Akustischer Trick: Wie Klapperschlangen mit ihrem Rasseln Feinde verwirren

Laut einer neuen Studie verändern Klapperschlangen die Frequenz ihres Rasselns, um ihren genauen Standort zu verbergen.

Eine Texas-Klapperschlange bereit zum Angriff. Neue Forschungen haben ergeben, dass die Frequenz des Warnrasselns der Schlange zunimmt, je näher eine potenzielle Bedrohung kommt.

Foto von Karine Aigner
Von Jason Bittel
Veröffentlicht am 24. Aug. 2021, 09:04 MESZ, Aktualisiert am 24. Aug. 2021, 14:33 MESZ

Tschk-tschk-tschk – das Rasseln der Klapperschlange ist eines der bedrohlichsten Geräusche der Welt: Wenn man es hört, ist man der Gefahr schon viel zu nah. Laut einer neuen Studie, die Mitte August 2021 in der Zeitschrift „Current Biology“ erschien, ist diese besondere Form der Kommunikation allerdings viel komplexer als bisher vermutet.

Für die Studie haben Wissenschaftler den rasselnden Warnlaut der Texas-Klapperschlange (Crotalus atrox) analysiert und festgestellt, dass sich die Frequenz des Rasselns an die Entfernung der Bedrohung anpasst: Ist der Abstand zur Gefahr weiter, rasselt die Schlange mit einer niedrigen Frequenz von 40 Hertz oder weniger. Kommt die Gefahr so nah, dass die Schlange sich bedroht fühlt, rasselt sie schneller und steigert die Frequenz schlagartig auf 60 bis 100 Hertz.

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Im weiteren Verlauf des Versuchsaufbaus wurden menschlichen Probanden in einem virtuellen Grasland unterschiedliche Rassellaute vorgespielt. Die Studienteilnehmer sollten anhand dieser Geräusche die Entfernung der Schlange einschätzen. Bei niedrigfrequentiertem Rasseln waren die Schätzungen durchgängig relativ akkurat. Sobald die Frequenz aber zunahm, dachten die Probanden, die Schlange sei viel näher, als es tatsächlich der Fall war.

Laut Boris Chagnaud, Neurowissenschaftler an der Universität in Graz und leitender Autor der Studie, kann das menschliche Ohr nur bei langsamem Rasseln die einzelnen Rassellaute voneinander unterscheiden. Steigt die Rasselfrequenz, verschmelzen ihm zufolge die einzelnen Laute zu einem einzigen Geräusch, das für den Menschen völlig anders klingt. Hinzukommt, dass durch einen Knick in der akustischen Wahrnehmung das hochfrequente Rasseln der Schlange lauter erscheint, obwohl die Amplitude und damit die Lautstärke, so Chagnaud, dieselbe ist wie beim langsamen Rasseln.

„Möglicherweise ist das Rasseln nicht nur ein Warnlaut, sondern hat auch die Funktion, Angreifer zu verwirren“, sagt Bree Putman, Herpetologin an der California State University in San Bernardino, die nicht an der Studie mitgearbeitet hat.

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    Die Kommunikation der Klapperschlange

    Vom Süden Kanadas bis nach Argentinien sind Klapperschlangen fast auf dem gesamten amerikanischen Kontinent verbreitet. Zwölf der 29 bekannten Arten sind ausschließlich in Mexiko heimisch und zwei ausschließlich in den USA, wobei es in Alaska und auf Hawaii gar keine Klapperschlangen gibt. Fühlen sich die Tiere bedroht, erzeugen sie mit ihrem Schwanz einen rasselnden Warnlaut. Dieser entsteht dadurch, dass die lose ineinander verschachtelten Hornschuppen an der Schwanzspitze der Klapperschlange durch Schütteln wie Kastagnetten aneinanderschlagen.

    Menschen beschäftigen sich erst jetzt mit den Feinheiten der Klapperschlangenkommunikation, andere Arten haben schon vor längerer Zeit aufgehorcht. Das Echte Erdhörnchen beispielsweise erkennt an der Frequenz des Rasselns, wie groß die Gefahr ist, die von der Schlange ausgeht. Das funktioniert, weil Schlangen zu den ektothermen, also wechselwarmen Tieren zählen. „Wie leistungsfähig sie sind, hängt davon ab, wie warm sie sind“, erklärt Bree Putman. „Eine heiße Schlange ist eine gefährliche Schlange – und rasselt mit höherer Frequenz.“

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    Nicht nur äußere Gefahren und die Körpertemperatur haben einen Einfluss auf das Rasselverhalten der Klapperschlange. Trächtige Weibchen oder solche, die gerade Nachwuchs bekommen haben, neigen zum Beispiel dazu, aggressiver zu sein und mehr und schneller zu rasseln. Andere, die sicher unter einem Stein oder in einem Loch verborgen sind oder sich zur Vermeidung von Gefahren auf ihre Tarnung verlassen, rasseln kaum oder gar nicht.

