Die Artenvielfalt der Erde schwindet

Ein umfassender internationaler Bericht zur Biodiversität warnt vor ernsthaften Bedrohungen für Mensch und Tier, weist aber auch auf erfolgreiche Strategien hin.

Von Stephen Leahy
Veröffentlicht am 27. März 2018, 14:54 MESZ
Verschiedene Käferarten
Es gibt eine beachtliche Artenvielfalt auf der Erde. Allerdings sterben viele dieser Arten aus. Noch ist es Wissenschaftlern zufolge aber nicht zu spät, diesen Trend wieder umzukehren.
Foto von Frans Lanting, National Geographic Creative

Das Lebenserhaltungssystem der Erde versagt. Fast überall sind diverse Arten nicht-menschlichen Lebens im Rückgang begriffen, wie aus einer Reihe internationaler Berichte hervorgeht, die am 22. März 2018 veröffentlicht wurden. Diese stete Abnahme gefährdet Wirtschaftssysteme, die Lebensgrundlage und Ernährungssicherung zahlreicher Menschen und die generelle Lebensqualität. Gleichzeitig gibt es den Berichten zufolge aber auch Grund zur Hoffnung, da es für viele dieser Probleme Lösungen gibt, mit denen andernorts bereits nachweisbare Erfolge erzielt wurden.

Die gewaltige Vielfalt aller lebenden Arten, die in ihrer Gesamtheit als Biodiversität bezeichnet wird, stellt die Grundlage für unsere Nahrung, unser sauberes Wasser, unsere Luft und unsere Energie dar. „Die Biodiversität ist nicht nur das Herzstück unserer Überlebenschancen, sondern auch unserer Kulturen, Identitäten und Lebensfreude“, sagte Robert Watson, der Vorsitzende der Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES).

Die IPBES ist eine internationale Gruppe, die sich für den Schutz der weltweiten Biodiversität einsetzt. In den letzten drei Jahren haben mehr als 550 führende Experten aus über 100 Ländern mehr als 10.000 Studien überprüft und vier regionale wissenschaftliche Einschätzungen der Biodiversität vorgenommen, die den gesamten Planeten mit Ausnahme der Pole und des offenen Meeres abdecken. Diese Einschätzungen untersuchten auch die Ursachen für den Rückgang der Biodiversität sowie die Möglichkeiten der Regierungen, diesen Rückgang durch ihre Politik zu verlangsamen oder gar umzukehren. Die Berichte wurden auf der letzten Vollversammlung der 129 Mitgliedsländer der IPBES abgenommen.

„Es gibt keinen Zweifel daran, dass der fortschreitende Verlust der Biodiversität das menschliche Wohlergehen gefährdet. Jeder wird darunter zu leiden haben, aber besonders die Armen“, sagte Watson in einem Interview.

Der Rückgang lässt sich hauptsächlich auf den nicht nachhaltigen Ressourcenverbrauch – darunter die Abholzung der Wälder und die Ausweitung der Landwirtschaftsflächen – sowie durch Verschmutzung, Klimawandel und den Einfluss invasiver Arten zurückführen.

Eine der Studien, die in „Science“ veröffentlicht wurde, kam zu dem Ergebnis, dass 58 Prozent der Landmasse der Erde – wo 71 Prozent aller Menschen leben - bereits genügend Biodiversität eingebüßt haben, „um die Fähigkeit der Ökosysteme infrage zu stellen, menschliche Gesellschaften zu unterhalten“.

Aber die Einschätzung der IPBES dokumentiert auch Erfolgsgeschichten des Umweltschutzes und identifiziert Schlüsselstrategien, die auch andernorts angewandt werden können.

