Malaienbären ahmen Gesichtsausdrücke so gut nach wie Menschen

Die kleinsten Bären sind Einzelgänger, überraschen aber mit einer komplexen sozialen Fähigkeit.

Von Jake Buehler
Veröffentlicht am 25. März 2019, 13:41 MEZ
Malaienbären können die Gesichtsausdrücke ihrer Artgenossen exakt nachahmen – eine Fähigkeit, von der man dachte, sie ...
Malaienbären können die Gesichtsausdrücke ihrer Artgenossen exakt nachahmen – eine Fähigkeit, von der man dachte, sie würde sich auf Menschen und Gorillas beschränken.
Foto von Joël Sartore, National Geographic Photo Ark

Wenn wir mit anderen Menschen interagieren, werden unsere Gesichter zu Spiegeln, die subtile Ausdrücke unseres Gesprächspartners reflektieren. Mitunter tun wir dies unbewusst, um Verständnis für unser Gegenüber auszudrücken. Aber was auch immer der Zweck hinter dem Mechanismus ist, die mimische Nachahmung des emotionalen Gesichtsausdruckes des Interaktionspartners – das sogenannte Facial Mimikry – ist ein integraler Bestandteil der komplexen sozialen Welt des Menschen. Wir sind nicht die einzigen Lebewesen, die über Gesichtsausdrücke kommunizieren, aber die Präzision und der Detailreichtum unserer Mimik wurde von Forschern bisher ansonsten nur bei Gorillas beobachtet. Jetzt haben Wissenschaftler noch ein weiteres Tier mit dieser sozialen Superkraft entdeckt – und zwar eines, das sich von den hypersozialen Primaten deutlich unterscheidet: der Malaienbär.

Malaienbären (Helarctos malayanus) sind die kleinsten Bären der Welt. Die Tiere von der Größe eines Rottweilers leben in den Regenwäldern Südostasiens. Im Gegensatz zu Primaten leben diese Bären nicht in großen, hierarchisch organisierten Gruppen, in denen komplexe Gesichtsausdrücke ein wichtiges Kommunikationsmittel sind. Zwar seien sie nicht völlig unsozial, zögen aber zumeist doch lieber allein umher, sagt Marina Davila-Ross, eine Psychologin der University of Portsmouth und eine der Autorinnen einer Studie zu dem Thema, die in „Scientific Reports“ erschien.

„In der Wildnis leben sie mehr oder minder einzelgängerisch“, so Davila-Ross. „Die Männchen sind sehr territorial und die Weibchen sind mit ihrem Nachwuchs unterwegs. Das kommt also ziemlich nah an eine einzelgängerische Existenz ran.“

Gerade diese solitäre Lebensweise macht das Können der Bären in Sachen Facial Mimikry so unerwartet. Die Entdeckung lässt vermuten, dass komplexe soziale Fähigkeiten wie diese Mimikry sich nicht auf besonders soziale Arten beschränken. Wenn selbst Säugetiere, die evolutionär an ein einzelgängerisches Leben angepasst sind, auf diese Weise interagieren können, ist Facial Mimikry womöglich keine so besondere soziale Fähigkeit. Vielleicht sind komplexe soziale Interaktionen unter Säugetieren weiter verbreitet, als wir dachten.

Mimen im Wald

Davila-Ross erforschte im malaysischen Sabah auf Borneo gerade Orang-Utans in einem Rehabilitationszentrum für Wildtiere. Während ihrer Studien wurde sie auch auf die Malaienbären des nahegelegenen Bornean Sun Bear Conservation Centre aufmerksam. Als sie die Bären beim Spielen beobachtete, bemerkte sie etwas Sonderbares: Sie schienen ihre Gesichtsausdrücke gegenseitig nachzuahmen. Als Davila-Ross und ihre Kollegen entdeckten, dass zum Verhalten der Bären bisher nur wenig geforscht wurde, beschlossen sie, der Sache auf den Grund zu gehen.

Sie und ihr Team beobachteten 22 Malaienbären in ihrem Waldgehege und zeichneten mehr als 370 spielerische Auseinandersetzungen auf Video auf. Im Anschluss analysierten die Forscher das Material genauestens und werteten die Unterschiede in den Gesichtsausdrücken der Bären sowie ihrem Timing aus.

