Berittene Bogenschützen: Einst Krieger, heute Kampfkünstler
Seit der Erfindung der Feuerwaffe sind berittene Bogenschützen Geschichte. Was einst eine gefürchtete Kriegskunst war, ist heute eine Sportart, die Geist und Körperbeherrschung gleichermaßen fordert.
In vollem Galopp mit Pfeil und Bogen ein Ziel zu treffen, erfordert viel Übung und Körperbewusstsein.
Dumpfe Huftritte auf der Wiese, ein Pferd, das im Galopp dahinjagt, und ein Reiter ohne Sattel und Zügel – bewaffnet mit einem Bogen, aus dem er einen Pfeil nach dem anderen schießt, die alle ihr Ziel treffen. Was nach einem antiken Kampfgeschehen klingt, ist heute eine immer beliebter werdende Sportart und Hobby: Natural Horseback Archery – berittenes Bogenschießen nach antikem Vorbild.
Pettra Engeländer, Gründerin der Independent European Horseback Archery School, berichtet gegenüber NATIONAL GEOGRAPHIC: „Beim authentischen berittenen Bogenschießen entsteht eine ganz besondere Verbindung zwischen Reiter, Pferd und Bogen. Unser Vorbild sind die antiken Reitervölker. Was damals möglich war, muss es auch heute noch sein.“
Berittene Bogenschützen: Gefürchtete Kämpfer seit der Antike
Nomadenvölker in den Steppenregionen Westasiens hatten schon im ersten Jahrtausend vor Christus damit begonnen, Pferde als Reit- und Arbeitstier zu domestizieren und gezielt zu züchten. Besonders erfolgreiche Reitervölker bildeten sich schließlich in den indoeuropäischen Regionen. Berittene Volksstämme wie die Sassaniden, Kimmerer, Skythen oder Sarmaten überfielen Dörfer, stahlen alles von Wert und waren auf dem Rücken ihrer Pferde genauso schnell wieder weg, wie sie gekommen waren. Ihre Angriffstaktik blieb stets gleich: auf einen blitzschnellen Angriff folgte ein blitzschneller Rückzug.
„Die Besonderheit dieser Völker ist, dass sie mit den Pferdeherden gelebt haben. Sie hatten eine tiefe Verbindung zu ihren Pferden. Und sie waren es auch, die zuerst den Bogen als Waffe mit auf den Pferderücken genommen haben,“ erklärt Pettra Engeländer.
Der Volksstamm der Skythen war für seine berittenen Schützen bekannt.
Einen großen Vorteil hatten diese Reitervölker auch gegenüber weniger mobilen Truppen, wie etwa dem römischen Heer. Eine besonders effektives Rückzugsmanöver der Reitervölker war das sogenannte „Parthische Manöver“: Die berittenen Schützen täuschten eine Flucht an, die Gegner rückten nach, Truppenformationen wurden aufgebrochen – und schon schossen die angeblich Fliehenden rückwärts von den Pferden und fügten so den feindlichen Truppen Schaden zu. Diese Taktik wurde neben den Parthern auch von Skythen und Sarmaten effektiv eingesetzt, später sogar von Hunnen und Mongolen. Der griechische Schriftsteller Plutarch beschreibt in seinem Werk über das Leben des römischen Politikers Marcus Licinius Crassus dessen Niederlage in der Schlacht bei Carrhae 53 v.Chr. gegen die berittenen Parther. Der erste Zusammenstoß der Großmacht Rom gegen das Reitervolk der Parther endete mit etwa 20.000 getöteten und 10.000 gefangenen römischen Soldaten – eine der größten Niederlagen des römischen Reiches.
Ein weiteres besonders gefürchtetes antikes Reitervolk bildeten die Numider. Im zweiten Punischen Krieg kämpfte das nordafrikanische Berbervolk an der Seite Hannibals noch gegen Rom. Als sich das Kriegsglück jedoch wendete, wechselten sie auf die Seite der Römer. Die leichte Kavallerie der Numider war besonders gefürchtet. Außer einem Schild trugen die berittenen Bogenschützen keine Rüstung, ihre Pferde ritten sie ohne Sattel und Zaumzeug. So wurden die numidischen Reiter neben anderen Bogenschützen aus dem Osten des römischen Reiches auch auf der Trajanssäule verewigt, die im Jahr 112/113 n.Chr. errichtet wurde – und noch heute auf dem Trajansforum in Roms begutachtet werden kann.
Auf der Trajanssäule sind Szenen aus erfolgreichen Kriegen dargestellt.
Auch den Kreuzfahrern setzten berittene Bogenschützen schwer zu. In schnellen Attacken brachten sie den stark gepanzerten Ritterheeren schwere Verluste ein. Erst Richard Löwenherz gelang im dritten Kreuzzug bei der Schlacht von Arsuf 1191 n.Chr. durch eine angepasste Taktik ein effektiver Schlag gegen die berittenen Bogenschützen Saladins.
