Experimental-Archäologie: Wie sind Ötzis Tattoos entstanden?

Ötzis Tattoos sind die ältesten erhaltenen der Welt. Doch wie wurden sie gestochen und aus welchem Grund? Vier Tattoo-Künstler aus Neuseeland haben dazu einen spannenden Selbstversuch gestartet, der nun Antworten liefern soll.

Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 24. Apr. 2024, 10:08 MESZ
Ganzkörperaufnahme von Ötzi.

Ötzi an seinem Aufbewahrungsort im Südtiroler Archäologiemuseum in Italien.

Foto von Robert Clark, Natgeo Image Collection

Ötzi, die wohl bekannteste Eismumie der Welt, ist außerordentlich gut erforscht. Heute weiß man beispielsweise nicht nur, wie und wo der Mann vor 5.300 Jahren starb, sondern auch, was er vor seinem Tod zuletzt gegessen hatte. Seit August 2023 ist außerdem klar: Das Bild, das wir bislang von Ötzi hatten, muss überarbeitet werden: Dieser hatte zu Lebzeiten dunklere Haut als bislang angenommen und eine Halbglatze.

Im Rahmen eines Experiments rückt nun ein wenig erforschter Aspekt der Eismumie ins Rampenlicht: seine Tattoos. 61 kleine Strich-Motive sind es, die Ötzis Gelenke, Wirbelsäule und Brustkorb zieren. Unklar war bislang, mit welcher Technik diese Tattoos entstanden sind – und warum.

Dem Rätsel haben sich vier professionelle Tattoo-Künstler*innen aus Neuseeland gewidmet. Einem von ihnen, Danny Riday, stachen sie achtmal das gleiche Motiv aufs Bein – mit unterschiedlichen Methoden, die auch vor 5.300 Jahren zur Zeit des Eismanns hätten angewendet werden können. Die Auswertung des Selbstversuchs hat nun im Rahmen einer Studie stattgefunden, die im Fachmagazin European Journal of Archaeology veröffentlicht wurde.

Ötzis Tattoos sind mittlerweile schon mehr als 5.300 Jahre alt. Während einige nur mit Multispektral-Kameras oder UV-Licht sichtbar gemacht werden können, kann man einige der Tätowierungen auch so noch erkennen – wie dieses Motiv am Knie der Eismumie.

Foto von Robert Clark, Natgeo Image Collection

Stick and Poke-Tattoos aus der Steinzeit

Bislang wurde vermutet, dass Ötzis Tattoos entstanden sind, indem seine Haut aufgeritzt und Asche aus Holzkohle in die Wunden gerieben wurde. Das Studienteam widerlegt diese Hypothese nun. Die Expert*innen glauben, dass es am wahrscheinlichsten ist, dass Ötzis Tattoos Stick and Poke Tätowierungen waren. Bei dieser Art der Tätowierung wird ein spitzer Gegenstand in Farbe getaucht und dann immer wieder durch die oberen Hautschichten gestochen.

Zu diesem Schluss kommt das Team durch den Vergleich der zum Zeitpunkt der Untersuchung ein Jahr alten Tätowierungen Riddays mit Ötzis 5.300 Jahre alten. Riddays Tätowierungen wurden mit der Stick and Poke-Methode, der Hand Tapping-Methode, bei der ein spitzes Werkzeug mit einem anderen in die Haut gehämmert wird, und der Einritz-Methode, die bei Ötzi ursprünglich vermutet wurde, auf sein Bein gebracht. Bei den Stick and Poke- und den Hand Tapping-Tattoos wurden außerdem mehrere verschiedene Werkzeuge verwendet. Der Vergleich ein Jahr später zeigte: Am wahrscheinlichsten ist es, dass Ötzis Stick and Poke Tätowierungen mit einer Knochen- oder Kupferahle – also einem spitzen Stanzwerkzeug – gestochen wurden.

BELIEBT

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    Die acht verschiedenen Tattoos, die dem Künstler mit verschiedenen Werkzeugen gestochen wurden, einmal kurz nach der Anfertigung (links) und nachdem sie verheilt sind (rechts).

    Foto von Danny Riday / exarc.net/ark:/88735/10654

    Alte Haut gegen junge Tätowierungen

    Das Forschungsteam räumt ein, dass der Vergleich der ein Jahr alten Tattoos mit den jahrtausendealten Tätowierungen Ötzis keine eindeutigen Ergebnisse liefern kann. „​​Die Haut des Mannes aus dem Eis und möglicherweise auch seine Tätowierungen haben verschiedene Veränderungen durchlaufen und sind daher nicht direkt mit den Ergebnissen experimenteller Tätowierungen auf frischer menschlicher Haut vergleichbar“, heißt es in der Studie. Dennoch zeige der Vergleich der Ergebnisse des Experiments mit historischen und ethnographischen Daten, dass die Stick and Poke-Methode sehr wahrscheinlich die Technik gewesen ist, die vor 5.300 Jahren genutzt wurde und auch Ötzi seine Tattoos einbrachte.

    Aus welchem Grund Ötzi so viele Tätowierungen hatte, ist derweil noch nicht geklärt. Eine Hypothese, die in einer Studie aus dem Jahr 2019 untersucht wurde, ist, dass die Tattoos einen therapeutischen Zweck hatten. Möglicherweise wurden sie zur Heilung von Gelenkschmerzen als Teil steinzeitlicher Akupunktur unter die Haut gebracht. Es ist aber auch möglich, dass die Tätowierungen kulturelle Signifikanz hatten. Diese Annahme wird von einer Studie aus dem Jahr 2016 unterstützt, die Ötzis Tattoos außerdem als die ältesten bekannten Tätowierungen der Welt herausstellte. 

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