Tiere & Werbung: „Virtueller Bestand“ könnte echten Tieren schaden

Die Omnipräsenz von Tieren in der Popkultur könnte unser Bild davon verzerren, wie es um die Wildbestände diverser Arten bestellt ist.

Von Cecelia Smith-Schoenwalder
Veröffentlicht am 1. Aug. 2018, 11:01 MESZ

Tiere sind aus der Popkultur nicht mehr wegzudenken. Allgegenwärtig blicken sie uns aus der Werbung, aus Filmen, Fotos und Spielzeuggeschäften entgegen. Tatsächlich könnte ihre Omnipräsenz ihre Überlebenschancen in der Wildnis verringern, wie eine aktuelle Studie vermuten lässt.

Franck Courchamp von der Universität Paris-Süd war von dem Konzept des tierischen „Charismas“ fasziniert. Er wollte wissen: Welche Tierarten gelten unter Menschen als charismatisch? Und welche Auswirkungen hat dieses Image für die wildlebenden Bestände dieser Arten?

Courchamp und seine Kollegen baten mehr als 4.500 Menschen aus 69 Ländern darum, in einem Online-Fragebogen jene Tierarten aufzulisten, die sie als besonders charismatisch empfanden. Außerdem berücksichtigten die Forscher Informationen aus Umfragen an Schulen und den Onlinepräsenzen von Zoos sowie Poster für Animationsfilme.

Im Fachmagazin „PLOS One“ präsentierten die Wissenschaftler ihr Ergebnis und listeten die Top 20 der „charismatischsten“ Tiere auf. Bei den meisten handelt es sich um große Landsäugetiere. Auf den ersten Plätzen tummeln sich Tiger, gefolgt von Löwen, Elefanten, Giraffen, Panthern, Pandas, Geparden, Eisbären, Wölfen und Gorillas.

„Eine der Gemeinsamkeiten scheint zu sein, dass wir [von dem Tier] irgendwie beeindruckt sein müssen – und Größe beeindruckt“, sagt Courchamp.

Trotz dieser Gleichförmigkeit sprachen die Teilnehmer den Tierarten eine ganze Reihe an Attributen zu: selten, gefährdet, schön, niedlich, eindrucksvoll und gefährlich. Von den Top 20 wurden einzig Haie nicht mit allen sechs Eigenschaften bezeichnet – ihnen fehlte das Attribut „niedlich“.

VIRTUELLE BESTÄNDE

Die Forscher wollten außerdem wissen, ob das Charisma der Tiere sich zu ihren Gunsten auswirkte. Sie befragten die Teilnehmer zum Gefährdungsstatus diverser Arten. Mindestens die Hälfte der Teilnehmer wusste nicht, dass fünf der zehn charismatischsten Tierarten bedroht sind.

Dieser Teil der Forschung, der separat im Fachmagazin „PLOS Biology“ erschien, zeigte, dass die Leute eher über die Gefährdung von Pandas, Tigern und Eisbären Bescheid wussten. Im Gegensatz dazu realisierten viele Menschen nicht, dass auch Löwen, Geparden, Gorillas und Giraffen bedroht sind.

Überhaupt ist nur eine einzige Tierart aus den Top 10 dieser Studie nicht global gefährdet: der Wolf.

Galerie: Wölfe

BELIEBT

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    In ihrer Studie stellen die Forscher daher die Theorie auf, dass diese Bilderflut einen „virtuellen Bestand“ in unseren Köpfen erzeugen könnte, der uns glauben lässt, in der Wildnis gäbe es deutlich mehr dieser Tiere.

    Bei ihren Untersuchungen entdeckten die Wissenschaftler auch, dass wir mit Bildern dieser Tiere förmlich überschwemmt werden, obwohl ihr Bestand in der Wildnis zurückgeht. In Frankreich sieht ein durchschnittlicher Bürger pro Tag im Schnitt mehr als vier Löwen in Werbeanzeigen oder anderen popkulturellen Darstellungen. Damit sieht er in einem Jahr deutlich mehr Löwen, als in ganz Westafrika existieren.

    „Weil wir sie überall sehen, begreifen wir nicht, dass sie gefährdet sind. Deshalb tun wir nicht alles, was getan werden müsste, um sie zu schützen“, erklärt Courchamp.

