Auf diesen Blattschneiderameisen wachsen Kristallpanzer

Nie zuvor wurde ein solches Phänomen bei Insekten dokumentiert. Das Material, das Dolomit ähnelt, scheint eine Reihe nützlicher Funktionen zu erfüllen.

Von Douglas Main
Veröffentlicht am 30. Nov. 2020, 16:36 MEZ
Die pilzzüchtende Ameise Acromyrmex echinatior ist von einem Biomineral überzogen, das ihr als Panzerung dient.

Die pilzzüchtende Ameise Acromyrmex echinatior ist von einem Biomineral überzogen, das ihr als Panzerung dient.

Foto von Eduard Florin Niga, Eddimage Photography

Blattschneiderameisen sind nach dem gewaltigen Kraftakt benannt, den sie tagein, tagaus bewältigen: Sie zerschneiden Laub und tragen unhandliche Stücke, die ein Vielfaches ihrer Größe ausmachen, über weite Strecken zu ihren Kolonien. Dort zerkauen sie die Blätter, um unterirdische Pilzfarmen zu versorgen. Auf dem Weg dorthin trotzen die Insekten allen möglichen Raubtieren – und führen regelmäßig Kriege mit anderen Ameisen.

Aber die geschäftigen Tiere sind noch zäher als gedacht.

Eine Studie zeigt, dass eine zentralamerikanische Art der Blattschneiderameisen eine natürliche Panzerung besitzt, die ihr Exoskelett bedeckt. Dieser schildartige Überzug besteht aus Kalzit mit einem hohen Anteil an Magnesium. Diese spezifische Form des Magnesiums kommt ansonsten nur in einer anderen biologischen Struktur vor: den Zähnen von Seeigeln, die Kalkstein mahlen können.

Die Knochen und Zähne vieler Tiere enthalten kalkhaltige Mineralien, und Krebstiere wie Krabben und Hummer haben mineralisierte Schalen und andere Körperteile. Es ist jedoch das erste Mal, dass Kalzit bei einem adulten Insekt gefunden wurde.

Die Panzerung von Acromyrmex echinatior hilft den Ameisen dabei, Konflikte mit anderen Ameisenarten zu überleben.

Foto von Eugenia Okonski, Smithsonian Institution

Bei Blattschneiderameisen besteht dieser Überzug aus Tausenden von winzigen, plättchenförmigen Kristallen, die ihr Exoskelett verhärten. Diese „Panzerung“ hilft zu verhindern, dass die Insekten im Kampf mit anderen Ameisen Gliedmaßen verlieren. Außerdem hält sie Pilzinfektionen ab, wie die am 24. November in „Nature Communications“ veröffentlichte Studie zeigt.

Die Entdeckung ist besonders überraschend, weil die Ameisen gut erforscht sind. „Es gibt Tausende von Arbeiten über Blattschneiderameisen“, sagt der Co-Autor Cameron Currie, ein Evolutionsbiologe an der University of Wisconsin-Madison.

„Wir waren wirklich aufgeregt, [sowas an] einem der am besten untersuchten Insekten in der Natur zu finden“, sagt er.

Obwohl in dieser Arbeit nur die Art Acromyrmex echinatior betrachtet wurde, vermuten Currie und Kollegen, dass sich das Biomineral auch bei anderen verwandten Ameisen finden lässt.

Ameisen mit Gesteinspanzer

Vor etwa 60 Millionen Jahren, lange bevor sich der Mensch oder seine unmittelbaren Vorfahren entwickelten, erfanden die Blattschneiderameisen ihre eigene Form der Landwirtschaft. Ihre unterirdischen Pilzfarmen sind das Ergebnis einer symbiotischen Beziehung, die Nahrung für die Ameisenlarven und Schutz für den Pilz bietet. Jede Ameisenart kultiviert ihre eigene Pilzart.

Einige der fast 50 Arten von Blattschneiderameisen, darunter die Ameise in der Studie, beherbergen außerdem ein symbiotisches Bakterium, um ihre Gärten vor der Infektion mit anderen Schadpilzen zu schützen. Diese Mikroben befinden sich an jungen Arbeiterinnen. Während sie sich durch ihre Pilzgärten schlängeln, scheiden die Bakterien Chemikalien aus, die die invasiven Pilze abtöten.

