Schafe können Gesichter erkennen

Eine neue Studie könnte bei der Behandlung einer menschlichen Krankheit helfen und zeigt, dass Schafe womöglich doch nicht so blind folgen wie gedacht.

Von Sarah Gibbens
Veröffentlicht am 10. Nov. 2017, 11:22 MEZ
Ein Schaf bei der Studie von Forschern der Universität Cambridge.

Wenn Schafe Menschen hinterherlaufen, tun sie das womöglich nicht so blind, wie wir immer dachten.

In einer Studie von Forschern der Universität Cambridge wurden Schafen Schwarz-Weiß-Fotos von vier berühmten Persönlichkeiten gezeigt: Barack Obama, Emma Watson, Jake Gyllenhaal und Fernsehjournalistin Fiona Bruce.

„Einer von ihnen ist einfach ein Fan von Jake Gyllenhaal“, sagte die Studienleiterin Jenny Morton über einen der Studenten, der bei der Auswahl der Bilder behilflich war. Die gezeigten Fotos waren einigermaßen zufällig gewählt. Die Forscher mussten die Gesichter aus verschiedenen Perspektiven zeigen können, weshalb häufig fotografierte Persönlichkeiten eine logische Wahl waren.

Das Team wollte herausfinden, ob Schafe verschiedene Gesichter unterscheiden können. Es sind soziale Tiere, die in einer Herde leben und diverse Kommunikationsmöglichkeiten nutzen. Die Forscher vermuteten, dass dazu auch die Gesichtserkennung zählen könnte, eine komplexe Aufgabe für das Gehirn.

Um das zu testen, trainierten sie die Schafe darauf, das Abbild einer Person, beispielsweise von Barack Obama, mit einer Belohnung in Form von Nahrung zu assoziieren. Dann wurden ihnen nebeneinander ein Bild von Obama und von einer anderen Person gezeigt. Wenn die Schafe das Bild von Obama berührten, durchbrach es einen Infrarotlichtstrahl, wodurch eine Belohnung ausgeteilt wurde. In acht von zehn Fällen wussten die acht Schafe in der Studie, welches Gesicht mit der Belohnung in Verbindung stand.

Um zu testen, ob die Schafe auch wirklich Gesichter erkannten und nicht nur vertraute Fotos, zeigten die Forscher den Tieren unterschiedliche Bilder der Berühmtheiten, darunter auch Aufnahmen aus schrägen Winkeln. Die Schafe erkannten die Gesichter auch aus diesen anderen Perspektiven in mehr als der Hälfte aller Fälle.

Aber sie erkannten nicht nur die Gesichter der berühmten Persönlichkeiten. Ihnen wurde statt dem Promi-Foto auch ein Bild von einem ihrer nicht am Experiment beteiligten Pfleger vorgehalten, von dem sie oft kleine Belohnungen erhielten. In sieben von zehn Fällen wählten die Schafe das Bild ihres Pflegers. Die Studie beschreibt, dass die Tiere bei diesem Versuch „zweimal hinsahen“ – zuerst zum Fremden und dann zum Pfleger –, bevor sie sich für ihren Pfleger entschieden. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Royal Society Open Science“ veröffentlicht.

Morton sagte, sie wisse, dass die Schafe ihr Gesicht erkennen. Als sie eine Filmcrew durch das Gehege der Schafe an der Universität führte, sah sie, dass sich die Tiere in einer Ecke zusammendrängten, die von den fremden Menschen entfernt lag. Erst, als Morton sie rief, näherten sie sich.

MENSCHLICHE KRANKHEIT, TIERISCHE STUDIE

Obwohl die Studie einen interessanten Einblick in die Denkweise von Schafen bietet, tragen die Ergebnisse zur Grundlagenforschung für das Verständnis der Krankheit Chorea Huntington bei. Die seltene, aber schwere neurologische Krankheit ist nicht heilbar. Sie beeinträchtigt die Geh-, Sprech- und Denkfähigkeit einer Person. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass in den westlichen Ländern (wo entsprechende Daten verfügbar sind) zwischen fünf bis sieben Menschen je 100.000 betroffen sind.

Bisher wurde noch kein Heilmittel entdeckt. Sofern jemand die genetischen Voraussetzungen erfüllt, ist es wahrscheinlich, dass die Krankheit bei ihm ausbricht. Laut Morton wird ein Verständnis für die Funktionsweise vergleichbarer Hirnstrukturen Forschern dabei helfen, ein Heilmittel zu entwickeln.

Die Idee, die Gesichtserkennungsfähigkeiten von Schafen zu untersuchen, kam Morton durch den Umstand, dass Chorea-Huntington-Patienten Probleme bei der Erkennung von Gesichtern haben. Wenn sie die Gehirne der Schafe besser verstehen, können medizinische Forscher sie nutzen, um Therapien zu testen, die schlussendlich auch Menschen helfen könnten, so Mortons Hoffnung.

Eine Gentherapie ist eine der vorgeschlagenen Möglichkeiten, um die Gene der Chorea-Huntington-Patienten zu behandeln, welche die Krankheit verursachen. Als nächstes möchten Morton und ihr Team eine Schafsherde aus Australien testen, die genetisch so verändert wurden, dass die Tiere Träger von Chorea Huntington sind. Durch die Behandlung der Schafe könnte laut Morton eines Tages womöglich auch eine Behandlung für Menschen entwickelt werden.

FORSCHUNG UND ETHIK

„Ich finde, dass es eine extrem interessante und bedeutsame Studie ist“, sagte Marc Bekoff, ein emeritierter Professor der Universität von Colorado und ein Evolutionsbiologe. In seinem Buch „The Animals‘ Agenda“ plädiert er für eine ethischere Behandlung von Tieren.

„Ich bin skeptisch, was die Wichtigkeit solcher Tiermodelle angeht“, sagte er. Bekoff beruft sich auf die ethischen Bedenken, was die genetische Veränderung von Schafen zu Trägern einer degenerativen Krankheit angeht. Aber es gibt ihm zufolge auch ein biologisches Problem, was die Effektivität von Ergebnissen aus Tierstudien für menschliche Patienten anbelangt.

Schon seit Jahrzehnten debattiert man darüber, wie wirkungsvoll Ergebnisse aus Tierstudien auf menschliche Patienten übertragen werden können. Eine Studie aus dem Jahr 2004 fand heraus, dass 92 Prozent aller Medikamente nicht zugelassen wurden, obwohl sie zuvor bei Tierversuchen den Anforderungen genügten.

„Ich bin ein Freund davon, Menschen zu studieren, um etwas über Menschen zu lernen“, sagte Bekoff.

Morton hält jedoch dagegen, dass eine langfristige Untersuchung der Schafe den Wissenschaftlern ermöglichen wird, den kognitiven Verfall, der durch Chorea Huntington eintritt, besser zu verstehen. „Das könnte unsere Möglichkeiten verbessern, eine Therapie zu entwickeln.“

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