Aus 1 mach 3: Kotproben offenbaren neue Primatenarten

Diese Neuentdeckung verdanken wir modernster Technologie und Affenexkrementen – eine Ressource, die laut der Studienautorin unzureichend genutzt wird.

Von Rachel Nuwer
Veröffentlicht am 24. Juni 2020, 12:33 MESZ
Der neu beschriebene Langur Presbytis percura gilt als vom Aussterben bedroht. Er zählt nun offiziell zu ...

Der neu beschriebene Langur Presbytis percura gilt als vom Aussterben bedroht. Er zählt nun offiziell zu den seltensten und am stärksten gefährdeten Primaten der Welt.

Foto von Andie Ang

Mehr als ein Jahrhundert lang galten Bindenlanguren – scheue Primaten, die in Baumkronen leben – als eine einzige Spezies. Neue Forschungen deuten nun aber darauf hin, dass es sich tatsächlich um drei verschiedene Arten handelt.

Die Affen leben in Myanmar, Thailand, Malaysia, Singapur und Indonesien. Aufgrund dieses weiten Verbreitungsgebietes galten sie nicht als sonderlich gefährdet. Aber die neuen Erkenntnisse, die im Juni in „Scientific Reports“ veröffentlicht wurden, zeichnen ein anderes Bild: Zwei der neuen Arten zählen zu den am stärksten gefährdeten Primaten der Welt und müssen dringend geschützt werden.

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Die Forschung verdeutlicht, welche Möglichkeiten hochmoderne genetische Sequenzierungswerkzeuge bieten. Mit ihrer Hilfe lassen sich jahrhundertealte taxonomische Fehler korrigieren, die womöglich Artenschutznotfälle verschleiern. In diesem Fall arbeiteten die Forscher mit DNA aus Affenkot – eine nicht-invasive Technik, die in diesem Bereich der Wissenschaft noch enormes Potenzial birgt.

„Wir wollen mit dieser Studie weitere Forschung über diese völlig neuen Affenarten in Asien fördern“, sagt Andie Ang, ein National Geographic Explorer und Wissenschaftlerin des Wildlife Reserves Singapore Conservation Fund. „Da draußen gibt es definitiv mehr Vielfalt, als uns bewusst ist – und wenn wir sie nicht kennen, riskieren wir, sie zu verlieren.“

Von der These direkt ins Feld

Vor einem Jahrzehnt begann Ang, eine der Hauptautorinnen der neuen Studie, mit der Erforschung der Bindenlanguren (Presbytis femoralis) – kleine Primaten mit dunklem Fell. Aufzeichnungen aus dem 19. Jahrhundert unterschieden zwischen drei Unterarten: P. f. femoralis im Süden der Malaiischen Halbinsel, P. f. percura auf Sumatra und P. f. robinsoni im Norden der Malaiischen Halbinsel. Betrachtet man das Aussehen dieser drei Gruppen, ist der Klassifikationsfehler verständlich. Alle drei Unterarten sind schwarz und weisen nur subtile Unterschiede in den weißen Abzeichen um Gesicht und Bauch auf.

Von Anfang an vermutete Ang jedoch, dass P. f. femoralis eigentlich eine eigene Art sei. „Allein wenn man sich ihre Morphologie und die früheren Beschreibungen ansieht, scheint es, als ob es sich um eine andere Spezies handelt. Aber es fehlte mir an Informationen Informationen, um diese Theorie zu untermauern“, erzählt sie.

BELIEBT

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    Die Langurenart Presbytis robinsoni gilt nach wie vor als „potenziell gefährdet“, während die beiden anderen neuen Arten – Presbytis femoralis und der Presbytis percura – als vom Aussterben bedroht eingestuft werden.

    Foto von Andie Ang

    Es war nicht einfach, ihrer Ahnung nachzugehen. Languren sind bekanntermaßen schwer zu beobachten – sie sind selten, scheu und verbringen die meiste Zeit in Baumkronen. In der Regel flüchten sie bei den ersten Anzeichen menschlicher Präsenz. Das macht es schwierig, sie zu fotografieren oder zu betäuben, um Blutproben zu entnehmen. Gerade letztere Methode birgt zudem das Risiko, die Tiere zu stressen oder zu verletzen.

    Um diese Herausforderungen zu umgehen, konzentrierten sich Ang und ein internationales Team von Kollegen auf Kotproben. Tierkot sei Ang zufolge eine bislang unzureichend genutzte Ressource für Wissenschaftler: Er enthält eine Fülle von Informationen, von der DNA eines Tieres bis zum Nachweis seiner Nahrung, seines Mikrobioms und seiner Parasiten.

    Warten auf den Stuhlgang

    Allerdings ist das leichter gesagt als getan: Das Sammeln dieser Proben ist schwierig und zeitaufwendig. Die Forscher machten Langurengruppen im Wald ausfindig und warteten dann still und leise, manchmal stundenlang, bis die Tiere weiterzogen, damit sie unter den Bäumen nach Kot suchen konnten.

