Hetzjagd mit Happy End: Bärenhunde im Einsatz

Wenn Bären sich zu nah an menschliche Siedlungen heranwagen, kommen statt Gewehren vermehrt Karelische Bärenhunde wie Soledad zum Einsatz.

Von James Crugnale
Veröffentlicht am 27. Feb. 2019, 17:26 MEZ
Orca (links), Dazzle (Mitte) und Rooster – Bärenhunde des Department of Wildlife in Nevada – vertreiben ...
Orca (links), Dazzle (Mitte) und Rooster – Bärenhunde des Department of Wildlife in Nevada – vertreiben einen Schwarzbären im Lake Tahoe Basin in Nevada.
Foto von John T. Humphrey

Als Dutzende von Eisbären die russische Doppelinsel Nowaja Semlja heimsuchten, wusste niemand so recht, was zu tun war. Die Tiere drangen in Häuser und öffentliche Gebäude ein, sodass die Menschen Angst hatten, überhaupt noch vor die Tür zu gehen. Eisbären gelten in Russland allerdings als gefährdete Art, weshalb die Regierung keine Genehmigung für ihren Abschuss erteilte.

Diese „Invasion“, wie sie bezeichnet wurde, hat auch andernorts für Diskussionen darüber gesorgt, wie man mit den Tieren umgehen sollte. In Nordamerika rechnet man beispielsweise künftig mit einer Zunahme von Eisbären, wenn das für die Tiere überlebenswichtige Packeis weiter zurückgeht und die Bären auf der Nahrungssuche landeinwärts wandern. Auch das Verbreitungsgebiet von amerikanischen Schwarzbären dehnt sich immer weiter aus, während Öl- und Gasprojekte sich dem Territorium der Tiere zusehends nähern.

Wenn ein Bär auf einer Müllhalde auftaucht oder private Mülltonnen durchsucht, passiert für gewöhnlich eines von zwei Dingen: „Entweder drängt man das Tier in eine Ecke und schläfert es ein oder man schießt einen Betäubungspfeil ab, sperrt es in einen Käfig und fährt es weit weg“, erklärt Alan Myers vom Department of Fish and Wildlife des US-Bundesstaates Washington. „Das waren die zwei einzigen Optionen und keine davon war effektiv.“

Eine auf Bären spezialisierte Biologin namens Carrie Hunt hat es sich deshalb zur Lebensaufgabe gemacht, effektive und nicht tödliche Methoden zu finden, um Konflikte zwischen Menschen und Bären zu vermeiden. Nachdem sie beobachtet hatte, dass die Hunde von Parkrangern Bären vertreiben können, kam ihr der entscheidende Einfall. 1996 gründete sie das Wind River Bear Institute in Florence im Bundesstaat Montana. Dort bildete sie Hunde einer bestimmten Rasse zu „Bären-Schäferhunden“ aus – sie bellen und verscheuchen Bären, wenn diese zu nah an menschliche Siedlungen kommen. So werden die Wildtiere darauf konditioniert, den Kontakt mit Menschen zu meiden.

Karelische Bärenhunde (hier abgebildet ist Orca in Nevada) wurden ursprünglich zur Großwildjagd in Europa gezüchtet.
Foto von Derek Reich

Seither setzen Behörden in den USA und Kanada vermehrt auf das Training von Hunden, um Wildtiere in Schach zu halten. Bärenhunde werden mittlerweile von Wildtier-Managern in den US-Bundesstaaten Washington und Nevada, im kanadischen Territorium Alberta sowie in Japan eingesetzt. Mehrere Nationalparks, darunter der Banff-, Yosemite- und Glacier-Nationalpark, haben zudem Verträge für die Nutzung von Bärenhunden abgeschlossen.

„Bären haben eine natürliche Furcht vor Hunden“, sagt Hunt. „Warum? Weil Kojotenrudel Bärenjunge stehlen können.“

Die am weitesten verbreitete Rasse in diesem Bereich ist der Karelische Bärenhund. Der schwarz-weiße Arbeitshund stammt aus seiner namensgebenden Region zwischen Finnland und Russland. Ursprünglich wurde er von finnischen Züchtern für die Jagd auf wehrhaftes Großwild gezüchtet, aber Hunt erkannte, dass er auch für das Wildtier-Management trainiert werden kann. Im Wind River Bear Institute werden Karelische Bärenhunde gezüchtet, ausgebildet und verkauft oder Behörden vertraglich verpflichtet, wenn diese keine finanziellen Mittel für ein eigenes Bärenhundeprogramm aufbringen können.

