28 Tage durch die „Grüne Hölle“: Auf gefährlicher Expedition im Zyklopengebirge

Die Forschenden der Expedition Cyclops sind in einer der unberührtesten Gegenden der Welt unterwegs. Auf ihrer riskanten Reise durch den neuguineischen Dschungel haben sie allerhand erlebt – und waren an Orten, die noch nie zuvor ein Mensch betreten hat.

Von Insa Germerott
Veröffentlicht am 21. Nov. 2023, 08:40 MEZ
Sicht von einem Boot auf das waldbedeckte Zyklopengebirge.

Die zerklüfteten Felsen und Riffe an der Nordküste des Zyklopengebirges. Lange Zeit verhinderten sie, dass Forschende ohne Beziehungen zur lokalen Bevölkerung sicher an den Stränden anlegen konnten.

Foto von Expedition Cyclops

Es ist eine der unwirtlichsten Regionen der Welt, in die es das Forschungsteam der Expedition Cyclops verschlagen hat: Das Zyklopengerbirge auf der Insel Neuguinea ist zerklüftet, steil und übersät von gefährlichen Tieren. Nicht ohne Grund gibt es in seinem Dschungel Orte, an denen bisher noch nie ein Mensch gewesen ist. 

Das hat das Team, das aus europäischen und einheimischen Forschenden besteht, jedoch nicht von seiner riskanten Mission abgehalten: Sie sind gekommen, um das Leben im indonesischen Gebirge zu dokumentieren – und ein seltenes, mysteriöses Tier zu finden, das von großer Bedeutung für die lokale Kultur ist. Auf der Suche nach ihm hat das Team unzählige weitere spektakuläre Entdeckungen gemacht –  und den Gefahren des indonesischen Gebirges getrotzt. 

Biologische Vielfalt im unberührten Dschungel 

Der Grund für die Expedition in die unwegsame Landschaft ist ihre Unberührtheit: Da der Dschungel des Zyklopengebirges bisher weitestgehend unbeeinflusst vom Menschen war, ist er ein Schlüsselgebiet für die biologische Vielfalt unserer Erde. Er sichert den Fortbestand vieler bedrohter Arten und bringt immer wieder neue hervor. „Obwohl manche das Zyklopengebirge wohl als ‚Grüne Hölle‘ beschreiben würden, finde ich, dass die Landschaft magisch ist – bezaubernd und gefährlich zugleich“, sagt Dr. James Kempton, Expeditionsleiter und Biologe an der University of Oxford. 

Kempton ist Teil des Forschungsteams, das im Sommer 2023 die biologische Vielfalt der intakten Wildnis dokumentierte – und dabei den Attenborough-Langschnabeligel aufspüren wollte. Das Tier, das nach dem britischen Naturforscher und Tierfilmer David Attenborough benannt wurde, ist ein Mysterium. Ganze 62 Jahre lang wurde es nicht von Forschenden gesehen. 

Ein heiliges Gebirge – und ein seltenes Tier

Das sollte die Expedition Cyclops ändern. Wissenschaftler*innen verschiedener europäischer Universitäten und Institute – darunter Ornithologen, Entomologen und Geologen – arbeiteten dazu Hand in Hand mit einheimischen Forschenden und der ortsansässigen Bevölkerung der Yongsu Sapari. Das Wissen der papuanischen Teammitglieder um den Dschungel und seine Gefahren war unabdingbar, um die Entdeckungstouren, die unter schwierigen und teilweise lebensbedrohlichen Bedingungen stattfanden, meistern zu können. 

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    „Das Vertrauen zwischen uns war der Grundstein unseres Erfolgs. Die Yongsu Sapari teilten ihr Wissen mit uns, um durch die tückischen Berge zu gelangen und erlaubten uns, in Gegenden zu forschen, in die vorher noch nie ein Mensch einen Fuß gesetzt hat“, sagt Kempton.

    Selbstverständlich ist die Mithilfe der Einheimischen nicht. Die Gemeinschaft der Yongsu Sapari, die seit achtzehn Generationen in der Region lebt, betrachtet das Land des Zyklopengebirges als heilig. Sie glauben, dass es von einem weiblichen Geist verwaltet wird, der die Form eines Baumkängurus annehmen kann. Forschenden wird hier nur äußerst selten Zutritt gewährt. 

