Betäuben oder erschießen? Warum die Rettung entlaufener Tiere oft so schwierig ist

Anfang Oktober wurde ein entlaufendes Zebra erschossen. Zuvor sorgte das Zirkustier auf der Autobahn für Chaos. Entschieden die Einsatzkräfte richtig? Im Gespräch: Dr. Klaus Wünnemann, Vorstand der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz.

Von Jens Voss
Veröffentlicht am 10. Okt. 2019, 10:47 MESZ
Zirkuspferd
Pferde in der Manege: Gerade die Haltung von großen Zirkustieren ist umstrittener denn je.
Foto von Shutterstock

Herr Dr. Wünnemann, was macht es so schwierig und bisweilen gefährlich, ein entlaufendes Großtier einzufangen?

Ein solches Tier befindet sich meist in einer kompletten Ausnahmesituation. Es hat seine vertraute Umgebung verlassen, ist in einem Bereich, in dem es sich absolut nicht auskennt. Alles an und in diesem Tier ist auf Notfall programmiert. Das bedeutet, dass sowohl sein Verhalten als auch sein Stoffwechsel nicht berechenbar sind.

Wie sollte man also idealerweise vorgehen?

Idealerweise hat jede Einrichtung, die solche Großtiere hält, einen Notfallplan und das nötige Equipment. Außerdem braucht es einen fachlich qualifizierten Tierarzt, um richtig reagieren zu können. Nicht zuletzt, wenn es um den Einsatz von Narkosemitteln geht. Es gibt Präparate, die nur in die Hand eines Tierarztes gehören. Dazu gehören die meisten Narkosemittel, die für Großtiere geeignet sind.

Dr. Klaus Wünnemann ist Tierarzt, Vorstand der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz und Direktor des Heidelberger Zoos.
Foto von Zoo Heidelberg

Sie sind selbst Tierarzt. Warum ist der Einsatz solcher Betäubungsmittel bisweilen so heikel?

Man sollte eines wissen: Was zum Beispiel gern in James-Bond-Filmen gezeigt wird, ist eine Illusion. Da wird ein Mensch von einem Narkosepfeil getroffen, schaut kurz erstaunt und sinkt dann zu Boden. Aber so ist das nicht. Jedes Narkosemittel hat eine so genannte Anflutungszeit. Vom Eintritt des Narkosepfeils in den Muskel bis zur Wirksamkeit vergehen in der Regel zehn Minuten, manchmal mehr. In dieser Zeit kann alles Mögliche passieren. Auch schlimme Dinge. Man spricht hier auch von einer möglichen Umfeldgefährdung. Wenn ein Mittel nicht so funktioniert wie erhofft, kann es zu Unfällen kommen.

BELIEBT

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    Haben sich die Tierretter in Rostock richtig entschieden?

    Das kann ich aus der Entfernung nicht beurteilen. Aber gerade Zebras und andere Tiere aus der Gattung der Pferde sind sehr schwer in Narkose zu legen. Es gibt nur ganz wenige Mittel, die zuverlässig wirken. Und selbst dann ist die Wirksamkeit bei einem Tier, das sich in einem totalen Aufregungszustand befindet, immer noch fraglich. Ich glaube, dass wahrscheinlich viele Voraussetzungen in dieser Situation ziemlich ungünstig waren.

    Gibt es denn Grundregeln, in welchen Szenarien man Tiere noch betäuben kann – und ab wann sie getötet werden?

    Nein, es kommt immer auf den Einzelfall und das jeweilige Tier an. Alle relevanten Parameter vor Ort müssen hierbei berücksichtigt und abgewogen werden: Wie hat sich das Tier vorher verhalten? Wie verhält es sich jetzt? Welches Equipment ist vorhanden? Besteht das Risiko der erwähnten Umfeldgefährdung? Ausgebrochene Tiere sind oft im Panikmodus, durchflutet von Stresshormonen. Und das ist eine ungünstige Voraussetzung, um ein Narkosemittel einzusetzen – ganz anders als bei einem Menschen in einer ruhigen Krankenhaus-Situation.

     

    Tiere

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