„Ich bin zuversichtlich, dass schon Tausenden von Bären dank dieser nicht tödlichen Methode die Kugel erspart geblieben ist“, schrieb Rich Beausoleil in einer E-Mail. Der Wildtierbiologe arbeitet für die Wildtierbehörde von Washington, die selbst acht solcher Hunde hat.

„Der Bär prescht davon.“

Bärenhunde sind besonders dann hilfreich, wenn ein Bär immer wieder an einen bestimmten Ort zurückkehrt, beispielsweise eine Müllhalde. Der Wildtier-Manager fängt das Tier dann vor Ort ein und holt die Hunde dazu.

„Sie bellen das Tier an und jagen ihm einen gehörigen Schrecken ein, damit es begreift, dass es nicht hier sein sollte und besser nie wieder an diesen Ort zurückkommt“, sagt Myers. Nachdem die Hunde den Bären eine Weile angebellt haben, wird der Käfig geöffnet.

„Der Bär prescht davon. Der geht ab wie eine Rakete“, sagt Myers. Manchmal feuern sie Bean Bags oder Gummigeschosse auf das Tier ab, um es noch mehr zu erschrecken. Dann lassen sie die Bärenhunde los.

BELIEBT

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    „Die wollen hinterher und sich den Bären schnappen“, sagt Nils Pedersen, der Koordinator für das Hundeprogramm in der alaskischen Zuchtstation des Wind River Bear Institute in Fairbanks. Die Hunde nehmen die Verfolgung auf, bellen den Bären an und schnappen nach ihm, bis sie von ihren Hundeführern zurückgerufen werden. Dann hat der Bär seine Lektion hoffentlich gelernt und wird nie wieder an diesen Ort zurückkehren.

    „Das Gute an Bären ist, dass sie intelligent genug sind, um das zu begreifen und schnell zu lernen. Bei Studien hat man entdeckt, dass die Quote an Bären, die nicht wiederkommen, sehr gut ist“, wie Myers sagt.

    In den 20 Jahren, die Beausoleil nun schon mit Bärenhunden arbeitet, hat er seinen Aussagen zufolge noch nicht einmal erlebt, dass ein Hund bei der Arbeit verletzt wurde. Hunt betont, dass die Sicherheit der Tiere oberstes Gebot bei jedem Einsatz ist. Auch sie hat bisher noch keine Vorfälle erlebt, die zu Verletzungen führten.

    Soledad die Jägerin

    Pedersen und seinen Karelischen Bärenhund Soledad verbindet eine besonders innige Beziehung.

    „Im Laufe der Jahre sind Soledad und ich auf eine ganz besondere Weise zusammengewachsen. Wir sind echte Partner“, sagt Pedersen. „Ich glaube, unsere Persönlichkeiten haben sich von Anfang an gut ergänzt. [...] Aber die Freude, die mir dieser Hund macht, kann man gar nicht angemessen in Worte fassen. Soledad ist eine Jägerin.“

    Gemeinsam haben sie 225 Kilogramm schwere Schwarzbären in Tahoe freigelassen und eine Bärenmutter mit ihrem Nachwuchs von Campingplätzen in den Rocky Mountains vertrieben. Aber Soledad ist auch ausgebildet, um eine weitere Aufgabe zu verrichten: Sie kann die Höhlen von Eisbären finden.

    Laut dem Marine Mammal Protection Act müssen Land-Manager auf Öl- und Gasfeldern und anderen Baugebieten Pufferzonen rund um die Winterquartiere von Eisbären errichten, damit diese während ihrer Winterruhe nicht gestört werden.

    Dazzle verfolgt einen Schwarzbären in Lake Tahoe. Bei solchen Einsätzen lernen Bären, Menschen und Hunde zu fürchten. Das verringert die Chance, dass sie später zu „Problembären“ werden.
    Foto von John T. Humphrey

    Die Rolle von Hunden wie Soledad wird immer wichtiger, da Eisbären aufgrund des schmelzenden Meereises weiter in menschliche Siedlungsgebiete vordringen. Soledad kann Eisbären selbst unter einer dicken Schneeschicht aufspüren und zeigt Pedersen ihren Fund an. So kann sichergestellt werden, dass die pelzigen Bewohner ungestört ihr langes Nickerchen beenden können.

    Ermittler auf vier Pfoten

    Die Bärenhunde haben aber auch schon bei der Aufklärung von Verbrechen geholfen. Beausoleil, der mit den Hunden Indy und Cash arbeitet, erzählt, dass er neben Einsätzen wegen Bären und Pumas auch schon an Ermittlungen wegen Wilderei beteiligt war.

