Der Schädel der individuell bestatteten Frau mit Schnittstelle.

Warum diese Adelsfamilie ihren Toten die Gehirne entnahm

Entnommene Organe und konservierender Balsam: Die Mitglieder der einstigen Familiendynastie Caumont wurden nach ihrem Tod auf ganz besondere Weise für die Leichenschau der Öffentlichkeit vorbereitet.

Der Schädel der individuell bestatteten Frau. Er wurde zersägt, um das Gehirn zu entnehmen.

Foto von M. Bessou/CNRS UMR
Von Lisa Lamm
Veröffentlicht am 29. Nov. 2024, 08:22 MEZ

Viele Menschen denken bei dem Wort Einbalsamierung sofort an ägyptische oder südamerikanische Mumien. Tatsächlich gab es diese Praxis aber auch im neuzeitlichen Europa. Eine sehr umfangreiche Technik wurde nun in Frankreich entdeckt. Dabei wurden den Toten Organe und Gehirn entnommen – sowie Gliedmaßen entfleischt

In der Grabkammer der aristokratischen Familie Caumont haben Forschende gleich mehrere derartig behandelte Individuen gefunden, darunter sogar Kleinkinder. In einer Studie zum Fund, die in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlicht wurde, hat das Forschungsteam die besonderen Bestattungspraktiken der Familie analysiert. 

Entnahme der Organe und Entfernung des Fleisches

Die Krypta der Familie Caumont befindet sich im Château des Milandes in Castelnaud-la-Chapelle in der Dordogne. Im Rahmen mehrerer Ausgrabungen im Jahr 2019 und 2021 wurden die Überreste von fünf Kindern im Alter ab fünf Jahren und acht Erwachsenen zutage gefördert. Sie wurden von einem Team der Universität Bordeaux und des PACEA Labors unter der Leitung von Dominique Castex und unter Einbeziehung von Caroline Partiot, einer biologischen Anthropologin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), untersucht.

Das Ergebnis: Alle Individuen wurden im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts in der Krypta bestattet und weisen Spuren von Einbalsamierungstechniken auf. Darunter Schnittspuren am Schädel, die darauf hinweisen, dass das Gehirn der Toten entnommen wurde. Einzelne Verletzungen an den Knochen des Brustbereiches lassen auf eine Entnahme weiterer Organe, darunter das Herz, schließen. Bislang, so Partiot, ist unklar, was nach der Entnahme mit den Organen passiert ist. Bis auf ein einbalsamiertes Gehirn, das ebenfalls in der Krypta in einem Behälter bestattet war, konnten die Organe bisher nicht gefunden werden.

Der Hinterkopf eines Individuums aus der Krypta mit Schnittspuren.

Der Hinterkopf eines Individuums aus der Krypta. Die Rekonstruktion des Schädels zeigt eindeutig mehrere, mit einer Säge vorgenommene Schnitte, deren Ziel es war, den oberen Teil des Schädels zu entfernen. So konnte das Gehirn schließlich entnommen werden.

Foto von C. Partiot/ÖAI/ÖAW

Zusätzlich konnten die Forschenden Hinweise auf eine aufwändige Entfernung von Muskel- und Fettgewebe an den Extremitäten und dem Rückenbereich einiger Individuen feststellen – sie wurden sozusagen ,entfleischt‘. Die Forschenden vermuten, dass der eingefallene Bereich danach ausgestopft wurde. In Fällen, in denen die Haut bei der Entfleischung ebenfalls entfernt wurde, wurden die Bereiche später vermutlich mit Kleidung bedeckt.

Allerdings handelt es sich bei den Individuen nicht um Mumien. Dafür hätten sie nach der Einbalsamierung in Tücher gehüllt werden müssen. Bei der Behandlung der Familie Caumont ging es weniger darum, die Toten für die Ewigkeit zu erhalten – vielmehr sollte der Verfall ihrer Körper verzögert werden, damit die Familienmitglieder während der Trauerzeremonien lange zur Schau gestellt werden konnten, so Partiot.

Ähnlichkeiten mit der Medici-Familie

Das zeigt laut der Studie, dass die Familie Caumont einen hohen sozialen Status gehabt haben muss – und zwar über Generationen und Jahrhunderte hinweg. Vergleichbar seien ihre Bestattungstechniken nämlich mit denen der einflussreichen Familie Medici aus Florenz in Italien. Die Familiendynastie ist europaweit die einzige, deren umfangreiche Bestattungspraktiken man bisher mit denen der französischen Caumonts vergleichen könnte.

 

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