    Auch der Attenborough-Langschnabeligel hat in der Kultur der Einheimischen einen hohen Stellenwert: Bei den indigenen Gruppen fungiert das selten gesehene Tier als Streitschlichter. Bei Konflikten zwischen zwei Streitparteien geht eine Partei traditionell in den Wald und sucht nach dem Attenborough-Langschnabeligel, während die andere im Meer einen Speerfisch finden muss. Da beide Tiere schwer auffindbar sind, kann so eine Konfliktlösung auch schon einmal Jahrzehnte andauern. Das Auffinden der Tiere bedeutet letztendlich das Ende des Streits. 

    Der Wald in der Nähe der beiden Gipfel des Zyklopengebirges ist fast durchgehend in dichten Nebel getaucht. Moos hängt von den Bäumen herab und ein dichter Blätterteppich bedeckt den Boden. Nur wenige Menschen kletterten an den Nordhängen bisher so hoch – darunter noch nie Forschende.

    Foto von Expedition Cyclops

    Die Suche nach dem Attenborough-Langschnabeligel

    Um die selten gesehene Art aufzuspüren, war das Team vier Wochen lang im Dschungel im Einsatz. Sie positionierten insgesamt 80 Kameras im Unterholz, um das scheue, nachtaktive Tier zu finden. Der Attenborough-Langschnabeligel gehört zu einer von nur vier Schnabeligel-Arten in Australien und Neuguinea.

    „Der Attenborough-Langschnabeligel hat die Stacheln eines Igels, die Schnauze eines Ameisenbärs und die Füße eines Maulwurfs“, sagt Kempton. „Der Grund, warum er so anders aussieht als andere Säugetiere, ist, dass er zu den Monotremen gehört – einer eierlegenden Gruppe, die sich vor etwa 200 Millionen Jahren vom Rest des Säugetier-Stammbaums getrennt hat.“

    Vier Wochen lang hatten die Forschenden kein Glück bei ihrer Suche. Doch am letzten Tag gab es unerwartet Grund zur Freude: Auf der allerletzten Speicherkarte entdeckte Kempton das Tier auf einer der Aufnahmen. Es ist die erste Aufzeichnung des Attenborough-Langschnabeligels überhaupt und damit ein großer Erfolg für die Wissenschaft. 

    Vier Wochen lang haben die Forschenden der Expedition Cyclops auf diesen Moment gewartet: Der Attenborough-Langschnabeligel tauchte am Ende tatsächlich auf einer der Kameraaufnahmen auf. 

    Foto von Expedition Cyclops

    Ein Dschungellabor und gefährliche Expeditionen

    Für ihre wochenlange Arbeit in der Wildnis richteten sich die Forschenden behelfsmäßige Labore mit Bänken und Tischen aus Ästen und Lianen ein, in denen sie erste Untersuchungen von Wirbellosen, Reptilien, Amphibien und Säugetieren durchführten. Bei ihrer Arbeit waren die Forschenden durchgehend von giftigen Spinnen und Schlangen, Moskitos und Zecken umgeben. Auch der Weg durch den Dschungel war alles andere als ein Spaziergang.

    Bei einer ihrer Entdeckungstouren an einem heiligen Gipfel der Yongsu Sapari, den die Forschenden mit einer Sondergenehmigung betreten durften, gab es beispielsweise einen Unfall, der sich als glücklicher Zufall erweisen sollte: Ein Teammitglied stürzte durch ein mit Moos bewachsenes Loch – und stieß dabei auf ein beeindruckendes Höhlensystem. Die bislang unerforschte Höhle erwies sich als biologische Schatzkiste: Die Forschenden entdeckten viele neue unterirdische Arten, darunter blinde Spinnen und Weberknechte sowie einen Peitschenskorpion. 

