Kann dieser kleine Elefant ohne Rüssel überleben?
Elefanten nutzen ihren Rüssel zum Fressen, Trinken und Sozialisieren. Können die anpassungsfähigen Tiere seinen Verlust kompensieren?
Können Elefanten ohne Rüssel überleben?
Für ein junges Elefanten Kalb in Südafrikas Kruger-Nationalpark ist das leider keine hypothetische Frage.
Bilder und Videoaufnahmen zeigen ein Elefantenkalb, das anstelle des arttypischen Rüssels nur einen kurzen Stumpf hat. Wie es seinen Rüssel verloren hat, weiß niemand so recht – womöglich durch ein Raubtier oder eine Schlingfalle –, aber es ist ein schwerer Verlust.
Die Tiere nutzen ihr vielseitiges Organ zum Atmen und Baden oder um sich Wasser und Nahrung in den Mund zu führen. Der Rüssel ausgewachsener Elefanten kann dank etwa 40.000 Muskeln mehr als 315 Kilogramm an Gewicht heben. (Zum Vergleich: Menschen haben in ihrem gesamten Körper nur knapp über 600 Muskeln.)
Die Rüssel dienen außerdem der sozialen Interaktion, sagt George Wittemyer, ein Elefantenexperte der Colorado State University.
Berücksichtigt man all diese Faktoren, sei es Wittemyer zufolge „höchst unwahrscheinlich“, dass das Kalb bis ins Erwachsenenalter überleben wird.
National Geographic Explorer Joyce Poole würde die Hoffnung jedoch noch nicht so schnell aufgeben.
„Das sieht nach einer verheilten Wunde aus“, sagt die Mitbegründerin von Elephant Voices, einer Organisation, die die Dickhäuter erforscht und sich für sie einsetzt. „Es läuft damit also schon seit einer Weile rum und befindet sich sonst in einem guten Zustand. Das Kalb ist nicht abgemagert, also bekommt es seine Nährstoffe wohl von irgendwo her.“
Kein seltener Anblick
Leider ist das Kalb mit seinem Leid nicht allein.
„Das ist ziemlich verbreitet in Gebieten, in denen Schlingenfallen genutzt werden“, sagt Poole. „Im [Nationalpark Gorongosa in Mosambik] gibt es zum Beispiel ein paar Elefanten, denen das Ende ihres Rüssels fehlt. Manche haben sogar nur noch einen halben Rüssel.“
Die Fallensteller wollen mit den Schlingen für gewöhnlich kleinere Tiere zum Verzehr oder wegen ihres Fells fangen. Oft geraten aber auch Elefanten und andere große Tiere versehentlich in die Fallen – ein Problem, mit dem wilde Tiere in ganz Afrika zu kämpfen haben.
„Wenn Rüssel in die Schlingen geraten, werden sie oft durchtrennt“, sagt Wittemyer.
„In Beinen, die sich darin verfangen, bleibt die Schlinge oft stecken“, weil die Schnur nicht durch den Knochen schneiden kann, wie er erzählt.
Löwen, Hyänen und Krokodile
Obwohl sie eine Schlinge für die wahrscheinlichste Erklärung halten, stimmen die Experten darin überein, dass das Kalb auch einem der zahlreichen Raubtiere im Kruger-Nationalpark zum Opfer gefallen sein könnte. Schließlich sind Elefanten zu allen Seiten von hungrigen Mäuler umgeben.
Poole weiß zum Beispiel von mehreren Elefanten in der Masai Mara, die ihren Schwanz bei einem Hyänenangriff eingebüßt haben. Was den Rüssel angeht, so hält Poole es für möglich, dass ein Krokodil ihn abgebissen hat. Allerdings ist sie sich nicht sicher, ob die Wunde zu den Drehbewegungen passt, die die Reptilien machen, wenn sie Beute zu packen bekommen. In diesem Fall würde die Wunde vermutlich ausgefranster und nicht so sauber aussehen.
Das Kalb hat definitiv die schwerste Rüsselverletzung, die Poole bisher gesehen hat. Aber andere Elefanten haben eine bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit gezeigt, wenn es darum ging, ähnliche Verletzungen zu kompensieren. Sie fraßen beispielsweise nur Blätter, die auf Kopfhöhe hängen, knieten sich zum Trinken hin oder hielten gar nach einer helfenden Hand bzw. einem Rüssel Ausschau.
Zwar hat Poole das noch nicht selbst beobachtet, aber ihr zufolge gibt es glaubhafte Berichte über ausgewachsene Elefanten mit Rüsselverletzungen, die von anderen Artgenossen Futter erhielten. In einem anderen Fall, den sie bisher nicht bestätigen konnte, soll ein Elefant mit seinem eigenen Rüssel Wasser in das Maul eines verstümmelten Herdenmitglieds gespritzt haben.
„Im Endeffekt sollten wir wohl einfach nicht annehmen, dass das Kalb es nicht schaffen wird“, so Poole.
„Es wird es ganz eindeutig schwerer haben als andere Elefanten, aber es könnte auch Hilfe von seinen Familienmitgliedern erhalten. Ihr Verhalten ist einfach so anpassungsfähig und flexibel.“
Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.
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