Ausgestorbener Höhlenbär lebt in heutigen Tieren weiter

Die DNA der riesigen Tiere überlebte das Verschwinden der Art.

Von Michael Greshko
Veröffentlicht am 28. Aug. 2018, 15:53 MESZ
Ein Grizzlybär schnuppert im Wind nach Spuren von Nahrung oder Gefahr. Ein Teil der DNA dieses ...
Ein Grizzlybär schnuppert im Wind nach Spuren von Nahrung oder Gefahr. Ein Teil der DNA dieses Bären geht vermutlich auf ausgestorbene Höhlenbären zurück, die sich vor tausenden von Jahren mit Braunbären paarten.
Foto von Paul Nicklen, National Geographic Creative

Über 100.000 Jahre lang zogen Höhlenbären durch Europa und Asien. Vor etwa 24.000 Jahren starben sie schließlich aus, nachdem ihre Zahl über Jahrtausende hinweg abgenommen hatte, vermutlich durch Bejagung, den natürlichen Klimawandel und die Nahrungskonkurrenz durch den Menschen.

Zwar ist kein Höhlenbär aus seinem letzten Winterschlaf wiedererwacht, aber die DNA der Tiere lebt weiter: Eine aktuelle Studie bestätigt, dass etwa 0,9 bis 2,4 Prozent der DNA heute lebender Braunbären auf die ausgestorbene Art zurückgehen.

Die Ergebnisse wurden in „Nature Ecology and Evolution“ veröffentlicht und stellen den zweiten Fall dar, bei dem Forscher die Gene ausgestorbener Lebewesen der Eiszeit in deren heute lebenden Verwandten fanden. Das erste Beispiel sind die Menschen: Zwischen 1,5 und 4 Prozent des nicht afrikanischen menschlichen Genoms stammen von Neandertalern, mit denen unsere menschlichen Vorfahren Nachwuchs zeugten.

„Allen Definitionen nach sind [Höhlenbären] ausgestorben, aber das bedeutet nicht, dass auch ihr Genpool verloren ist, da sie in den Genomen dieser lebenden Tiere weiterexistieren“, sagt Axel Barlow. Der Forscher an der Universität Potsdam ist einer der Hauptautoren der Studie.

Die Forschungsarbeit ist ein weiterer Beweis dafür, dass einige Arten sich regelmäßig kreuzten. Die DNA von Yaks und tibetanischen Rindern weist zum Beispiel Anzeichen dafür auf, dass sich die Vorfahren dieser Tiere miteinander kreuzten. Dasselbe gilt für Schweinearten, deren gemeinsame Vorfahren vor Millionen von Jahren lebten. Es sind auch ein paar Fälle bekannt, bei denen sich Braunbären und Eisbären miteinander gepaart haben. Mitte August veröffentlichten Forscher eine Studie über die Tochter einer Neandertaler-Frau und eines Denisova-Mannes – ein Beispiel für eine womöglich weitverbreitete Hybridisierung der alten Verwandten des Menschen.

„Das altmodische Konzept einer Art besagt, dass sie sich nicht mit anderen Arten kreuzen kann“, sagt Rasmus Nielsen, ein Genetiker der University of California in Berkeley, der an der Studie nicht beteiligt war. „Diese Arbeit gehört zu einer Reihe von Arbeiten, die besagen, dass diese Weltsicht falsch ist.“

EIN BÄRENDIENST

Um herauszufinden, warum die Höhlenbären ausstarben, wollten Barlow und sein Forschungsteam untersuchen, wie der Bestand der Tiere zu- und abnahm. Das konnten sie aus der Höhlenbären-DNA ableiten, die sie aus den Knochen von vier Tieren gewannen, welche vor mehr als 35.000 Jahren lebten.

Zunächst verglichen die Forscher die Genome der Höhlenbären mit denen von Eisbären und Braunbären. Wie erwartet zeigte sich, dass die beiden heute lebenden Arten enger miteinander verwandt sind als mit den Höhlenbären. Allerdings wurde die Angelegenheit komplexer, als die Forscher begannen, die Varianten der einzelnen Bärengene zu zählen.

Da die Genome von Tieren so groß sind, gibt es genügend Raum für zufällige Variationen bestimmter Gene. Aufgrund ebensolcher Zufälle können die gleichen Gene bei entfernt verwandten Tieren ähnlich aussehen, während sie sich bei eng verwandten Arten deutlich unterscheiden. Sofern sich die beiden Arten nicht kreuzen, sollten derartige Zufälle ungefähr in gleichem Maße auftreten. Das war allerdings nicht das, was die Forscher bei den Bären sahen.

BELIEBT

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    Ein Forscher hält den Schädel eines Höhlenbären (Ursus spelaeus). Höhlenbären waren größer als die heute lebenden ...
    Ein Forscher hält den Schädel eines Höhlenbären (Ursus spelaeus). Höhlenbären waren größer als die heute lebenden Braunbären und fraßen mehr Pflanzen.
    Foto von Andrei Posmoșanu

    „Wenn wir ein Übermaß an Genpositionen haben, bei denen Höhlenbären und Braunbären mehr Gemeinsamkeiten zueinander als zu Eisbären zeigen, dann muss dort etwas anderes passiert sein“, sagt Barlow. „Und dieses andere ist die Hybridisierung zweier Arten.“

    Die Forscher fanden nicht nur Spuren für eine Kreuzung, sondern bestätigten auch, dass die Bärenhybriden sich mit beiden Arten fortpflanzen konnten. Als Barlow und sein Kollege James Cahill sich Stück für Stück durch die Genome der Arten arbeiteten, entdeckten sie, dass Braunbären und Höhlenbären DNA-Abschnitte der jeweils anderen Bärenart in sich trugen.

    „Ich finde den Gedanken, dass sich Braunbären und Höhlenbären miteinander paarten, nicht überraschend. Tatsächlich macht das Sinn. Sie ähneln sich äußerlich insgesamt sehr und lebten teilweise zur gleichen Zeit in der gleichen Region“, schrieb der Paläontologe Blaine Schubert von der East Tennessee State University in einer E-Mail. „Bis zur aktuellen Studie war diese Möglichkeit jedoch nur Spekulation.“

    Das genetische Nachleben der Höhlenbären ist mit dem noch immer vorhandenen Einfluss der Neandertaler auf das menschliche Genom vergleichbar. Die Forscher betonen aber auch, dass es ein paar deutliche Unterschiede gibt.

    Braunbär

    Zum einen seien moderne Menschen und Neandertaler enger miteinander verwandt als Braunbären und Höhlenbären. Außerdem sei die Untersuchung von Menschen und ihren nächsten ausgestorbenen Verwandten deutlich einfacher, da große Mengen sequenzierter menschlicher DNA vorliegen. Aufgrund der begrenzten Datenlage lässt sich nur schwer feststellen, ob Braunbären die Genvarianten der Höhlenbären nutzen. Im menschlichen Körper beeinflusst die DNA unserer alten Verwandten unter anderem unser Immunsystem, unsere Haarstruktur und unsere Fähigkeit, im großen Höhen zu leben.

    Trotz des Datenmangels sinniert Barlow darüber, was die Höhlenbären den Wissenschaftlern noch heute beibringen können, zehntausende Jahre nach ihrem Verschwinden: „Ich finde das wirklich toll, weil es uns dazu zwingt, auf einer philosophischen Ebene darüber nachzudenken, was wir mit dem ‚Aussterben einer Art‘ eigentlich meinen.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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