    Bei einem weiteren Ausflug in das Höhlensystem gab es ein Erdbeben, welches das Team zur Evakuierung zwang. Dabei brach sich einer der Forschenden zweifach den Arm. Während der Expedition erkrankte außerdem ein Teammitglied an Malaria und ein Student hatte anderthalb Tage lang einen Blutegel im Auge, bevor dieser schließlich in einem Krankenhaus entfernt werden konnte. 

    Expeditionsleiter Dr. James Kempton versucht, einen Blutegel aus dem Auge des Studenten Gison Morib von der indonesischen Cenderawasih-Universität (UNCEN) zu entfernen.

    Foto von Expedition Cyclops

    Neue Überraschungen und alte Bekannte

    Doch all die Mühen haben sich am Ende gelohnt: Neben dem Attenborough-Langschnabeligel fanden die Forschenden auch unzählige andere Arten, die seit langer Zeit nicht mehr gesichtet wurden, darunter der Mayrhonigfresser – ein Singvogel, der seit 2008 als ausgestorben galt. 

    Als Überraschungsfund stellte sich eine Garnele heraus, die die Forschenden in den feuchten Wäldern nicht erwartet hätten. „Wir waren ziemlich schockiert, als wir diese Garnele mitten im Wald entdeckten, denn das ist eine bemerkenswerte Abweichung vom typischen Lebensraum dieser Tiere“, sagt Dr. Leonidas-Romanos Davranoglou, leitender Entomologe der Expedition vom Oxford University Museum of Natural History. Die Forschenden glauben, dass die hohen Niederschlagsmengen im Zyklopengebirge zu einer derart hohe Luftfeuchtigkeit führen könnten, dass die Meeresbewohnerin dauerhaft an Land leben kann. 

    Eine neue terrestrische Garnelenart, die im Boden und in den Bäumen des Zyklopengebirges entdeckt wurde. Diese Garnele gehört zu einem Stamm, der normalerweise an der Meeresküste zu finden ist. Sie in hunderten Metern Höhe an den Berghängen zu finden, war eine große Überraschung für das Expeditionsteam.

    Foto von Expedition Cyclops

    Neben den tierischen Exemplaren sammelte das Team mit der Hilfe des leitenden Geologen Max Webb von der Royal Holloway University, London, auch über 75 Kilogramm Gesteinsproben. Anhand von geologischen Analysen wollen die Forschenden nun Antworten darauf finden, wie und wann das Zyklopengebirge ursprünglich entstanden ist. Bisher geht man davon aus, dass sich die Berge bei einer Kollision im Pazifischen Ozean vor 10 Millionen Jahren formiert haben. 

    Die Zukunft der Wildnis

    Die Forschenden erhoffen sich, mithilfe der Erkenntnisse der Expedition die Entstehung der besonders großen Artenvielfalt des Zyklopengebirges nachvollziehen zu können. In den kommenden Monaten werden sie das gesammelte Material auswerten – und darunter sicher noch ein paar neue Arten entdecken. 

    “Tropische Regenwälder gehören zu den wichtigsten und am stärksten bedrohten terrestrischen Ökosystemen.”

    von Davranoglou

    Auch eine Rückkehr ins Zyklopengebirge wird bereits geplant. „Es gibt noch viel zu erforschen über den Attenborough-Langschnabeligel und darüber, wie die Entstehung des Zyklopengebirges die heutige Artenvielfalt Neuguineas beeinflusst hat“, sagt Kempton. Dabei seien auch die mündlich überlieferten Geschichten der Einheimischen hilfreich, denn sie geben Auskunft darüber, wie sie das Gebirge geschützt haben.

    „Da 83 Prozent des indonesischen Neuguinea-Urwalds noch intakt sind, befinden wir uns zur Zeit in einer kritischen Phase, um etwas für die Erhaltung der artenreichsten Insel der Welt zu tun“, so Kempton. Dabei ist die internationale Zusammenarbeit der Forschenden laut Davranoglou der Schlüssel zum Erfolg: „Tropische Regenwälder gehören zu den wichtigsten und am stärksten bedrohten terrestrischen Ökosystemen. Es ist unsere Pflicht, unsere Kollegen vor Ort durch den Austausch von Wissen, Fähigkeiten und Ausrüstung zu unterstützen.“ 

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