GLOBALE BEDROHUNGEN

Amerika ist ein wahres Wunder der Artenvielfalt, aber auch der Doppelkontinent hatte seit der Kolonisierung durch den Westen beträchtliche Verluste zu verbuchen. Wenn Christoph Kolumbus heutzutage dort anlanden würde, würde er 30 Prozent weniger Biodiversität als noch 1492 vorfinden. Aktuell sind zusätzlich 23 bis 24 Prozent der regionalen Arten vom Aussterben bedroht, sagte Jake Rice, ein Co-Vorsitzender der IPBES-Einschätzung zu Amerika. Das bedroht auch die landbasierten Erträge, die die Natur den Ländern Amerikas beschert und auf 24 Billionen Dollar pro Jahr geschätzt wird. Das entspricht Rice zufolge dem BIP des Doppelkontinents.

Die Ausweitung der Landwirtschaftsflächen, die Rodung von Wäldern, die Ressourcengewinnung sowie Verschmutzung und zunehmende Verstädterung wurden dabei als treibende Ursachen dieses Rückgangs identifiziert. Die Einschätzung kam zu dem Ergebnis, dass die Bevölkerung Amerikas dreimal so viele Dienstleistungen der Natur verbraucht wie der globale Durchschnitt. Um diese nicht nachhaltige Verbrauchsrate zu verändern, sei ein fundamentaler Wandel unserer Lebensart nötig, findet Rice.

„Wir entscheiden uns immer wieder dafür, uns etwas von der Zukunft zu borgen, damit wir heute gut leben können“, sagte Rice. „Wir müssen diese Entscheidungen aber nicht so treffen.“

Wir müssen uns ausgewogener ernähren – weniger Fleisch und weniger verschwendete Lebensmittel –, um den Druck auf die Biodiversität zu senken, so Watson. Auch unseren Wasserverbrauch müssen wir effizienter gestalten, besonders in der Landwirtschaft, und weniger giftige Chemikalien verwenden. Durch die verstärkte Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, elektrische Fahrzeuge und bessere Energieeffizienz muss es zu einer drastischen Einsparung an fossilen Brennstoffen kommen, da der Klimawandel die Biodiversität ebenfalls bedroht, wie im Bericht nachzulesen ist. Ohne diese Einsparungen wird der Klimawandel sich 2050 ebenso stark auf die Biodiversität auswirken wie die Landnutzung.

BETEILIGUNG DER ÖFFENTLICHKEIT

„Als Bürger müssen wir jene politischen Führer und Strategien wählen, die diese Entscheidungen unterstützen“, sagte Emma Archer aus Südafrika, eine Co-Vorsitzende der IPBES-Einschätzung für Afrika.

Afrika ist der letzte Ort der Erde, an dem es noch eine solche Vielfalt an großen Landtieren gibt. Aber etwa 500.000 Quadratkilometer an Land sind durch Raubbau stark degradiert. Auch in Zukunft wird der Druck wohl nicht abnehmen, da man für den afrikanischen Kontinent mit einer Verdoppelung der Bevölkerungszahlen auf 2,5 Milliarden bis 2050 rechnet. Aktuell stellen vor allem Wilderei, ungeplante Verstädterung und landwirtschaftliche Expansion eine Bedrohung dar. Die Einschätzung kommt auch zu dem Schluss, dass der Klimawandel bis zum Jahr 2100 zum Verlust der Hälfte aller afrikanischen Vogel- und Säugetierarten führen könnte.

Gleichzeitig haben sich aber einige bedrohte afrikanische Arten erholt und zumindest stabilisiert – vor allem dank zahlreicher Bemühungen, an denen auch lokale Gemeinden beteiligt sind. „Die Frage ist, wie man das ausweiten kann und wie wir jeden von uns dazu befähigen können, mit der Natur zusammenzuleben“, sagte Archer.

Watson zufolge sei klar, dass das Wissen der Einheimischen und der Ureinwohner für uns von unschätzbarem Wert sind, wenn wir lernen wollen, mit der Natur zu leben. Er betont auch, dass die Probleme rund um die Biodiversität in der Politik und Entwicklungsplanung von deutlich höherer Priorität sein müssen. Auch die Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg sei ausschlaggebend, da die Thematik der Artenvielfalt von solchen Grenzen unabhängig ist.

„Wir wissen, was zu tun ist“, sagte er. „Es gibt keinen Grund, jetzt nicht zu handeln.“

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