    Als die Wildtierbehörde den Tipp bekam, dass ein Wolf gewildert wurde – der erste in jüngerer Vergangenheit –, war es wichtig, den Kadaver zu finden.

    „Die Angestellten haben hunderte Stunden mit der Suche nach dem Tierkörper verbracht, und irgendwann sagte jemand: Weißt du was, ich frage mich, ob die Leute mit den Karelischen Bärenhunden den finden könnten“, sagt Beausoleil.

    Die Hunde spürten den Kadaver in nur 40 Minuten auf. Dadurch konnten die Behörden die Straftat nachweisen und den Fall vor Gericht bringen.

    In einem anderen Fall bekamen die Behörden den Hinweis, dass ein Wapiti gewildert wurde. Im Haus des Verdächtigen wurde ein Wapitikopf gefunden, aber um den Fall vor Gericht zu bringen, waren noch mehr Beweise nötig.

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    Die Ermittler machten sich auf die Suche nach dem Rest des Kadavers, aber ohne Erfolg. Schließlich wandten sie sich an ein Team, das mit Bärenhunden arbeitet: Binnen 20 Minuten fanden die Tiere die Überreste des Wapitis. Die DNA vom Kopf passte zu der DNA des Kadavers.

    „Wieder konnte der Fall vor Gericht gebracht werden, weil der Kadaver gefunden wurde – und den hätten wir ohne die Bärenhunde nie gefunden“, so Beausoleil.

    Bärenhunde sind nicht für jeden

    Auch wenn einige Wildtier-Manager von dem Programm begeistert sind, sind Karelische Bärenhunde nicht für jeden Menschen oder jeden Fall die beste Wahl.

    Ann Bryant ist die Direktorin von The BEAR League, einer Bärenschutzgruppe in Tahoe, und ist bei ihren Versuchen, die Bärenhunde in bewohnten Gebieten einzusetzen, durchaus schon an die Grenzen dieser Methode gestoßen. Vor 14 Jahren schaffte sich die Organisation zwei Karelische Bärenhunde – Anya und Dmytry – von einem Züchter an und bildete sie aus.

    „Anya und Dmytry waren ein echter Hit bei unseren öffentlichen Lesungen und halfen uns dabei, einige Bären unter Häusern hervorzulocken“, schrieb Bryant in einer E-Mail. „Aber es wurde schnell klar, dass es keine gute Idee ist, sie die Bären durch Stadtviertel und über befahrene Straßen oder Parkplätze von Einkaufszentren jagen zu lassen.“

    Die Ausbildung der Bärenhunde ist außerdem eine Menge Arbeit, der nicht jeder gewachsen ist.

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    „Das ist ein echter Vollzeitjob, weil der Hund die ganze Zeit mit dabei ist“, so Bryant. „Das kann klappen, aber es gibt kein Patentrezept [...] Man muss sich richtig informieren und mit Leib und Seele bei der Sache sein. Diese Hunde müssen dein Lebensinhalt werden.“

    Derek Reich ist ein freiwilliger Helfer, der dem Department of Wildlife in Nevada mit seinem Bärenhundeteam zur Verfügung steht. Er erzählt, dass die Zeit und die Ressourcen, die in das Training der Hunde fließen, das Wachstum des Hundeprogramms behindern.

    „Für viele Behörden ist es außerdem einfacher, den Bären einfach zu töten“, schrieb Reich in einer E-Mail. „In den meisten Bundesstaaten gelten Schwarzbären als Jagdwild. Das sind eine Menge Arbeit und Ressourcen, die man in einen Bären steckt, der eine Woche später vielleicht einfach von einem Jäger geschossen wird.“

    Nach mehr als 20 Jahren als Kopf des Instituts wird Hunt bald zurücktreten und Pedersen die Leitung des Programms übergeben.

    „Ich werde die Hunde dann nur noch züchten und ausbilden und sie an Halter und Behörden vermitteln, die ich kenne“, sagte sie. „Und ich werde versuchen, die Nutzung der Hunde auch in neuen Gegenden mit Bärenproblemen stärker zu etablieren, beispielsweise an der Ostküste der USA.“

    Hunt sagt, dass sie stolz auf ihr Vermächtnis ist. „Ich hatte einen Traum und der wurde wahr, weil ich nie aufgegeben habe“, erzählt sie. „Es lag mir einfach im Blut, mit Hunden und Bären zu kommunizieren und ihnen zu helfen.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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