    „Manchmal haben wir den ganzen Tag gewartet und sie haben nicht gekackt, oder wir konnten den Kot nicht finden, weil der Waldboden genau so aussah wie die Exkremente, die wir suchen“, sagt Ang. „Oder die Fliegen und Mistkäfer sind uns zuvorgekommen.“

    Aus den schlussendlich gesammelten Proben konnten Ang und ihre Kollegen die vollständigen Genome von elf Languren sequenzieren. Die Ergebnisse glichen sie mit einer genetischen Datenbank und früheren Proben sowie miteinander ab. Um als unterschiedliche Spezies zu gelten, müssen die mitochondrialen Sequenzen von Säugetieren für gewöhnlich um etwa fünf Prozent voneinander abweichen. In diesem Fall fanden die Forscher eine Abweichung von sechs bis zehn Prozent zwischen den drei „Unterarten“ der Bindenlanguren.

    Sie berechneten, dass die Arten vor drei Millionen Jahren – also vor dem Pleistozän – unterschiedliche Wege auf dem evolutionären Stammbaum einschlugen. „Sie sind nicht einmal eng miteinander verwandt“, sagt Ang.

    Plötzlich bedroht

    Für zwei der neu proklamierten Arten, Presbytis femoralis und Presbytis percura, offenbart die neue Klassifizierung als eigene Spezies, wie dringend sie geschützt werden müssen. Aufgrund einer kleineren Population und eines begrenzten Verbreitungsgebiets gelten sie nun als vom Aussterben bedroht. 

    Ang schätzt, dass sich der Gesamtbestand von P. femoralis auf nur etwa 300 bis 400 Tiere beläuft. Von ihnen leben etwa 60 in Singapur, der Rest lebt in den südlichen Staaten der malaysischen Halbinsel, wo die Wälder rasch neuen Ölpalmenplantagen weichen. Wie viele Exemplare von P. percura es noch gibt, können die Forscher nicht sagen. Sie leben nur noch in der Provinz Riau auf Sumatra, in einem Gebiet, das stark von Waldbränden und Wilderei bedroht ist und in dem die Entwaldung stark voranschreitet.

    P. robinsoni ist hingegen weiter verbreitet und wird von der Weltnaturschutzunion nur als „potenziell gefährdet“ eingestuft.

    Die Forscher untersuchten das Genom des verwandten Weißschenkligen Langurs (Presbytis siamensis), um mehr über die Evolutionsgeschichte der neuen Art zu erfahren. Die Wissenschaftler vermuten, dass eine Unterart des Weißschenkligen Langurs, die nur in der Provinz Riau auf Sumatra vorkommt, wahrscheinlich eine weitere neue, vom Aussterben bedrohte Art darstellt.

    Foto von Lee Zan Hui

    „Im Moment sind sie nicht wirklich vom Aussterben bedroht“, sagt Ang. Aber mit der wachsenden Stadtentwicklung und Entwaldung wird sich P. robinsoni wahrscheinlich irgendwann in der gleichen misslichen Lange befinden wie die beiden anderen Arten, fügt sie hinzu.

    Die Bedrohungen, denen diese Affen ausgesetzt sind, sind nicht neu. Aber ihre Anerkennung als eigene Arten könnte bedeuten, dass das Überleben der Primaten nun ernster genommen wird.

    „Das öffentliche Bewusstsein für den Naturschutz beschränkt sich hauptsächlich auf Arten und nicht auf Unterarten. Der Nachweis, dass es sich bei vermeintlichen Unterarten tatsächlich um verschiedene Arten handelt, hilft deshalb, Geld für die Naturschutzarbeit zu sammeln“, sagt Christian Roos. Der Primatengenetiker am Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen war nicht an der Forschung beteiligt.

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    Ang und ihre Kollegen arbeiten jetzt mit Partnern an Universitäten und gemeinnützigen Organisationen in Malaysia, Indonesien und Singapur zusammen. So wollen sie weitere Studien über die neuen Arten fördern und sich für einen stärkeren Schutz auf Regierungsebene einsetzen.

    Die Forscher vermuten auch, dass sich noch viele weitere Arten, darunter auch Primaten, hinter Unterartenbezeichnungen verstecken und auf ihre Entdeckung warten. Zurzeit führen sie eine Folgestudie an einer Unterart des Weißschenkligen Langurs durch. Sie kommt ebenfalls nur in der Provinz Riau auf Sumatra vor und stellt wahrscheinlich eine weitere neue, vom Aussterben bedrohte Art dar. Wie die Studie demonstrierte, können Kotproben der Schlüssel zu solchen Entdeckungen sein.

    „In der Taxonomie wird diese Methode derzeit nur selten angewendet, aber sie hat ein enormes Potenzial“, sagt Vincent Nijman, ein Naturschützer an der Oxford Brookes University und Co-Autor der neuen Studie. „Wenn es defäkiert, dann können wir auch seine DNA sammeln.“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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