Die Erfindung der Feuerwaffe macht eine antike Kriegskunst zum Sport
Doch mit der Entwicklung des Schwarzpulvers und der Einführung der Feuerwaffe veränderte sich ab dem 14. Jahrhundert das Kriegswesen grundlegend. Berittene Bogenschützen spielten von nun an keine tragende Rolle mehr in der Kriegsführung. Reitsport und Bogensport haben sich getrennt voneinander zu beliebten Sportarten entwickelt.
„Nur in Japan hat sich in den letzten 800 Jahren die ununterbrochene Tradition im Bogenschießen vom Pferd erhalten,“ erklärt Pettra Engeländer, die in den Jahren 2007 und 2008 als berittene Bogenschützin auch bei der Pferdeshow „Apassionata“ auftrat. Im japanischen Yabusame stellt das Bogenschießen vom Pferd ein daoistisch-shintoistisches Ritual zu Ehren der Ahnen dar. „Im Yabusame geht man davon aus, dass nicht der Schütze mit dem Pfeil ins Ziel trifft, sondern der Pfeil durch das Wohlwollen der Ahnen geleitet wird,“ so Engeländer. Im japanischen Yabusame galoppiert das Pferd jedoch auf einer eingezäunten Bahn, sodass der Schütze das Pferd nicht lenken muss.
Der Bogen als Waffe hat in Japan auch eine spirituelle Bedeutung.
Independent European Horseback Archery School: So schießen wie die antiken Reitervölker
Einen Zaun oder Graben, um das Pferd im Galopp zu begrenzen, lehnt Pettra Engeländer beim authentischen Bogenschießen vom Pferd ab. „Wir wollen diese Kunst so ausüben, wie die Reitervölker das machten. Um dies zu erreichen, brauchen wir einen absolut unabhängigen Sitz, wir müssen eins werden mit dem Pferd und es alleine durch Gewicht und Schenkel lenken, treiben und einbremsen können,“ so Engeländer.
Seit der Gründung ihrer eigenen Schule, der Independent European Horseback Archery School, im Jahr 2012 bildet Pettra Engeländer Schüler und Pferde in der Kampfkunst des Bogenschießens aus. In Einsteiger-Seminaren auf ausgebildeten Pferden können Interessierte das Schießen vom Pferd ausprobieren und die Verbundenheit von Pferd, Bogen und Reiter erfahren. Die Kurse finden ganzjährig in ihrem Trainingszentrum in Fulda statt. Auch im Süden Deutschlands, der Schweiz, Österreich und auf Island hält Engeländer regelmäßig Kurse ab. Noch mehr Berührungspunkte mit der asiatischen Kampfkunst und dem Schießen vom Pferderücken erhält man bei der Jahresfortbildung, die in fünf Module unterteilt ist.
Bogen, Reiter und Pferd bilden beim traditionellen berittenen Bogenschießen eine Einheit.
Beim berittenen Bogenschießen verwendet Engeländer nach antikem Vorbild kurze oder stark asymmetrische Bögen, damit der Bogen nicht an den Pferderücken stößt. Die Geschwindigkeit des Pferdes verstärkt die Fliehkraft des Pfeils. „Bogenschießen vom Pferd ist die Kunst einer Fähigkeit und hat nichts mit Geschlecht oder Kraft zu tun,“ erklärt Pettra Engeländer. Ihre Schüler lernen Reiten und Bogenschießen zuerst getrennt voneinander. Die Prüfungen sind an das Gürtelsystem anderer Kampfsportarten angepasst. „Im ersten Skill-Level galoppiert ein Reiter unbegrenzt und gerade auf einer offenen Fläche, trifft einen Pfeil in korrektem Ablauf seitlich aus 20 Metern Entfernung in eine Zielscheibe. Anschließend bremst er das Pferd wieder ein.“ Die Weltmeisterin selbst schießt auf offenem Feld im Galopp auf eine Entfernung von 100 Metern problemlos fünf Pfeile in fünf Scheiben.
Um diese Kampfkunst auszuüben, braucht man nach Engeländer mehrere Voraussetzungen: man muss vertrauen und loslassen können, man muss Rhythmus und Timing entwickeln, und das Pferd nicht als Sportgerät sondern als gleichwertigen Partner schätzen. Ihre Schüler sind in der Regel Freizeitreiter, die mit ihrem Pferd Neues entdecken wollen, außerdem reine Bogenschützen, die ausprobieren möchten, ob sie auch vom Pferd aus treffen können. Doch auch Meister anderer Kampf- und Bewegungskunstrichtungen wie Qigong, Kung Fu und Karate zeigen immer mehr Interesse am berittenen Bogenschießen. „Die enge Verbindung von Pferd, Reiter, Pfeil und Bogen zu erfahren, ist ein unbeschreibliches Gefühl,“ meint Engeländer.