sagt Langbein. Dass christliche Bestattungsrituale der Beisetzung in Massengräbern weichen mussten, sei nur bei einer extrem hohen Sterberate wie bei Pestepidemien geschehen.

Ein Archäologe kniet im Bereich der Ausgrabung und befreit die Skelette vorsichtig von der umliegenden Erde.

Im Laufe der Jahrhunderte befanden sich in der Nähe und auf dem Gelände der Gräber mehrere Industrien, was zu Ablagerungen von Metalloxiden wie Kupfer führte. Die Folge: grüne Skelette.

Foto von In Terra Veritas, ITV Grabungen

In diesem Fall war eine Pestwelle in den Jahren 1632 und 1633 für die vielen Toten verantwortlich. 

Die Zuordnung war zunächst nicht einfach, weil Nürnberg laut Langbein seit dem 14. Jahrhundert etwa alle 10 Jahre von der Pest heimgesucht worden sei. Den entscheidenden Hinweis lieferten Münzen, die aus einigen der Gräber geborgen werden konnten und auf die Jahre 1619 bis 1624 datiert werden konnten. Bei seiner Recherche stieß das Team dann auf eine Quelle aus dem Jahr 1634, die von der passenden Pestwelle berichtet. Damals kamen Tausende von Menschen ums Leben. Ob wirklich alle Gräber aus dieser Zeit stammen, sollen künftige Radiokarbondatierung zeigen.

Genauere Untersuchungen der Toten

Um genauer einschätzen zu können, welche Menschen auf dem Pestfriedhof bestattet wurden, werden ihre Knochen nach der Bergung nun gereinigt und ausgewertet. „Dabei werden Geschlecht, Sterbealter und Körpergröße ermittelt, darüber hinaus auch Anzeichen für Krankheiten, Verletzungen, Mangelerscheinungen“, sagt Langbein. Schon jetzt könne man sagen, dass in den Gräbern sowohl Kinder als auch alte Menschen und Erwachsene bestattet wurden – bis zu 300 pro Grab, eng gestapelt.

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    Bei den weiteren Untersuchungen müssen sich die Forschenden auf den Bereich des zukünftigen Neubaus beschränken. „Es handelt sich nicht um eine Forschungsgrabung, sondern um eine Grabung, die dazu dient, von der Zerstörung durch Bautätigkeit bedrohte Befunde zu bergen und zu dokumentieren“, so Langbein. Ein Zufallsfund also, der von hohem wissenschaftlichen Wert ist und den Nürnberger*innen nun einen besonderen Blick in ihre Vergangenheit erlaubt.

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