    Überrascht hat Bree Putman die Erkenntnis, dass Klapperschlangen mit ihrem Rasseln Informationen über die Entfernung einer nahenden Bedrohung kommunizieren, nicht. Den Aspekt, dass Menschen aufgrund des Rasselns den Abstand zur Schlange so regelmäßig falsch einschätzen, findet sie jedoch faszinierend.

    Fressfeinde hören mit

    Schon Millionen von Jahren bevor die ersten Menschen den amerikanischen Kontinent bevölkerten, lebten dort Klapperschlangen. Deswegen vermuten die Wissenschaftler, dass sich die Rassel der Schlangen als Reaktion auf andere Bedrohungen entwickelt haben muss. Die wahrscheinlichste Erklärung ist für viele, dass der Warnlaut ursprünglich Bisons gegolten haben muss, damit diese nicht auf die Schlangen traten, die sich zu ihren Hufen durch das Gras schlängelten.

    „Der interessanteste Aspekt dabei ist für einen Biologen wie mich, dass wir zwar oft hören, wie Tiere miteinander kommunizieren, aber in den meisten Fällen nicht wissen, worum es in ihrer Unterhaltung geht“, sagt Boris Chagnaud.

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    Das Problem: Auch Feinde können diese Kommunikation hören. Man könnte meinen, dass Klapperschlangen, die mit ihren Zähnen Gift spritzen können, das potent genug ist, um Haut- und Blutzellen zu zerstören, keine Feinde hätten – doch das Gegenteil ist der Fall.

    Scott Boback, Evolutionsökologe am Dickinson College in Pennsylvania, hat Klapperschlangen mithilfe von Funkkameras im Rahmen des Project RattleCam-Experiments erforscht. Er sagt, er sei erschrocken darüber gewesen, wie viele Tierarten – darunter Rotschwanzbussarde, Elstern, Waschbären und Skunks – ihr Leben riskieren, um Klapperschlangen zu fressen. „Sie müssen sich gegen viele verschiedene Spezies durchsetzen.“

    Die vielen Fressfeinde der Klapperschlange könnten das warnende Rasseln also gegen sie verwenden: als Hinweis darauf, wo ihre nächste Mahlzeit zu finden ist. „Da es das besonders hochfrequentierte Rasseln dem Angreifer unmöglich macht, die Entfernung der Schlange einzuschätzen, frage ich mich, ob sie es als letztes Mittel einsetzen, um doch noch zu entkommen“, so Boback.

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    Selbst bei denen, die oft wilden Klapperschlangen begegnen, verfehlt das tschk-tschk-tschk ihrer Rassel nicht seine Wirkung.

    „Mir bleibt immer noch kurz das Herz stehen, wenn ich es höre“, sagt Asia Murphy, Ökologin an der University of California in Santa Cruz. „Doch obwohl mir das Geräusch Angst macht, freue ich mich immer, auf die Tiere zu treffen.“

    Zu dieser Situation kommt es regelmäßig während ihrer wissenschaftlichen Beobachtungen zu der Interaktion von Klapperschlangen mit Fressfeinden wie dem Rotluchs, Füchsen und Kojoten. Dabei befolgt sie ein paar einfache Regeln, um sich zu schützen: „Man muss immer sehr genau aufpassen, wo man sich hinsetzt und wo man sich mit Händen und Füßen abstützt“, sagt sie. „Außerdem sollte man nie versuchen, die Schlangen zu berühren – auch nicht mit einem Stock oder einer Stange. Am besten ist es, wenn man sie einfach in Ruhe lässt.“

    Darüber hinaus sollte man immer einen Abstand von etwa zwei Metern zu den Tieren halten und keine Zweige oder anderen Bestandteile ihres Lebensraums bewegen, um zum Beispiel ein besseres Foto machen zu können.

    Zwar gehe von Klapperschlangen die Gefahr eines giftigen Bisses aus, trotzdem verdienten sie es, respektvoll behandelt zu werden.

    „Eigentlich sind sie sehr höfliche Tiere“, sagt Asia Murphy und meint damit „ihr zuvorkommendes Verhalten, mit dem sie uns umsichtig auf ihre Anwesenheit hinweisen.“

    Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht.

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