    Die Ergebnisse verdeutlichen Scott Creel zufolge ein wichtiges Anliegen. Der Biologe und Ökologe ist als Professor an der Montana State University angestellt. „Sie lenken die Aufmerksamkeit der Leute auf die Tatsache, dass sie selbst über den Wildbestand jener Tiere, die sie sehr charismatisch finden, nicht viel wissen“, so Creel.

    Ihm zufolge haben Arten, die als charismatisch gelten, Eigenschaften, die ihren Schutz erschweren. Große Wirbeltiere haben eine lange Lebenserwartung, legen große Entfernungen zurück und werden durch Wilderei bedroht. All das macht es ihm zu folge schwer, sie zu schützen.

    Joe Walston, der Vizepräsident für die Artenschutzprogramme der Wildlife Conservation Society, findet es paradox, dass wir ausgerechnet jene Arten noch nicht angemessen schützen konnten, die uns am meisten am Herzen liegen.

    „Ich glaube, diese beiden Studien treffen eine wichtige Aussage: dass es sogar den beliebtesten Tierarten der Welt schlechter geht, als die Menschen begreifen, und dass sie mehr Schutz und Aufmerksamkeit verdienen, als sie erhalten“, so Walston.

    EINE KLEINE SPENDE, BITTE

    Das Konzept der „virtuellen Bestände“ sei verlockend. Aber die Wissenschaftler, mit denen National Geographic sprach, merkten – ebenso wie Courchamp – an, dass bisher noch kein Kausalzusammenhang zwischen der Überrepräsentation von Tieren und dem verbreiteten Eindruck ihrer Häufigkeit in der Wildnis oder ihres Gefährdungsstatus hergestellt wurde. Allerdings sei es ein vielversprechendes Gebiet für künftige Forschungen.

    Die Studienautoren schlagen vor, dass jene Unternehmen, die von der Nutzung solcher Bilder profitieren, einen kleinen Teil ihrer Gewinne an Artenschutzprogramme und Bildungsprogramme spenden sollten.

    „Das wäre nicht nur fair, sondern auch etwas, das ein Win-win-Geschäft für sie sein könnte, sagt Courchamp.

    Den Unternehmen könnte das zum Beispiel positive PR bringen. Außerdem könnte es einer Firma von einer Marketing-Perspektive aus gesehen auch schaden, wenn ihr Maskottchen ausstirbt.

    Ehemaliger Bergbauort ist jetzt ein Katzendorf
    Einst gab es in Houtong einen großen Kohlebergbau, aber nun steht Katzentourismus im Zentrum der Wirtschaft des Ortes.

    Manche Unternehmen nehmen sich das Courchamp zufolge zu Herzen. Er verweist auf die Artenschutzbemühungen von Jaguar und Lacoste. Aber nicht genügend Unternehmen „sind aufrichtig um den Erhalt der Art bemüht, um die sie sich kümmern“, fügt er an.

    DER LÖWENANTEIL

    Die Idee, dass Werbetreibende den Schutz jener Tiere finanziell unterstützen, die sie abbilden, könnte bereits Fuß fassen.

    Im Juni 2018 kündigte das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen eine Initiative namens „The Lion’s Share“ an. Dabei werden Werbetreibende gebeten, etwas zum Schutz jener Tiere und ihres Lebensraumes beizutragen, die sie in ihrer Werbung zeigen.

    Galerie: 12 Einblicke in das Leben der Löwen Afrikas

    „Bilder von Tieren tauchen in ungefähr 20 Prozent aller Werbung auf, die wir sehen. Trotzdem erhalten diese Tiere nicht immer die Unterstützung, die sie verdienen. Bis jetzt“, sagte der Botschafter von „The Lion’s Share“ – Sir David Attenborough – in einer Videobotschaft, welche die Kampagne ankündigte.

    Das UN-Entwicklungsprogramm hofft, drei Jahre lang 100 Millionen Dollar pro Jahr sammeln zu können. Das Geld wird Programmen zum Wildtierschutz und Tierwohl zugutekommen, die von den Vereinten Nationen und zivilgesellschaftlichen Organisationen umgesetzt werden.

    Courchamp findet, dass das „aufregende Neuigkeiten“ sind.

    „Das ist genau das, was wir vorgeschlagen haben, und anscheinend geht es jetzt los.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

     

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