Auf der Spur der deutschen Wölfe

Immer mehr Wölfe leben in Deutschland. Doch kaum jemand bekommt die heimlich lebenden Raubtiere zu Gesicht. Was sie verrät, sind ihre Spuren, die im Labor der Senckenberg-Gesellschaft analysiert werden.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 4. Juli 2019, 13:41 MESZ
Wolfsnachwuchs

Wolfsnachwuchs in Deutschland. 

Foto von Heiko Anders

Sie untersuchen DNA-Proben, vergleichen genetische Fingerabdrücke und setzen die mikroskopisch kleinen Beweisstücke zu einem aussagekräftigen Puzzle zusammen. Die Forscherinnen und Forscher des Fachgebiets Naturschutzgenetik der Senckenberg-Gesellschaft haben einiges mit modernen Kriminalbiologen gemeinsam. Seit 2010 werden im Labor in Gelnhausen alle gesammelten Proben aus dem bundesweiten Wolfsmonitoring analysiert. Die Ergebnisse erlauben spannende Einblicke in die Entwicklung der Wolfspopulation in Deutschland. Denn mit dem Feldstecher allein kann man Canis lupus nicht auf den Pelz rücken. Durch ihre heimliche Lebensweise entziehen sich Wölfe selbst im dicht besiedelten Deutschland meist überaus effektiv einer direkten Beobachtung. Was sie aber verrät, sind die Spuren, die sie hinterlassen: Fellbüschel, Ausscheidungen oder DNA-Partikel, die sie an gerissenen Beutetieren hinterlassen.

Dr. Carsten Nowak leitet das Fachgebiet für Naturschutzgenetik bei Senckenberg.
Foto von Senckenberg

„Grundlage unseres genetischen Wolfsmonitorings sind Verfahren, die auch in der Kriminalistik oder bei Vaterschaftstests eingesetzt werden“, sagt Dr. Carsten Nowak, der das Fachgebiet für Naturschutzgenetik bei Senckenberg leitet. Wichtigste Methode ist die Mikrosatellitenanalyse. Als Mikrosatelliten bezeichnen Wissenschaftler kurze, sich mehrfach hintereinander wiederholende DNA-Sequenzen. Weil die genaue Zahl der Wiederholungsmotive bei jedem Mikrosatelliten von Individuum zu Individuum abweicht, eignen sie sich als Unterscheidungsmerkmal für einen genetischen Fingerabdruck, erläutert der Wissenschaftler. „Anhand der untersuchten Proben können wir zum Beispiel jedes einzelne Tier identifizieren, Verwandtschaften feststellen und so ein Wolfsrudel, das ja letztlich eine Familie aus Elterntieren und ihren Jungen ist, genetisch zusammensetzen.“

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Jährlich 30 Prozent mehr Wölfe in Deutschland

Mithilfe weiterer Genanalyse-Methoden erhält das Forscherteam schließlich ein detailliertes Gesamtbild der untersuchten Probe. Handelt es sich tatsächlich um einen Wolf? Aus welchem Rudel stammt das Tier? Erobert hier ein Einzelgänger, der aus Osteuropa oder dem Alpenraum eingewandert ist, ein neues Territorium? Oder ist es doch ein Hund oder sogar ein Hybrid, also ein Mischling aus Wolf und Hund? All diese und viele weitere Fragen lassen sich anhand winziger DNA-Proben beantworten. Kaum ein anderes Wildtier in Deutschland wird ähnlich präzise erfasst und beobachtet. „Unsere genetische Datenbank enthält inzwischen mehr als 1250 individuelle DNA-Profile deutscher Wölfe“, erklärt Nowak. Eine genaue Anzahl der aktuell in Deutschland lebenden Wölfe lässt sich daraus nicht ableiten, da nicht jedes Tier genetisch erfasst werden kann und viele genetisch erfasste Tiere bereits tot sind.

Im Senckenberg-Labor in Gelnhausen werden alle gesammelten Proben aus dem bundesweiten Wolfsmonitoring untersucht.
Foto von Senckenberg

Der Deutsche Jagdverband schätzt die Zahl der Wölfe in Deutschland inzwischen auf über 1000. Nowak verweist darauf, dass die Population im Jahresverlauf stark schwanke. Es ergebe deshalb keinen Sinn, eine pauschale Zahl zu nennen. Daher werden im Monitoring auch keine Individuen, sondern Rudel und Territorien gezählt. Laut Statistiken des Bundesamts für Naturschutz und der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf sind aktuell 105 Wolfsrudel in Deutschland heimisch. Die meisten Wolfsverbände leben in Brandenburg (41), Sachsen (22) und Niedersachen (21). Im vorherigen Monitoringjahr 2017/18 waren es noch 77. Ein Rudel besteht in der Regel aus drei bis elf Tieren: den Eltern und den Nachkommen der letzten beiden Jahre. Neben den Rudeln streifen auch Paare und Einzeltiere durch Deutschlands Natur.

„Derzeit hat der Wolf in Deutschland jährlich eine Wachstumsrate von knapp 30 Prozent“, so Nowak. Doch das Wachstum werde sich nicht ungebremst fortsetzen. Immerhin beansprucht ein Wolfsrudel eine Reviergröße von 200 bis 250 Quadratkilometern, was 35.000 Fußballfeldern entspricht. „Irgendwann werden die Optimalhabitate besetzt sein.“

Das Märchen von den Wolfsmischlingen

Auf Unverständnis bei Nowak stoßen Meldungen über eine angebliche Gefahr durch verhaltensauffällige Wolf-Hund-Mischlinge. „Es gibt keine Hybridpopulation in Deutschland“, unterstreicht er. „Das ist ein in vielen Ländern bewusst verbreitetes Märchen, um die Angst vor Wölfen zu schüren und die Bevölkerung zu verunsichern.“ Seit dem Jahr 2000, als erstmals seit rund 150 Jahren wieder wilde Wolfswelpen in Deutschland geboren wurden, habe es nur zwei Fälle von nachgewiesenen Wolfsmischlingen gegeben.

Auch in Zukunft sei kaum mit mehr Hybriden zu rechnen. Nowak: „Wo es keine großen Vorkommen an streunenden Hunden gibt, was in West- und Nordeuropa allgemein der Fall ist, ist Hybridisierung die Ausnahme, wie zahlreiche genetische Studien zweifelsfrei belegen. Männliche Wölfe paaren sich fast nie mit Hunden. Erst wenn eine Fähe keinen männlichen Wolf findet, schaut sie sich möglicherweise nach Ersatz um.“ Und dann fällt die Wahl zur Not bisweilen auf einen Hund. „Man könnte auch sagen, dass Wölfe bei der Partnerwahl sehr konservativ sind.“

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Wolfsnachwuchs in Deutschland. 

Foto von Heiko Anders
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