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    Hongjie Li, ein Forscher an der Ningbo-Universität in China und ehemaliger Postdoktorand in Curries Labor, erforschte diese Bakterien. Schnell war er fasziniert von den seltsamen, winzigen Kristallen, die das Exoskelett der Ameisen bedeckten. Er überzeugte Geologen, ihm bei der Untersuchung des mineralähnlichen Materials zu helfen. Sie nutzten verschiedene Arten von bildgebenden Verfahren, darunter die Elektronenmikroskopie, um dessen Zusammensetzung zu ergründen.

    Als Li an einem Herbstmorgen im Jahr 2018 die Ergebnisse erhielt, war er begeistert: Die Ameisen waren mit einer Art von Biomineralien überzogen, die nie zuvor bei einem Insekt gefunden wurden.

    „Da war Gestein auf den Ameisen“, sagt Li. „Ich hatte Steinameisen gefunden!“

    Li zufolge sei die Panzerung der Ameise in ihrer Zusammensetzung dem Mineral Dolomit sehr ähnlich, nur etwas härter.

    Wie alle Insekten haben Ameisen ein Exoskelett aus Chitin, das zäh und flexibel ist. Um zu sehen, ob die Schicht aus Biomineralien als zusätzliche Panzerung fungiert, zogen Li und Kollegen die Ameisen zunächst im Labor mit und ohne die biomineralische Schicht auf. (Wenn Ameisen als Puppen von ihrer Kolonie getrennt und unter bestimmten Bedingungen aufgezogen werden, entwickeln sie die Beschichtung nicht). Anschließend führten sie mehrere Tests durch.

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    In einem dieser Experimente ließen sie diese Ameisen in „Ameisenkriegen“ gegen eine etwas größere, aber eng verwandte Art antreten, sagt Li. Im Verlauf einer einstündigen Schlacht verloren die „Steinameisen“ dreimal weniger Körperteile als ihre Artgenossen ohne die mineralische Beschichtung.

    Als nächstes setzten die Forscher die Insekten einem pathogenen Pilz aus, der Ameisen infizieren kann und mit Pilzarten verwandt ist, die „zombieähnliches“ Verhalten verursachen. Nach sechs Tagen waren alle Ameisen ohne die Mineralbeschichtung gestorben. Aber nur die Hälfte ihrer gepanzerten Verwandten war erkrankt.

    Ein weiteres Experiment zeigte, dass die Exoskelette dieser Ameisen mehr als doppelt so hart sind, wenn sie Biominerale enthalten.

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    Die mineralische Beschichtung weitet sich auch aus, wenn die Ameisen älter werden. Junge Ameisen pflegen die Pilzgärten und laufen daher nur wenig Gefahr, von anderen Ameisen oder Fressfeinden angegriffen zu werden. Wenn sie endlich beginnen, in der Welt außerhalb der Pilzgärten nach Nahrung zu suchen, ist ihr Panzer bis dahin dicker geworden, sagt Li.

    Der Entomologe Andrew Suarez von der University of Illinois findet es besonders aufregend, diese Art von Mineralien in einem Exoskelett zu sehen – gerade wenn man bedenkt, dass ähnliche Mineralien zuvor nur in isolierteren, spezialisierten Strukturen wie beispielsweise Zähnen gefunden wurden.

    „Das wäre so, als wäre unser Körper mit [winzigen Kristallen] aus Emaille bedeckt“, sagt Suarez, der nicht an der Studie beteiligt war.

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    „Diese Studie hat mir wirklich Freude gemacht, da sie etwas Neues dokumentiert – biomineralisierte Skelette bei Insekten“, sagt Andrew Knoll, ein Experte für Biomineralien an der Harvard-Universität.

    „Eine Reihe von Arthropoden hat Kalzium-Kohlenstoff-Exoskelette, darunter [...] Krabben und Hummer und die ausgestorbenen Trilobiten. Aber diese Reihe nun um Landinsekten zu erweitern, ist wirklich interessant.“

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    Die Forschenden glauben auch, dass diese Art von biomineralischen Kristallen künftig Anwendung in der Produktion finden könnten. Sie könnten beispielsweise als Beschichtung dienen oder in Form von Nanokristallen für Stabilität sorgen oder Korrosion verhindern.

    Vorerst gehe es aber darum, die Rolle zu verstehen, die diese Mineralien für die Ameisen spielen – und zu sehen, ob es noch andere, bislang unentdeckte Panzerungen und Biominerale gibt.

    Wahrscheinlich gibt es die, sagt Currie. „Wenn man nichts über das Biomineral dieser Art wusste, was sagt das dann über die 99,9 Prozent der Insekten aus, die wenig oder gar nicht erforscht wurden?“

    Der Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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