Oft öffneten die Bären ihr Maul, das dem Spielpartner zugewandt war, auf eine von zwei verschiedenen Weisen: entweder mit gefletschten oder von den Lippen verdeckten Zähnen. Die Forscher entdeckten, dass die Bären beide Gesichtsausdrücke hauptsächlich dann zeigten, wenn sie bemerkten, dass ihr Spielpartner sie ansah. Bis dato war nur von Primaten und Hunden bekannt, dass sie ihren Gesichtsausdruck ändern, wenn man ihnen Aufmerksamkeit schenkt – und Hunde wurden über Jahrtausende von Menschen domestiziert und darauf trainiert, mit ihnen zu kommunizieren.

Koko der Gorilla nutzt Gebärdensprache (1981)

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Die Gorilladame Koko starb im Juni 2018 im Schlaf. 1981 drehte National Geographic eine Dokumentation über Koko und ihre bemerkenswerten Fähigkeiten.

Wenn die Bären von ihrem Gegenüber mit einem geöffneten Maul bedacht wurden, imitierten sie den Gesichtsausdruck in den meisten Fällen sofort, oft schon binnen einer Sekunde.

Spannender noch: Die Nachahmer öffneten nicht nur einfach selbst ihr Maul auf irgendeine Art, sondern ahmten den Gesichtsausdruck des Gegenübers exakt nach. Diese präzise Anpassung galt eigentlich als eine Fähigkeit, über die ausschließlich Primaten verfügen, daher ist ihre Entdeckung bei Bären ein echtes Novum.

Im Vergleich zu Malaienbären sind Affen und Hunde enorm soziale Tiere, weshalb es überraschend ist, dass auch die Bären über so komplexe mimische Kommunikationsmöglichkeiten verfügen. Evolutionär gesehen sind sie nicht sehr eng mit Hunden verwandt und mit Affen noch viel weniger, sodass die Fähigkeit auch nicht als Überbleibsel eines gemeinsamen Vorfahren gelten kann. Die Entdeckung wirft also die Möglichkeit auf, dass Malaienbären und andere einzelgängerische Arten auf komplexere Weise miteinander agieren könnten als bislang angenommen.

Kontext ist alles

Davila-Ross glaubt nicht, dass sie und ihre Kollegen zufällig die eine Ausnahme unter den Säugetieren außerhalb der Primatengruppe fanden, die Gesichtsausdrücke nachahmen kann. Sie vermutet viel eher, dass wir die sozialen Fähigkeiten der Säugetiere generell neu bewerten sollten.

„Es scheint wahrscheinlich, dass auch andere Arten diese Fähigkeit haben“, sagte Davila-Ross.

Für Elisabetta Palagi illustriert die Studie das soziale Potenzial aller Säugetiere. Die Ethologin der italienischen Universität Pisa war an der Studie nicht beteiligt.

Palagi findet die Studie zwar gelungen, merkt aber an, dass die beobachteten Bären im Rehabilitationszentrum anders leben als ihre wilden, einzelgängerischen Artgenossen.

„Das sind rehabilitierte Tiere, die gezwungen sind, miteinander zu leben“, sagt sie. Dadurch könnte es für sie einfacher gewesen sein, neue soziale Stimuli zu etablieren. Orang-Utans seien ihr zufolge in der Wildnis beispielsweise auch nicht sonderlich sozial. In Gefangenschaft bilden sich in Gruppen jedoch Beziehungen und Allianzen heraus.

Palagi interessiert, ob unter den Malaienbären der Grad der Nachahmung mit dem Grad der Vertrautheit zwischen den Spielgefährten variiert. Außerdem findet sie es spannend, dass die Nachahmung die Dauer des Spiels nicht zu beeinflussen scheint, wie das bei Hunden der Fall ist. Diese signalisieren sich durch Nachahmung gegenseitig ihre Spiellaune, wodurch ihr gemeinsames Spiel länger andauern kann. Welchen Zweck erfüllt die Facial Mimikry also bei Bären?

Das sei ein Forschungsbereich, der Davila-Ross zufolge in Zukunft ausgebaut werden muss, da wir insgesamt wenig über die mimische Kommunikation von Tieren wissen. Demnächst will sie erforschen, ob Unterschiede in der Persönlichkeit der Bären sich auf den Erfolg einer Wiederauswilderung auswirken können.

Sie hofft, dass andere Wissenschaftler sich mit den Gesichtsausdrücken anderer Säugetiere befassen werden, um herauszufinden, wie verbreitet die Fähigkeit zur Mimikry wirklich ist. Tatsächlich könnte in den Köpfen unserer entfernten pelzige Verwandten viel mehr vor sich gehen als gedacht.

Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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